16.05.2019
72. Filmfestspiele Cannes 2019

Cannes On Speed 02: Pariser Unter­schicht

Ladj Lys Les Misérables
Ladj Lys Les misérables
(Foto: Wild Bunch/Alamode/Central)

Simultanistische Filmkritik von Les misérables von Ladj Ly

Von Rüdiger Suchsland

Les miséra­bles, der zweite Film im Wett­be­werb von Cannes, spielt natürlich an auf Victor Hugo, hat aber mit dessen vielfach verfilmten Roman nur gemeinsam, dass auch der Film von Ladj Ly von den Pariser Unter­schichten handelt. Zweimal fällt beiläufig Hugos Name.
Alles spielt heute, an ein paar Sommer­tagen kurz nach dem Sieg der Franzosen bei der Fußball-WM im vergan­genen Jahr: Eine Einheit von drei Poli­zisten streift im Wagen durch die Banlieues. Wir lernen vor allem mit ihren Augen das Viertel kennen, die verschie­denen ethni­schen Gruppen, die Banden, die Erwach­senen, die straf­un­mün­dige Kinder für ihre Geschäfte instru­men­ta­li­sieren. Dann eska­lieren die Dinge, und als die drei Poli­zisten einen Fehler machen und dann noch ein paar, um den ersten zu vertu­schen, werden sie selbst zu Gejagten.

Dies ist einer jener Filme, in dem sich Menschen dauernd anschreien, Kamera und Schnitt arbeiten mit den Mitteln des über­stei­gerten Realismus – Close-Ups, Riss­schwenks, mal Wackel­ka­mera, mal schnelle Schnitte – um »Echtheit« zu sugge­rieren. Die Inten­sität gelingt, aller­dings auf Kosten der Genau­ig­keit. So ist dieser Film weder ein präzis beob­ach­tetes Sozi­al­por­trait, noch richtig funk­tio­nie­rendes Genrekino. Immerhin ein Film, der einen für Augen­blicke am Zustand der Gesell­schaft verzwei­feln lässt. Genau dieses Gefühl will Ladj Ly wahr­schein­lich auch herstellen.