71. Locarno Filmfestival 2018
In Dumpfgewittern |
![]() |
|
Wird man verteidigen müssen: Jan Bonnys Wintermärchen | ||
(Foto: W-film) |
Zwei sehr junge Männer und eine junge Frau, unreife Wesen, in Bomberjacken und Springerstiefeln, die ziemlich viel dummes Zeug reden. Aber sie sprechen lieber mit Waffen. Der Kölner Regisseur Jan Bonny folgt in Wintermärchen, seinem zweiten Spielfilm, der am Freitag als Abschlussfilm im Wettbewerb von Locarno Premiere hatte, der blutigen Spur des rechtsextremen NSU-Terrors – in einer Spielfilmform, die nahe an den bekannten Teil der Fakten angelehnt ist, für die »Einfühlung« oder »Nachempfindung« aber das falsche Wort wäre. Es wird gemordet, immer wieder. Brutal, kurz und schmerzhaft, auch für die Zuschauer, die diesen nüchternen Bildern ausgesetzt sind. Dazwischen wird gegessen, geschlafen, gedöst, man hat viel Sex, auch zu dritt, übt Schießen und es gibt immer wieder lange, sehr lange Autofahrten.
+ + +
Wintermärchen bietet eine beklemmende Innenansicht des Terrors, eine Innenansicht, die allerdings auf wenig Fragen eine Antwort gibt. Allenfalls wird das Bedürfnis befriedigt, zu wissen »Was geht in diesen Köpfen vor?« – Nichts behauptet der Film, außer Hass und Sex und deren sadomasochistische Wechselbeziehung. Noch nicht mal krude Ideologie spielt eine große Rolle.
Ob das
jetzt stimmt, ist hier nicht die Frage. Sondern welche Funktion diese Haltung hat, für das Publikum und für den Filmemacher. Wintermärchen hält sich raus. Dies ist ein gut gemachter, von hervorragenden Darstellern getragener, aber auch ein kalter Film. Bonny unternimmt eine Vivisektion des Rechtsextremismus; wie ein Käfersammler spießt er seine Figuren auf und sieht ihnen beim sinnlosen
Krabbeln zu.
So kann man sich die NSU-Taten auch vom Leib halten.
+ + +
Bei der Frage, ob es Mitwisser gab, welche Rolle BND-V-Leute spielten, oder auch wo es Nähen zwischen der NSU und den Positionen politischer Parteien gibt, verzichtet Bonny auf genau das, was der Spielfilm bei historischen Stoffen dem Dokumentarfilm voraus hat: Auf die Möglichkeit zur Spekulation. Im Fall der RAF wurde damals noch diskutiert, inwiefern hier Kinder der Nazis, oder des Bildungsbürgertums zu Tätern wurden, wo der Pietismus oder Heidegger oder Marx mit schuld waren – dieser Film zeigt die Mörder als Fremde, als Außenseiter und monströse Schreckgespinster des Bürgerlichen.
+ + +
Die Erklärung des NSU-Rechtsextremismus aus Hass, Sex, Sadomaso entspricht zwar bestimmten, durchaus überzeugenden Theorien des Faschismus. Aber im Unterschied zu den Italienern, zu Visconti, Cavani, Wertmüller und Pasolini, lässt dieser Film das Publikum außen vor. Er verführt es nicht, schon eher versucht der Film, es anzuekeln. Möglicherweise schwebte Bonny irgendwann mal vor, Pasolinis Methode, sich der Perspektive der Täter auszusetzen, ihren Blick einzuverleiben, ohne
sich ihm zu unterwerfen, auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Bei Bonny wird daraus aber ein NSU-Egoshooter und Voyeurismus. Ein deutsches »Salo« ist der Film nicht mal im Ansatz. Es bleibt bei Sensationalismus und eben dem kalten, Ernst-Jünger-haften Blick; ein überzeugendes Spiel mit faschistischer Ästhetik ist nicht zu entdecken. Das belegt ganz an der Oberfläche schon die Musikauswahl: Wo Pasolini Chopin, Bach, Orff und Puccini spielt, dudeln bei Bonny »Die Ärzte« und »Die
toten Hosen«.
Vielleicht liegt alles eben daran, dass in diesem guten, sehr unsympathischen Film, doch immer zuviel Faszination und (perverse) Erotik erkennbar ist; dass der Regisseur seinen Objekten, ohne es zu wollen, vielleicht sogar ohne es zu merken (?), zuviel Liebe und falsche Aufmerksamkeit entgegenbringt.
