10.11.2016

Von der Mitte des Lebens und dem Rand der Gesell­schaft

SUNTAN
Variation einer Midlife-Crisis in Suntan

Die Griechische Filmwoche feiert vom 11. bis 20. November im Gasteig ihr 30-jähriges Jubiläum

Von Elke Eckert

Drei Jahr­zehnte gibt es das Festival schon und in dieser Zeit hat sich in Grie­chen­land vieles verändert. Diese Verän­de­rung und was sie an Themen mit sich bringt, spiegelt die dies­jäh­rige Jubiläums­film­woche wider. Regie­ve­te­ranen und junge Filme­ma­cher zeigen ihren Blick auf die Welt und erzählen jeder auf seine Art Geschichten über starke Frauen, Männer „in den besten Jahren“, Flücht­lings- und Emigran­ten­schick­sale und Menschen, die durch die Wirt­schafts­krise an den Rand der Gesell­schaft gedrängt werden.

Der Eröff­nungs­film Eden Is West ist West ist das Werk eines Altmeis­ters. Constantin Costa-Gavras hat schon 2009 ein Schlag­licht auf die Flücht­lings­po­litik Europas geworfen, indem er einen Jungen auf seiner Odyssee von Grie­chen­land nach Frank­reich begleitet. Der bitter­süße Film widmet sich dem Thema mit Humor und Poesie, macht aber auch deutlich, wie entwur­zelt Flüch­tende sind (11. November um 19.30 Uhr im Carl-Orff-Saal).
Auch in SMAC aus dem Jahr 2015 geht es um Entwur­zelte, die jenseits einer bürger­li­chen Existenz leben. Da ist der obdach­lose Andreas, der vor einem Athener Hochhaus seinen Schlaf­platz aufge­schlagen hat. Im Keller des Hauses haben afri­ka­ni­sche Flücht­linge Unter­schlupf gefunden und sich mit der krebs­kranken Bank­an­ge­stellten Eleni ange­freundet, die im 5. Stock wohnt. Elias Dimi­trious’ Blick auf die Außen­seiter der Gesell­schaft ist sehr mensch­lich und genau. Der Regisseur stellt seinen zweiten Spielfilm persön­lich vor und steht nach der Vorstel­lung für ein Publi­kums­ge­spräch zur Verfügung (12. November um 20 Uhr und 19. November um 17.30 Uhr).
Mit Krankheit und Ausgren­zung werden auch die Kinder Petros und Anthoula in ihren Sommer­fe­rien am Meer konfron­tiert. Sie lernen einen an Tuber­ku­lose erkrankten Jungen kennen, der von der Dorf­ge­mein­schaft gemieden wird, und freunden sich mit ihm an. Der Kinder­film Little Dolphins von 1993 spielt zwischen den beiden Welt­kriegen und berührt mit seiner warm­her­zigen Insze­nie­rung (20. November um 15 Uhr).
Brides schildert das Schicksal von 700 Emigran­tinnen, die 1922 aus Grie­chen­land, der Türkei und Russland nach New York aufbre­chen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Pantelis Voulgaris’ preis­ge­kröntes Drama von 2004 zeigt, dass Menschen bereits vor hundert Jahren ihre Heimat aus wirt­schaft­li­cher Not verlassen haben (16. November um 20 Uhr).

Von diesen starken Frauen, die im vorigen Jahr­hun­dert ihr Glück in der Fremde gesucht haben, spannt sich der filmische Bogen zu zwei klas­si­schen Heldinnen. Um dem Mythos Medea auf die Spur zu kommen und einen persön­li­chen Schick­sals­schlag zu verar­beiten, verwebt Nikos Gram­ma­tikos in seiner Doku­men­ta­tion von 2014 Anima­tionen, Szenen von Thea­ter­proben und Gespräche zwischen Schau­spie­lern mit Ausfüh­rungen eines Archäo­logen und Inter­views mit Menschen auf der Straße. Heraus­ge­kommen ist ein viel­schich­tiges und kalei­do­sko­pi­sches Kino­wagnis (14. November um 18.30 Uhr und 17. November um 20 Uhr).
Ein Klassiker ist dagegen Michael Cacoyannis’ Elektra aus dem Jahr 1962. Das auf der gleich­na­migen Tragödie von Euripides basie­rende Drama war damals als Bester fremd­spra­chiger Film für den Oscar nominiert (16. November um 18 Uhr).

