09.03.2017
Cinema Moralia – Folge 150

Pro Quote Ästhetik!

Toni Erdmann
Toni Erdmann: Ist nach der männlichen (!) Hauptfigur benannt. Ob er wohl ästhetischen Maßstäben gerecht wird?
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Filmwelt Verleihagentur GmbH)

Frauen vor Filmlandschaft – was der deutsche Film wirklich braucht; Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 150. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Für mich ist jeder Tag Welt­frau­entag. Ich bin ein Feminist. Gleiche Rechte, gleiche Chancen, gleiche Bezahlung, das ist alles überhaupt nicht die Frage.

+ + +

Sehr wohl eine Frage ist aber die Perspek­tive. Worum geht es eigent­lich bei der ganzen Frauen-Quoten-Gleich­be­rech­ti­gungs-Political-Correct­ness-Debatte? Provo­kativ formu­liert: Nutzt es mir, wenn Frauke Petry genauso gut bezahlt wird, wie Björn Höcke?
Oder nutzt es mir mehr, wenn es einfach mehr gute Filme gibt? Egal, ob sie von Männern oder von Frauen kommen? Klar: Das war jetzt eine rheto­ri­sche Frage. Und eine pole­mi­sche.

+ + +

Frauen sollen auch das Recht haben, schlechte Filme zu machen – dies ist einer der dümmeren, dieser an klugen Sätze nicht sehr reichen Debatte.
Ich finde viele Argumente, die da aufge­bracht werden, irrele­vant, oft into­le­rant, gele­gent­lich stali­nis­tisch. Neulich hab ich zum Beispiel den Newspeak-Begriff »Cultural Appro­pria­tion« gelernt, »kultu­relle Aneignung«. Gemeint ist damit unter anderem, im Fasching als Indianer rumzu­laufen. Ist böse, weil man die Indianer nicht gefragt hat. Der Ausdruck wiederum ist bestimmt nicht gerechte Sprache. Nun inter­es­siert mich, ehrlich gesagt, gerechte Sprache nicht die Bohne. Schon deshalb, weil gerechte Sprache das Gegenteil von Gerech­tig­keit ist. Gerechte Sprache verfälscht die realen Verhält­nisse. Tarnt und maskiert und gibt den Spre­chenden noch ein gutes Gewissen. Gibt es weniger Rassismus, weil wir nicht mehr »Neger« sagen?
Es ist noch nichts auf der Welt besser geworden, weil wir unsere Sprache verändert haben. Was die Verhält­nisse besser macht, sind Verän­de­rungen der Macht­ver­hält­nisse.
Weil das die Linken nicht begreifen, gewinnen sie bei Wahlen nicht die Macht.

+ + +

Keiner sollte das Recht haben, schlechte Filme zu drehen – weder Frauen noch Männer. »Recht« kann ja hier nichts Juris­ti­sches oder Mora­li­sches heißen, sondern »das ästhe­ti­sche Recht«. Natürlich gibt es keine Zensur, gut so: Jeder darf jeden möglichen Müll produ­zieren. Aber wem nutzt es?
Was wir brauchen ist nicht political correct­ness, sondern ästhe­ti­sche Maßstäbe. Es ist bezeich­nend für den Status Quo, dass noch nie die Frage nach dem Ästhe­ti­schen ernsthaft zum Thema wurde.

+ + +

Der deutsche Film, nein: Das Kino überhaupt braucht mehr Toleranz für Expe­ri­mente und mehr ästhe­ti­sche Strenge glei­cher­maßen.

+ + +

Worum geht es in diesen ganzen Debatten, diesen verqueren Debatten? In jedem Fall müssen Frauen Geld einfor­dern: ökono­mi­sche Gleich­be­rech­ti­gung.
Ansonsten sollte man darüber offen reden, dass Frauen in der Regel keine Frauen fördern. Wenn also viel weniger Frauen als Regis­seure Filme machen, dann liegt das auch daran, dass viele Frauen in den Förder­gre­mien und den Redak­ti­ons­stuben sitzen,
Wenn man Frauen nach ihren persön­li­chen, ganz konkreten Erfah­rungen fragt, kommt eigent­lich selten ein konkreter Beleg. Benach­tei­li­gung scheint diffus – was keines­wegs beweist, dass es sie nicht gibt.

