13.11.2014

Griechen kriechen nicht

The Enemy Within
The Enemy Within – Ohnmacht und Gewalt sind ein heimtückisches Paar

Auch die 28. Griechische Filmwoche trägt dem selbstbewussten jungen Kino Rechnung

Von Natascha Gerold

Als Premier­mi­nister Venizelos den Film sah, senkte er die Steu­er­be­las­tung für grie­chi­sche Filme von dreißig auf zehn Prozent, so sehr hat ihn der Stummfilm Astero von Dimitris Gaziadis begeis­tert. Das waren noch Zeiten, 1929.

Und heute? Film­hoch­schule, Film­för­de­rung? Ersteres gibt es in Grie­chen­land nach wie vor nicht, Letzteres ist nicht mehr existent. Dennoch ist das grie­chi­sche Kino leben­diger, eigen­s­tän­diger und williger denn je, immer noch reiben wir uns verwun­dert die Augen und lachen nervös nach Lowest-Budget Außen­sei­ter­krass­heiten der jüngsten Vergan­gen­heit wie Attenberg von Athina Rachel Tsangari, Giorgos Lanthimos‘ Alpen oder Dogtooth, die inter­na­tional bewundert und vielfach ausge­zeichnet wurden. Das große K und seine Folgen scheint der böse Engel des zeit­genös­si­schen Film­schaf­fens der Griechen, der sie materiell im Würge­griff hat, ideell aber einen uner­schöpflich schei­nenden Quell an erzäh­lens­werten Grund­themen mensch­li­cher Existenz für sie bereit­hält.

Die Grie­chi­sche Filmwoche des Grie­chi­schen Film­fo­rums München zeigt, unter anderem, eine etwas andere Seite dieses Neuen Grie­chi­schen Kinos, die nicht minder erschüt­ternd ist als die ihrer trotzigen Mitstreiter. Immer noch ist die Familie ein zentraler Mikro­kosmos, neue Umstände oder Eindring­linge machen seinen Fort­be­stand respek­tive seine gewohnte Ordnung ungewiss. Diese Unsi­cher­heit ist Motiv für sensible, schmerz­hafte Psycho­gramme, an deren Ende es nur Verlierer geben kann: In Sto spiti – At Home von Atha­na­sios Kara­ni­kolas sieht sich eine bislang gut situierte Klein­fa­milie gezwungen, ihr enges Verhältnis zu lang­jäh­rigen Haus­häl­terin Naja, die einst aus Georgien emigrierte, aufzu­geben. Die Sehnsucht nach Gebor­gen­heit und Gesell­schaft treibt Enddreißi­gerin Anna in September von Penny Panayo­to­poulou nach dem Tod ihres Hundes zur Nach­bars­fa­milie, die irgend­wann versucht, die über­schrit­tenen Grenzen wieder klar zu defi­nieren. Den Wandel eines fürsorg­li­chen Fami­li­en­va­ters zum verzwei­felten Outlaw beschreibt The Enemy Within von Giorgos Tsem­be­ro­poulos als ihn die Scham darüber auffrisst, seine Familie nicht vor den entsetz­li­chen Folgen eines Einbruchs bewahrt haben zu können – nicht weit sind hier die Paral­lelen zur zuneh­menden Radi­ka­li­sie­rung im linken (Syriza) und rechten (Goldene Morgen­röte) poli­ti­schen Lager zu finden, die Grie­chen­land derzeit unter anderem umtreibt.

Ein außer­ge­wöhn­li­cher Thriller ist The Senti­men­ta­lists von Nicholas Trian­da­fyl­lidis. Darin wird einem Gano­venduo die Liebe jeweils zum Verhängnis – The Senti­men­ta­lists ist eine Art Comeback für Trian­da­fyl­lidis, einem der Pioniere der Neuen Grie­chi­schen Kinos, der nicht wirklich weg war, sondern in den vergan­genen Jahren die Zeit für die Abbe­zah­lung der Schulden für sein Schaffen nutzen musste. Auch sein neuestes ist ein Meis­ter­werk des Mini­ma­lismus: In der fünf­wöchigen Drehzeit standen dem Team lediglich 100.000 Euro Bargeld zur Verfügung.

1914 verfilmte Costas Bacha­toris das Drama Golfo, mit ihm schlug die Geburts­stunde des Grie­chi­schen Kinos. Auch die Grie­chi­sche Filmwoche feiert dieses runde Jubiläum mit einer gut durch­dachten Auswahl an Filmen der vergan­genen Jahr­zehnte: Die Gauner­komödie Topkapi von Jules Dassin ist halb so alt wie das Grie­chi­sche Kino und schwung­voller farben­froher Auftakt, mit dem Schau­spiel­le­genden Melina Merkouri, Peter Ustinov und Maxi­mi­lian Schell gedacht wird.

Auch der Bereich Doku­men­tar­film ist bei der Grie­chi­schen Filmwoche von aufre­genden Reisen in die Vergan­gen­heit geprägt: Küsse für die Kinder von Vassilis Loules ist das berüh­rende Porträt von fünf Holocaust-Über­le­benden aus Thes­sa­lo­niki, die als Kinder von Christen vor den Nazis versteckt und aufge­nommen wurden – Der Film forderte von Loules viel Finger­spit­zen­ge­fühl für seine Prot­ago­nisten und Beharr­lich­keit beim Suchen, Finden und Auswählen dieses einzig­ar­tigen Archiv­ma­te­rials.

An diesen Höhlen strandete nicht nur einst Götter­vater Zeus mit seiner Geliebten Europa. In den 1960er-Jahren zog Matala im Süden Kretas viele Hippies von überall her an. Hippie, Hippie, Matala! Matala! von Giorgos Varelas erzählt von den Umständen, Unruhen sowie von Mythos und Wirk­lich­keit des Lebens als Flower-Power-People im Fischer­dörf­chen. Maria P. Koufo­poulou, Dreh­buch­au­torin von Hippie, Hippie, Matala! Matala! und lang­ge­diente Jour­na­listin des öffent­lich-recht­li­chen Senders ERT ist bei der Vorfüh­rung anwesend und kann sicher­lich auch aus erster Hand von der Medi­en­krise Grie­chen­lands berichten: Im vergan­genen Jahr wurde ERT kurzer­hand geschlossen und 2600 Menschen auf die Straße gesetzt; heuer im Mai wurde er unter den Namen NERIT wiederer­öffnet.

Gerade jetzt, wo so viel leiden­schaft­liche Krea­ti­vität das grie­chi­sche Kino auszeichnet, ist ein Blick in die Zukunft umso span­nender: Auch heuer ist bei der Grie­chi­schen Filmwoche eine Auswahl der Arbeiten zu sehen, die beim dies­jäh­rigen Inter­na­tio­nalen Kurz­film­fes­tival in Drama ausge­zeichnet wurden; dort können die großen Namen von Morgen gemeinhin ihre ersten Erfolge feiern. Fort­set­zung folgt? Sehr gut möglich …!

Die 28. Grie­chi­sche Filmwoche des Grie­chi­schen Film­fo­rums München fand von 14. bis 23. November im Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig statt.

Eine Veran­stal­tung der Filmstadt München e.V.