Nicht ganz so stark sind die männ­li­chen Helden der Filmwoche. Einer von ihnen ist Kostis, ein einsamer Arzt mittleren Alters, der auf einer grie­chi­schen Feri­en­insel eine neue Stelle antritt. Als er der 19-jährigen Touristin Anna begegnet, ist er sofort faszi­niert von ihr. Er begleitet sie durch ihre Party­nächte und versucht so, seiner Midlife-Krise zu entkommen. Die Tragi­komödie Suntan wurde zur Voraus­wahl des Europäi­schen Film­preises 2016 einge­laden (14. November um 20.30 Uhr und 17. November um 18 Uhr).
In „ihren besten Jahren“ sind auch die sechs Männer, die gemeinsam eine Yacht besteigen, um sich dort einen Macht- und Wettkampf aller­erster Sahne zu liefern. Nach einem ausge­klü­gelten Punk­te­system soll ermittelt werden, wer von ihnen „der Beste“ ist. Insze­niert wurde Chevalier von einer Frau, der Regis­seurin Athina Rachel Tsangari. Ihr weib­li­cher Blick auf männliche Eitel­keiten und Unsi­cher­heiten ist komisch und entlar­vend zugleich. Der vielfach ausge­zeich­nete Film ist die grie­chi­sche Einrei­chung für den Oscar 2017 in der Kategorie „Bester fremd­spra­chiger Film“
(18. November um 20.30 Uhr und 20. November um 18 Uhr).
Ein tragi­scher Held ist der im Exil lebende Dichter Alexander. Im Wissen, dass er nicht mehr lange leben wird, verbringt der Schwer­kranke den Tag, bevor er ins Kran­ken­haus muss, mit einem alba­ni­schen Jungen, den er vor Menschen­händ­lern gerettet hat. Immer wieder versinkt er in seinen Gedanken und lässt sein Leben Revue passieren. Bruno Ganz brilliert in dem virtuos kompo­nierten Drama Die Ewigkeit und ein Tag von 1998, das mit der Goldenen Palme ausge­zeichnet wurde
(15. November um 19 Uhr).

An einem Wende­punkt in seinem Leben ist auch der Fabrik­ar­beiter Aris ange­kommen. Als er ohne Vorwar­nung entlassen wird und alle Bemühungen um eine neue Stelle scheitern, flüchtet sich der Enddreißiger in Rachefan­ta­sien und kauft sich eine Waffe. Zu allem bereit muss sich Aris plötzlich um seinen kleinen Sohn kümmern, den seine Ex-Frau über­ra­schend bei ihm lässt. Das Drama Invisible von 2015 ist hoch­ak­tuell und zeigt, was die Wirt­schafts­krise aus ganz normalen Menschen macht, die keine Perspek­tive mehr sehen (12. November um 16 Uhr).
Auch Fami­li­en­vater Stelios wird ein Opfer der Finanz­krise – und seiner Leiden­schaft, der Musik. Um seinen Jazz-Club zu reno­vieren, hat er sich auf einen krimi­nellen Kredit­geber einge­lassen. Als es in Grie­chen­land wirt­schaft­lich bergab geht, setzt der seinen Schuldner Stelios unter Druck und droht auch, seine Familie mit hinein­zu­ziehen. Mittwoch 04:45 ist ebenfalls 2015 entstanden und nutzt die Auswir­kungen der Krise als Ausgangs­punkt für einen inten­siven Thriller (13. November um 20 Uhr und 18. November um 18 Uhr).
Mit viel Witz und skurrilen Figuren punktet Highway to Hellas, in dem es den deutschen Kredit­ma­nager Jörg Geissner auf eine kleine grie­chi­sche Insel verschlägt. Im Auftrag seiner Bank soll er prüfen, ob die Bedin­gungen für einen alten Kredit einge­halten werden. Würde er Unge­reimt­heiten finden, könnte das die Einwohner ihre Existenz kosten. Und so tun Panos und seine Freunde alles, damit das nicht passiert. Christoph Maria Herbst und Adam Bous­doukos sind als penibler Deutscher und gewitzter Grieche ideal besetzt (12. November um 18 Uhr und 20. November um 20.30 Uhr).
Apostolos Karakasis geht mit Next Stop: Utopia doku­men­ta­risch an das Thema Wirt­schafts­krise heran. Er skizziert den Kampf der Mitar­beiter eines insol­venten grie­chi­schen Unter­neh­mens gegen dessen arrogante und hoch­ver­schul­dete Besit­zerin. Durch mutige und risi­ko­be­haf­tete Eigen­in­itia­tiven wollen die enga­gierten Ange­stellten den Verfall des Werks verhin­dern (13. November um 18 Uhr).

Der dritte Doku­men­tar­film des Festivals beschäf­tigt sich mit dem epischen Gedicht „Odyssee“ von Nikos Kazant­z­akis. Es umfasst 33.333 Verse und so heißt der Flm von Regisseur Menios Kara­gi­annis auch 33.333 – Die Odyssee von Nikos Kazant­z­akis. Der Autor behandelt in seinem Gedicht die großen Themen der abend­län­di­schen Zivi­li­sa­tion und Regisseur Kara­gi­annis beleuchtet dieses unge­wöhn­liche Werk aus lite­ra­ri­scher, philo­so­phi­scher und psycho­lo­gi­scher Sicht. Als einer der Gäste der Filmwoche stellt Menios Kara­gi­annis seinen Film, der in deutscher Erst­auf­füh­rung gezeigt wird, auch persön­lich vor (19. November um 20 Uhr).

Das Programm wird abge­rundet durch die Höhe­punkte des dies­jäh­rigen 39. Kurz­film­fes­ti­vals vom Drama (19. November ab 15 Uhr) und den Vortrag Die unbe­kannten Jahr­hun­derte – Grie­chen­land vom Untergang von Byzanz (1453) bis zu den Anfängen des Natio­nal­staates (1821). Dr. Ioannis Zelepos, der an der LMU München lehrt, gibt einen Überblick über die poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Rahmen­be­din­gungen grie­chi­schen Lebens in der Türken­zeit (13. November um 15 Uhr).