+ + +

Viel zu wenig unter­schieden wird auch zwischen zwei anderen Möglich­keiten: Wollen die Frauen nun an die Fleisch­töpfe, also Betei­li­gung am System, oder wollen sie das System als solches verändern, also die Fleisch­töpfe auskippen und »weib­li­ches Filme­ma­chen« einführen?
Hier könnte man sich klarere Posi­tionen wünschen, derzeit wabert die Debatte zwischen beiden Polen hin und her. Das System im Prinzip ist überaus schrottig – aber zu revol­tieren traut sich dann doch keiner. Was sich ändern muss, so scheint es, ist doch nicht primär ein weib­li­ches oder männ­li­ches Verhalten, sondern vielmehr die Wahr­neh­mung und die Bewertung des Systems.

+ + +

Ein Gespräch mit einer hoch­ran­gigen ARD-Mitar­bei­terin über das Sparen in den Sendern. Gespart wird selbst­ver­s­tänd­lich an den falschen Stellen, nicht an Betriebs­renten, sondern am Archiv. Inzwi­schen sei es so weit, dass BR und NDR nicht einmal mehr das zurück­lie­gende Jahr anständig in die Archive einpflegen würden. »Ein Politikum«, sagte die Redak­teurin. Weil an der Doku­men­ta­tion gespart wird und am »Verschlag­worten« des Programms, ist seriöse Archiv­re­cherche in manchen Sendern schon derzeit nicht mehr möglich.

+ + +

Gespräch mit einem Kino­be­treiber über die merk­wür­dige Politik der Verleiher: »Ich sympa­thi­siere mit Torsten Frehse« hatte ich gesagt. Der Satz provo­ziert offenbar: »Du sympa­thi­sierst mit Torsten Frehse?« Er kann es nicht fassen. »Der ist halt ein Zocker«. Und wir sprechen über die Vor- und Nachteile, die es hat, wenn Bruno Dumonts Die feine Gesell­schaft als Komödie vermarktet wird, in der Tradition jener fran­zö­si­schen Dödel­komö­dien, die in den letzten Jahren über dem deutschen Publikum ausge­gossen wurden. Und wenn zugleich fast alle Kopien in der deutschen Synchro­ni­sa­tion ins Kino kommen. Natürlich sei der Film lustig, aber doch ganz anders als etwa Monsieur Claude und seine Töchter. »Aber auf Deutsch ist es nicht komisch, wenn Juliette Binoche hyste­risch trällert... die, die den gesehen haben, finden ihn dann halt schlecht,.«
Allein in den letzten Wochen hat er sich oft geärgert: Farhadis The Salesman kam kaum mit Origi­nal­fas­sung ins Kino. Scorseses Silence außerhalb der Großs­tädte nur in OV oder synchro­ni­siert, »nie als OmU«. Schon Taran­tinos Django Unchained habe durch derartig dogma­ti­schen, unein­sich­tigen Umgang seiner­zeit viele Zuschauer verloren. »Aber wer versteht schon den Südstaa­ten­ak­zent von Leonardo Di Carpio?«
Da sieht man dann, wie dick der Sand im Getriebe des deutschen Kinos ist. Oben wird viel Geld hinein­ge­worfen, unten zerbrö­selt dann alles.

+ + +

Wie irre!! Jetzt muss der Mitar­beiter von »Price­wa­ter­house Coopers« (PwC) unter Poli­zei­schutz gestellt werden, weil er die Umschläge bei der Oscar-Verlei­hung falsch zuge­ordnet hat.

(to be continued)