26.09.2019
Cinema Moralia – Folge 204

Die tote Ente und der Frosch im Teich

Fabian
Gerade abgedreht: Dominik Grafs »Fabian« – ein Film für unsere Zeit
(Foto: Lupa Film)

Wie umgehen mit Anti-Demokraten? Der schwache Gegner Mendig und die Konsequenzen seines Falls für den deutschen Film. Eine erste Bilanz erfolgreicher Bandenbildung – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogängers, 204. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Hitler baute eine furcht­bare Diktatur auf. Das deutsche Volk wehrte sich nicht. Für mich ist klar, warum: Unter den 80 Millionen Deutschen damals und heute waren und sind allen­falls 20 Millionen echte Demo­kraten, von denen sich höchstens Hundert­tau­send aktiv für die Demo­kratie einsetzen. Die übrigen Demo­kraten grummeln abge­schlafft daheim vor sich hin. Folge: Die schwei­gende Mehrheit von rund 60 Millionen Deutschen würde sich gegen eine AfD-Diktatur nicht wehren.«
- Nikas Frank, 80, Sohn des NS-Massen­mör­ders Hans Frank, in: »Der Spiegel ›; 07.09.2019‹«

»Nein, kein AfD-Mitglied ist per se ein Verbre­cher, aber im Kampf gegen die Mensch­lich­keit kommen viele von ihnen gut voran. Seit Jahren verfolge ich ihren Auftritt und kann es nicht fassen: Da spricht ja mein Vater! Das ist ja genau seine verlogene, feige, tückische Argu­men­ta­tion!
Wie damals er wollen auch heute wohl viele AfD-Leute eine Diktatur. Das entnehme ich etwa den Drohungen der AfD gegen die unab­hän­gige Presse und Justiz.«

- Nikas Frank, 80, Sohn des NS-Massen­mör­ders Hans Frank, in: »Der Spiegel«; 07.09.2019

Noch am Vorabend der dunklen Zeit spüren sie die Wenigsten. Sie sind sensibel, sie machen sich Sorgen über allerlei wichtige Dinge. Aber doch nicht über die Republik. Die Republik geht längst vor die Hunde, aber gibt es nicht Wich­ti­geres? Das Wetter zum Beispiel.

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Gerade hat Dominik Graf, einer der besten zeit­genös­si­schen Filme­ma­cher, »Fabian« abgedreht, seinen neuen Film, eine freie Adaption von Erich Kästners Roman »Fabian oder Der Gang vor die Hunde«. Tom Schilling spielt den Titel­helden, Saskia Rosendahl und Albrecht Schuch weitere Haupt­rollen. Ich freue mich auf diesen Film! Wegen dem von mir geschätzten und bewun­derten Regisseur, den groß­ar­tigen Darstel­lern – aber auch, weil dieser Stoff wie kein zweiter in unsere Zeit passt. Er erzählt von der Melan­cholie, die viele von uns gerade ergreift, und von der Unfähig­keit zu handeln. Er erzählt vom Vorabend der Diktatur, vom Ende der Weimarer Republik, vom Leben eines kreativen und intel­lek­tu­ellen Menschen in einer zunehmend unkrea­tiven, anti-intel­lek­tu­ellen Welt. Er erzählt von der Stunde des Sieges der Anti-Demo­kraten.
Fabian ist ein Fatalist und Ironiker – wie wir alle. Ich bin guter Hoffnung, dass uns dieser Film zeigt, warum das nicht genug ist. Wir müssen lernen zu handeln!

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Über 600 Film­schaf­fende haben binnen einer Woche einen Aufruf unter­schrieben. Er folgte auf unseren Text über den hessi­schen Film­för­der­chef Hans Joachim Mendig, und dessen als »privat« etiket­tiertes, aber in Absprache mit ihm veröf­fent­lichtes und öffent­lich wohl­wol­lend kommen­tiertes (»konstruk­tiver poli­ti­scher Gedan­ken­aus­tausch«) Treffen mit dem Vorsit­zenden einer anti­de­mo­kra­ti­schen kultur­feind­li­chen Partei. Als Folge unseres Aufrufs wurde Mendig am Dienstag vom zustän­digen Minis­te­rium in Hessen von seinem Amt abberufen.
Wie dieser Aufruf medial kommen­tiert wurde, wollen wir bei Gele­gen­heit noch einmal betrachten. Denn das verrät alles über die traurige Lage eines Großteils unserer Medien. Ein andermal...

