07.02.2019
Kinos in München

Das Ende des Kinos ist angebrochen

Das Gabriel 1907
Kino als »Bioscop lebender Fotografie«, anno 1907
(Foto: Gabriel Filmtheater)


Mit freund­li­cher Unter­s­tüt­zung durch das Kultur­re­ferat München

Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kino­mieten mehr denn je keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.

Das älteste Kino Münchens beugt sich dem Gentri­fi­zie­rungs­druck und schließt zum Jahres­ende

Von Dunja Bialas

Fakt ist: Selbst wenn ein Kino in München keine Miete zahlen muss, kann der Immo­bi­li­en­markt zuschlagen. Im Falle des Gabriel-Kinos, das zum Ende des Jahres schließen wird, ist dies besonders tragisch. Das älteste Kino Münchens liegt seit 112 Jahren in der schwie­rigen Bahn­hofs­ge­gend. Schwierig, weil sich hier kaum nette Kneipen oder Cafés finden lassen (das Café Kosmos und das Bufet haben erst vor wenigen Jahren aufge­macht), die Teil der kultu­rellen Praxis des Kino­be­suchs sein könnten. Unweit des Gabriels liegt das mächtige Mathäser, zur Zeit seiner Schließung strömten die Besucher wieder in das unschein­bare Haus an der Dach­au­er­straße.

Jetzt beginnt der Umbau des Haupt­bahn­hofs. Auf seinem Gelände wurde ein allge­meines Alko­hol­verbot ausge­spro­chen, das ab August ganztätig gilt. Die typische Amts­ma­sche, um die Drogen- und Alko­ho­li­ker­szene zu vertreiben. Die Uhr des Haupt­bahn­hofs ist schon abgehängt. Das kann man durchaus meta­pho­risch sehen: Die alte Zeit will man hinter sich lassen, jetzt ticken die Uhren anders. Auf der Südseite, dem Schmud­deleck des Haupt­bahn­hofs mit Table-Dance-Bars, Casinos und zwie­lich­tigen Video­theken, mit seinem dazu wider­sprüch­lich sehr hohen Anteil an türki­schen Läden, dem Klein-Istanbul, schlagen schon die ersten Hotel­be­sitzer Alarm. Es beginnt der Verdrän­gungs­kampf, große Ketten wollen die altein­ge­ses­senen kleinen Hotels vertreiben.

Dass sich dies auf die andere, die in die schöne Maxvor­stadt hinein­rei­chenden Nordseite des Haupt­bahn­hofs fort­setzen würde, war nur eine Frage der Zeit. Schon vor Jahren wurde eine Freundin aus ihrer Wohnung in der Dach­au­er­straße 2 hinaus­sa­niert, mit Skandal-Methoden. Jetzt befindet sich dort ein Apartment-Hotel. Nur wenige Häuser weiter liegt das Gabriel. Regel­mäßig fand und findet man sich dort ein, um die Pres­se­vor­füh­rungen zu besuchen, das Gabriel ist eine regel­rechte Pilger­s­tätte und zweite Heimat vieler Film­kri­tiker*innen. Früher konnte man sich gegenüber beim Discounter Gummi­bär­chen für die Pres­se­vor­füh­rung holen oder sich mit Kaiser­sem­meln ein billiges Mittag­essen verschaffen, bevor es mit dem Film­ma­ra­thon am Nach­mittag losging. Den Super­markt gibt es schon lange nicht mehr. An seiner Stelle hat sich ein weiteres Hotel breit gemacht.

Das Gabriel und das dazu­gehö­rige Haus gehört der Familie Büche. Tochter Alexandra Gmell, die in fünfter Gene­ra­tion kurz davor ist, die Thea­ter­lei­tung zu über­nehmen, erzählte noch letztes Jahr im April, dass dies ein riesiger Vorteil sei. Es ermög­liche Münchner*innen-freund­liche Kino­ein­tritts­preise, denn nicht nur Studie­rende, auch »die Mama von zwei Kindern und ihre Freun­dinnen« sollen günstig ins Kino gehen können. Dass dies aber am Trend vorbei­geht, lässt sich unschwer am hohen Eintritts­preis-Niveau der Stadt ablesen, dem das neue Astor im Arri mit Karten ab 13 Euro nur noch wenig hinzu­fügen konnte. Eine Studie veröf­fent­lichte im November 2018 den »großen Kino-Preis-Index«. München ist mit 11,26 Euro Durch­schnitts­preis die teuerste deutsche Kino-Stadt.

Tickets wie im Gabriel zu regulär 8 Euro (Kinotag 6,50) muss man sich also erst einmal leisten können. Als Kino. Finan­ziert wurde und wird der Spiel­be­trieb vor allem durch Vermie­tungen, für Pres­se­vor­füh­rungen und Branchen-Scree­nings. Alexandra Gmell spricht im Interview leiden­schaft­lich über das Kino, in dem sie groß­ge­worden ist. Papa Büche hatte es durch alle Flauten und Moden erfolg­reich hindurch­ge­schip­pert, nur mit dem stärksten aller Feinde der Stadt hat man wohl nicht gerechnet: mit dem explo­die­renden Immo­bi­li­en­markt.

Der Familie Büche ist es nicht zu verdenken, dass sie zum Jahres­ende ihr Haus verkaufen wird. Das wirft mehr ab, als das Kino, selbst wenn es floriert, je einbringen könnte. Einen Denk­an­stoß in diese Richtung gab sicher­lich auch der letzte Top-Sommer mit Sonne und hohen Tempe­ra­turen. Das Wetter: ist der ganz große Feind der Kino­be­treiber. Entweder ist es zu schön, und alle drängen in die Bier­gärten und an die Isar, oder zu hässlich, und keiner will aus dem Haus. Oder, wie ein befreun­deter Kino­be­treiber sagt: Wetter ist immer.

So geht das Kinosterben im Zeitalter von Gentri­fi­zie­rung, explo­die­renden Immo­bi­li­en­preisen, des Klima- und Medi­en­wan­dels mit Netflix & Co. unauf­haltsam weiter. Die Schließung des Gabriel ist insofern auch meta­pho­risch zu sehen, als es zur Gründer- und Pionier­zeit des neuen Mediums aufmachte. Wenn es jetzt schließt: Heißt das, das Ende des Kinos ist ange­bro­chen?

Aber, liebe Münch­ne­rinnen und Münchner: Erst wenn das letzte Kino geschlossen wurde, werdet ihr merken, dass ihr auf Eurer Wohn­zimmer-Couch einsam geworden seid. Und bis zu seiner Schließung halten wir »artecho­cken« das Gabriel noch in Ehren und zählen es zu unseren Geheim­tipps, wo man preiswert täglich einen Film in OmU sehen kann (derzeit: Clint Eastwoods The Mule). Und danach geht's ins Bufet.

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Literatur:
– »Neue Paradiese für Kino­süch­tige – Münchner Kino­ge­schichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, 42 Euro.

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