13.08.2018
71. Locarno Filmfestival 2018

In Dumpf­ge­wit­tern

Wintermärchen
Wird man verteidigen müssen: Jan Bonnys Wintermärchen
(Foto: W-film)

Sinnlos krabbeln die Nazi-Käfer – Notizen aus Locarno, 4. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Zwei sehr junge Männer und eine junge Frau, unreife Wesen, in Bomber­ja­cken und Sprin­ger­stie­feln, die ziemlich viel dummes Zeug reden. Aber sie sprechen lieber mit Waffen. Der Kölner Regisseur Jan Bonny folgt in Winter­mär­chen, seinem zweiten Spielfilm, der am Freitag als Abschluss­film im Wett­be­werb von Locarno Premiere hatte, der blutigen Spur des rechts­extremen NSU-Terrors – in einer Spiel­film­form, die nahe an den bekannten Teil der Fakten angelehnt ist, für die »Einfüh­lung« oder »Nach­emp­fin­dung« aber das falsche Wort wäre. Es wird gemordet, immer wieder. Brutal, kurz und schmerz­haft, auch für die Zuschauer, die diesen nüch­ternen Bildern ausge­setzt sind. Dazwi­schen wird gegessen, geschlafen, gedöst, man hat viel Sex, auch zu dritt, übt Schießen und es gibt immer wieder lange, sehr lange Auto­fahrten.

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Winter­mär­chen bietet eine beklem­mende Innen­an­sicht des Terrors, eine Innen­an­sicht, die aller­dings auf wenig Fragen eine Antwort gibt. Allen­falls wird das Bedürfnis befrie­digt, zu wissen »Was geht in diesen Köpfen vor?« – Nichts behauptet der Film, außer Hass und Sex und deren sado­ma­so­chis­ti­sche Wech­sel­be­zie­hung. Noch nicht mal krude Ideologie spielt eine große Rolle.
Ob das jetzt stimmt, ist hier nicht die Frage. Sondern welche Funktion diese Haltung hat, für das Publikum und für den Filme­ma­cher. Winter­mär­chen hält sich raus. Dies ist ein gut gemachter, von hervor­ra­genden Darstel­lern getra­gener, aber auch ein kalter Film. Bonny unter­nimmt eine Vivi­sek­tion des Rechts­extre­mismus; wie ein Käfer­sammler spießt er seine Figuren auf und sieht ihnen beim sinnlosen Krabbeln zu.
So kann man sich die NSU-Taten auch vom Leib halten.

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Bei der Frage, ob es Mitwisser gab, welche Rolle BND-V-Leute spielten, oder auch wo es Nähen zwischen der NSU und den Posi­tionen poli­ti­scher Parteien gibt, verzichtet Bonny auf genau das, was der Spielfilm bei histo­ri­schen Stoffen dem Doku­men­tar­film voraus hat: Auf die Möglich­keit zur Speku­la­tion. Im Fall der RAF wurde damals noch disku­tiert, inwiefern hier Kinder der Nazis, oder des Bildungs­bür­ger­tums zu Tätern wurden, wo der Pietismus oder Heidegger oder Marx mit schuld waren – dieser Film zeigt die Mörder als Fremde, als Außen­seiter und monströse Schreck­ge­spinster des Bürger­li­chen.

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Die Erklärung des NSU-Rechts­extre­mismus aus Hass, Sex, Sadomaso entspricht zwar bestimmten, durchaus über­zeu­genden Theorien des Faschismus. Aber im Unter­schied zu den Italie­nern, zu Visconti, Cavani, Wert­müller und Pasolini, lässt dieser Film das Publikum außen vor. Er verführt es nicht, schon eher versucht der Film, es anzuekeln. Mögli­cher­weise schwebte Bonny irgend­wann mal vor, Pasolinis Methode, sich der Perspek­tive der Täter auszu­setzen, ihren Blick einzu­ver­leiben, ohne sich ihm zu unter­werfen, auf deutsche Verhält­nisse zu über­tragen. Bei Bonny wird daraus aber ein NSU-Egoshooter und Voyeu­rismus. Ein deutsches »Salo« ist der Film nicht mal im Ansatz. Es bleibt bei Sensa­tio­na­lismus und eben dem kalten, Ernst-Jünger-haften Blick; ein über­zeu­gendes Spiel mit faschis­ti­scher Ästhetik ist nicht zu entdecken. Das belegt ganz an der Ober­fläche schon die Musik­aus­wahl: Wo Pasolini Chopin, Bach, Orff und Puccini spielt, dudeln bei Bonny »Die Ärzte« und »Die toten Hosen«.
Viel­leicht liegt alles eben daran, dass in diesem guten, sehr unsym­pa­thi­schen Film, doch immer zuviel Faszi­na­tion und (perverse) Erotik erkennbar ist; dass der Regisseur seinen Objekten, ohne es zu wollen, viel­leicht sogar ohne es zu merken (?), zuviel Liebe und falsche Aufmerk­sam­keit entge­gen­bringt.