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Eine Freundin, Fern­seh­re­dak­teurin, keine Unter­zeich­nerin der Erklärung, hat als Begrün­dung dafür, dass sie nicht unter­schreiben wollte, ein schönes Bild gebraucht: Mendig ist doch nur eine tote Ente im Teich des Systems der Film­in­dus­trie. »Die Ente schwimmt oben und alle sehen sie. Aber unten im Teich da sitzt der giftige Frosch, der sein Gift im Wasser verspritzt. Und der sitzt weiter da, wir sehen ihn nicht und wenn die Ente weg ist, wird man ihn noch weniger sehen als jetzt.«

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Das stimmt alles. Struk­tu­rell ändern wird sich so schnell nichts. Auch wenn ich glaube, dass man eine Mauer einreißt, indem man zunächst einmal einen schwächeren, mürben Stein heraus­bricht, und nicht, in dem man an der stärksten Stelle ansetzt. Aber natürlich ist Mendig eine schwache Figur, natürlich belegt sein unge­schicktes Verhalten nur, wie fehl­be­setzt er war.
Mendig ist insofern nur ein Anfang. 600 wurden jetzt mobi­li­siert. Wir sollten weiter­ma­chen, dieses Momentum nicht verschenken, sondern unseren Elan nutzen. Mendig ist nur ein Symbol für das, was weitere Kreise des Kultur­be­triebs betrifft.
Der Erfolg der Erklärung der Film­schaf­fenden hat gezeigt, was funk­tio­niert, wenn man gemeinsam agiert, wenn man über seinen Schatten tritt, über Eitel­keiten und Sensi­bi­li­täten und Geschmacks­dif­fe­renzen hinweg­sieht, und das gemein­same Ziel in den Vorder­grund rückt: Eine offene, freie, viel­fäl­tige Kultur und Gesell­schaft.

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Es darf sich deswegen bitte keiner einreden lassen, dass es unde­mo­kra­tisch sei, Anti­de­mo­kraten auszu­grenzen, gegen Feinde der Freiheit und der Kultur rote Linien zu ziehen.
Jetzt geht es nicht um billige Wider­stands­posen, im Gegenteil. Aber es geht darum, sich für sich selbst klar zu machen: Wo ist eine Grenze? Und was tue ich dagegen, wenn sie über­schritten wird? Und zu fragen: Wie sähe er denn aus, der behaup­tete konstruk­tive Gedan­ken­aus­tausch? Ich möchte das, was dabei konstru­iert wird, jeden­falls nicht kennen­lernen.

Hic Rhodos hic salta, scheint mir...

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Ist es nicht bizarr: Keine Nation hat mehr Filme über die Entste­hungs­be­din­gungen einer Diktatur gesehen, und gemacht und produ­ziert, als die Deutschen. Dass das alles nicht viel geholfen hat, zeigt sich zur Zeit. Nicht allein der Wähler­zu­spruch für offenen Rassismus, unver­hoh­lene Demo­kra­tie­feind­schaft, Hass auf Geist und Kultur.
Sondern die Naivität der selbst­er­nannten Demo­kraten. Was tun sie gegen die Dikta­toren der Zukunft. Als ob nicht Polen, Ungarn und die Türkei, oder Trump und Johnson tagtäg­lich Gegen-Beispiele genug geben, glauben sie, man könne mit ihnen reden. Mit denen, die Reden nicht benutzen um zu über­zeugen oder überzeugt zu werden, sondern um zu mobi­li­sieren und einzu­schüch­tern, um Diskurse zu prägen und umzu­prägen, um die kultu­relle Hegemonie zu erlangen. Es funk­tio­niert das Immun­system nicht.

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Eine weitere Freundin, eine Film­pro­du­zentin, ebenfalls nicht Unter­zeich­nerin, erzählte von einem Orts­termin: Besuch einiger Produ­zenten beim Kultur­aus­schuss des NRW-Landtags. Keiner war bereit, einen Button für Einwan­de­rungs­po­litik und Flücht­lings­auf­nahme zu tragen. Geschweige denn gegen AfD. Man müsse doch mit allen reden, meinte einer. Wieso muss man mit Rechts­extre­misten reden? Ist das jetzt Pflicht? Haben Sie einem etwas zu sagen? Muss man an jeder Mülltonne schnup­pern?

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Wie gesagt: Das Immun­system funk­tio­niert nicht. Daran müssen wir arbeiten. Das müssen wir ändern. Kein Fußbreit den Faschisten!