+ + +
Wintermärchen ist also zwar im Ansatz sehr interessant, aber doch insgesamt meiner Ansicht nach weit weniger spektakulär, als es Frédéric Jaeger und Hannah Pilarczyk in ihren lesenswerten Texten schreiben. Wobei ich mehr bei Frédéric und Hannah bin, als bei dem leider geschmacklich gar nicht verlässlichen Schweizer Kritiker Michael Sennhauser, der in seinem Blog über den Film schreibt. Die NZZ war allerdings auch not amused: »Unerträglich an 'Wintermärchen' sind nicht der fehlende Plot oder die unmotiviert langen und
ständig wiederkehrenden ekligen Sexszenen, ... Unerträglich an diesem Streifen ist, dass er so wirkt, als ob ein Student aus der Mittel- oder Oberschicht seine klischierte Vorstellung vom zum Ausländerhasser mutierten arbeits- und orientierungslosen Primitivling verfilmt hätte. Die Figuren sind unglaubwürdig, weil sie wirken wie übereifrige Schauspielschüler beim Improvisationsseminar: Spiel mal Borderline! Spiel den Rassisten! Sei ein Arschloch! Und jetzt
besoffen!«
Ich verstehe Denise Büchers Reaktion da gut, finde das Urteil aber zu hart.
Interessant, wie die sehr ähnliche Erfahrung bei Hannah Pilarczyk eine komplett entgegengesetzte Wendung bekommt: »wie der Deutsche Jan Bonny in seinem neuen Film 'Wintermärchen' das Politische persönlich nimmt, sich von der deutschen Zeitgeschichte, genauer gesagt: dem NSU, unmittelbar angesprochen fühlt und seinem Ekel vor den drei Führungsfiguren Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe freien Lauf lässt, hat man noch nicht gesehen. 'Wintermärchen' ist ein unbedingt hässlicher Film, ein grenzenlos hässlicher Film ... Ficken und Migranten hinrichten verschmilzt hier zu einer widerwärtigen Triebabfuhr, in der jedwede ideologische Motivation für die Morde ihre Stichhaltigkeit verliert. So überschreibt Bonny mit seinem Film ein ums andere Mal die Selbststilisierung der Terroristen ... Wann hat sich ein deutscher Film zuletzt so vehement und unzweideutig mit Figuren der Zeitgeschichte auseinandergesetzt? Nach ›Wintermärchen‹ muss sich das deutsche Kino an neue Maßstäbe der politischen wie auch der persönlichen Dringlichkeit gewöhnen.«
»Bonny schaut auf das, was schmerzt.« findet Frédéric Jaeger, und findet in »Wintermärchen« für mich überraschend viel »Tragik« und »die Hölle, die das Leben sein kann, wenn man keine Macht hat«. Muss ich, soll ich, kann ich überhaupt als Zuschauer damit Mitleid haben? Oder Verständnis? Denn von den Taten und allem Anderen lässt sich diese Erfahrung ja nicht trennen. Mordrausch als »Erlösung«. Hm.
Aber Frédéric hat recht, dass Bonnys Ansatz am Ende dann doch ein
psychologisierender ist. Beziehungsdynamik des Trios, Machtspiele, gekränkten Narzissmus, Verständlicherweise fasziniert ihn der Exzess des Films. Da gehe ich mit. Er liegt hier aber mehr im Dargestellten, als in der Darstellung, wie bei den erwähnten Italienern.
+ + +
Dass Jan Bonny nur seinem Hass Lauf lässt, ist nicht mein Eindruck, da ist zuviel Faszination und (perverse) Erotik dabei.
Er glaubt tatsächlich an die Fascho-Kitsch-Zeilen aus dem »Ärzte«-Song »Schrei nach Liebe«, den er am Ende zitiert: »Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe/ Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit
Du hast nie gelernt dich zu artikulieren/ Und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit. Ooohhh, mimimi, die armen Nazis – da ist
der Film dann bei Sarah Wagenknechts AfD-Auslassungen vom Wochenende (keine Rassisten, nur unverstandene Arbeiter, wie schon 1933).«
+ + +
Wenn er in die deutschen Kinos kommt, wird man diesen Film, all diesen Bedenken und zum Teil akademischen Einwänden zum Trotz verteidigen müssen.
Schon weil Frédéric Jaeger recht hat, wenn er darauf hinweist, dass es ein »kleines Wunder« sei, dass der Film in Deutschland entstehen konnte (Produktion: Bettina Brokemper, Heimatfilm), da das Projekt kaum Unterstützung bei den deutschen Filmförderern fand. Und wenn er schreibt: »Der ständige Sex dürfte stärker als alles
Rechtsradikale der Figuren wie eine Provokation wirken, Töten sieht man ja oft genug auf allen Kanälen. Sex und Morden zusammen ist dagegen nur schwer zu ertragen, das Miteinander von Zügellosigkeit und Terror führt unnachgiebig das Menschliche des Bösen vor.«
+ + +
Keine Überraschung war es, dass Wintermärchen bei der Leopardenvergabe dann leer ausging. Denn in einem starken Jahrgang, mit dem sich Carlo Chatrian als Locarno-Boss in Richtung Berlinale verabschiedet, war dies stilistisch wie thematisch ein Solitär in einem Wettbewerb, der die Leichtigkeit des Kinos neu entdeckt hat, und in dem viele der Filme (wie in Nummer 3 dieser Notizen beschrieben) um junge Erwachsene und Jugendliche kreisten, ums »Coming of Age«: Erste Küsse, erste Liebe, Selbstfindung und der Abschied von den Eltern.
(to be continued)