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Winter­mär­chen ist also zwar im Ansatz sehr inter­es­sant, aber doch insgesamt meiner Ansicht nach weit weniger spek­ta­kulär, als es Frédéric Jaeger und Hannah Pilarczyk in ihren lesens­werten Texten schreiben. Wobei ich mehr bei Frédéric und Hannah bin, als bei dem leider geschmack­lich gar nicht verläss­li­chen Schweizer Kritiker Michael Senn­hauser, der in seinem Blog über den Film schreibt. Die NZZ war aller­dings auch not amused: »Uner­träg­lich an 'Winter­mär­chen' sind nicht der fehlende Plot oder die unmo­ti­viert langen und ständig wieder­keh­renden ekligen Sexszenen, ... Uner­träg­lich an diesem Streifen ist, dass er so wirkt, als ob ein Student aus der Mittel- oder Ober­schicht seine klischierte Vorstel­lung vom zum Auslän­der­hasser mutierten arbeits- und orien­tie­rungs­losen Primi­tiv­ling verfilmt hätte. Die Figuren sind unglaub­würdig, weil sie wirken wie übereif­rige Schau­spiel­schüler beim Impro­vi­sa­ti­ons­se­minar: Spiel mal Border­line! Spiel den Rassisten! Sei ein Arschloch! Und jetzt besoffen!«
Ich verstehe Denise Büchers Reaktion da gut, finde das Urteil aber zu hart.

Inter­es­sant, wie die sehr ähnliche Erfahrung bei Hannah Pilarczyk eine komplett entge­gen­ge­setzte Wendung bekommt: »wie der Deutsche Jan Bonny in seinem neuen Film 'Winter­mär­chen' das Poli­ti­sche persön­lich nimmt, sich von der deutschen Zeit­ge­schichte, genauer gesagt: dem NSU, unmit­telbar ange­spro­chen fühlt und seinem Ekel vor den drei Führungs­fi­guren Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe freien Lauf lässt, hat man noch nicht gesehen. 'Winter­mär­chen' ist ein unbedingt häss­li­cher Film, ein gren­zenlos häss­li­cher Film ... Ficken und Migranten hinrichten verschmilzt hier zu einer wider­wär­tigen Trieb­ab­fuhr, in der jedwede ideo­lo­gi­sche Moti­va­tion für die Morde ihre Stich­hal­tig­keit verliert. So über­schreibt Bonny mit seinem Film ein ums andere Mal die Selbst­sti­li­sie­rung der Terro­risten ... Wann hat sich ein deutscher Film zuletzt so vehement und unzwei­deutig mit Figuren der Zeit­ge­schichte ausein­an­der­ge­setzt? Nach ›Winter­mär­chen‹ muss sich das deutsche Kino an neue Maßstäbe der poli­ti­schen wie auch der persön­li­chen Dring­lich­keit gewöhnen.«

»Bonny schaut auf das, was schmerzt.« findet Frédéric Jaeger, und findet in »Winter­mär­chen« für mich über­ra­schend viel »Tragik« und »die Hölle, die das Leben sein kann, wenn man keine Macht hat«. Muss ich, soll ich, kann ich überhaupt als Zuschauer damit Mitleid haben? Oder Vers­tändnis? Denn von den Taten und allem Anderen lässt sich diese Erfahrung ja nicht trennen. Mord­rausch als »Erlösung«. Hm.
Aber Frédéric hat recht, dass Bonnys Ansatz am Ende dann doch ein psycho­lo­gi­sie­render ist. Bezie­hungs­dy­namik des Trios, Macht­spiele, gekränkten Narzissmus, Vers­tänd­li­cher­weise faszi­niert ihn der Exzess des Films. Da gehe ich mit. Er liegt hier aber mehr im Darge­stellten, als in der Darstel­lung, wie bei den erwähnten Italie­nern.

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Dass Jan Bonny nur seinem Hass Lauf lässt, ist nicht mein Eindruck, da ist zuviel Faszi­na­tion und (perverse) Erotik dabei.
Er glaubt tatsäch­lich an die Fascho-Kitsch-Zeilen aus dem »Ärzte«-Song »Schrei nach Liebe«, den er am Ende zitiert: »Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe/ Deine Sprin­ger­stiefel sehnen sich nach Zärt­lich­keit
Du hast nie gelernt dich zu arti­ku­lieren/ Und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit. Ooohhh, mimimi, die armen Nazis – da ist der Film dann bei Sarah Wagen­knechts AfD-Auslas­sungen vom Wochen­ende (keine Rassisten, nur unver­stan­dene Arbeiter, wie schon 1933).«

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Wenn er in die deutschen Kinos kommt, wird man diesen Film, all diesen Bedenken und zum Teil akade­mi­schen Einwänden zum Trotz vertei­digen müssen.
Schon weil Frédéric Jaeger recht hat, wenn er darauf hinweist, dass es ein »kleines Wunder« sei, dass der Film in Deutsch­land entstehen konnte (Produk­tion: Bettina Brokemper, Heimat­film), da das Projekt kaum Unter­s­tüt­zung bei den deutschen Film­för­de­rern fand. Und wenn er schreibt: »Der ständige Sex dürfte stärker als alles Rechts­ra­di­kale der Figuren wie eine Provo­ka­tion wirken, Töten sieht man ja oft genug auf allen Kanälen. Sex und Morden zusammen ist dagegen nur schwer zu ertragen, das Mitein­ander von Zügel­lo­sig­keit und Terror führt unnach­giebig das Mensch­liche des Bösen vor.«

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Keine Über­ra­schung war es, dass Winter­mär­chen bei der Leopar­den­ver­gabe dann leer ausging. Denn in einem starken Jahrgang, mit dem sich Carlo Chatrian als Locarno-Boss in Richtung Berlinale verab­schiedet, war dies stilis­tisch wie thema­tisch ein Solitär in einem Wett­be­werb, der die Leich­tig­keit des Kinos neu entdeckt hat, und in dem viele der Filme (wie in Nummer 3 dieser Notizen beschrieben) um junge Erwach­sene und Jugend­liche kreisten, ums »Coming of Age«: Erste Küsse, erste Liebe, Selbst­fin­dung und der Abschied von den Eltern.

(to be continued)