07.04.2016
Cinema Moralia – Folge 132

Präzi­sionen, und Unprä­zises

Briefkasten
Auch »Artechock« ist eine Briefkasten-Firma. Aber darüber breiten wir lieber ein Mäntelchen des Schweigens

Die Heuchler dieser Woche – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 132. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Die Kunst ist die Schwester der Freiheit.«
Friedrich Schiller
Der Bruder der Unfrei­heit ist also die Anti-Kunst. Das deutsche Fernsehen.

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Neulich im Kino: Eine groß­ar­tige Zusam­men­stel­lung von zehn Kurz­filmen von Michael Klier, die es bei 451 auch auf DVD gibt. Schöner war es aller­dings, sie auf der Leinwand zu sehen. Eine seltene Verbin­dung aus Unschuld und Ernst, dabei durchaus verspielt. Der Flair einer verlo­renen Zeit, und die Erin­ne­rung an eine deutsche Nouvelle Vague, die es nie gab, bei den Ober­hau­se­nern schon gar nicht mit ihrem ganz anderen Ernst, einem humor­losen. Kliers Filme haben eine ruhigere ausführ­liche Betrach­tung verdient, auf die Schnelle kann man aber sagen, dass man sich mehr solche Filme wünscht in ihrer ganzen gran­diosen präzisen Beiläu­fig­keit.

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Man müsste eine Rubrik gründen, die »Sau der Woche« heißt, und das jeweilige Thema benennt, das die Republik gerade durch ihr Medi­en­dorf treibt.
Unsäglich jetzt wieder diese Aufregung um die »Panama Papers«. In heiligem Tonfall kündigen die Tages­themen da am Wochen­ende die Ergeb­nisse des »Recher­che­ver­bunds von NDR, WDR und Süddeut­scher Zeitung« an, als handle es sich um Wikileaks. Das Inter­es­sante: Die Recher­cheure wussten alles schon seit Monaten, hielten mit den Ergeb­nissen aber hinterm Berg, nicht etwa um sauber zu Ende zu recher­chieren, sondern um diese Ergeb­nisse zu verkaufen. Und um erstmal eine ARD-Doku dazu zu produ­zieren, in der dann sehr medi­en­wirksam Politiker zu sehen sind, die ein Interview abbrechen.
Die Nachricht in der Nach­rich­ten­sen­dung ist erst in zweiter Linie eine; vor allem funk­tio­niert sie als Trailer, um eine Woche lang Programm zu featuren, Quote zu machen, und natürlich auch, um eine süddeut­sche Tages­zei­tung zu verkaufen.

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Es geht um den Scoop, nicht um Wahrheit, Sach­lich­keit, Aufklärung.

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Im Grunde ist das Ganze inhalt­lich eine ziemliche Luft­nummer. Denn ganz ehrlich: Ist irgendwer über­rascht, dass manche Mächtigen und Reichen versuchen, ihr Vermögen zur Seite zu bringen? Warum diese ganze raunende pseu­do­in­ves­ti­ga­tive Chose um »Putins Schwie­ger­sohn«!!!! Mein Gott, was habt ihr denn erwartet? Oder geht es nur darum, jede Woche einen neuen Grund zu finden um den Putin an die Wand zu malen? Bei dem jetzt auch plötzlich »Präsi­denten der Ukraine« könnte man dann dazu erwähnen, dass er ein Hätschel­kind des Westens ist,
Aber statt­dessen hat die Stunde der Hypo-Kriten, Bieder­männer und Mora­li­sierer geschlagen. Für sie ist das jetzt wieder ein neuer toller Anlass für die üblichen Verdäch­tigen, nicht zuletzt unter den Jour­na­listen und Bericht­erstat­ter­kol­legen, sich eine Woche lang durch die Programme zu heucheln, um in Talkshows nach Luft zu schnappen vor lauter Empörung, um Kroko­dils­tränen zu weinen. Dieses ganze »die da oben, die Pösen, Pösen, Pösen« bedient am Ende nur die Rechts­extre­misten von der AfD.

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Etwas Präzision bitte. Dazu gehörte dann auch die Ehrlich­keit, dass Brief­kas­ten­firmen halt erstmal erlaubt sind, zweitens gängige Praxis. Auch in der Film­branche. Man hat einen Brief­kasten in irgend­einer Förder­re­gion, um dort förder­be­rech­tigt zu sein, zum Beispiel. Ich kenne berühmte Regis­seure, die sind aus dem Grund noch bei ihrer Mutter gemeldet.
Ich kann daran nichts Schlimmes finden.
Weder Brief­kas­ten­firmen sind das Problem, noch das arme Land Panama, das jetzt zum stehenden Begriff geworden, nur gängige Vorur­teile über Bana­nen­re­pu­bliken und schmie­rige Latinos bedient. Von Leuten, die nicht selten zumindest Verwandte mit irgend­wel­chen früheren Luxem­burger oder Schweizer Konten haben. Und jetzt halt anderswo.
Die Gefahr ist die, dass dem Steuer- und Reichen-Feldzug am Ende die Freiheit zum Opfer fällt. Das Problem ist die fehlende Trans­pa­renz – einer­seits, aber dann auch wieder der Moraleifer und Rein­heits­furor, mit der eine univer­sale Trans­pa­renz gefordert und verbreitet wird, jedes noch so kleine Eckchen ausge­leuchtet und noch das letzte Geheimnis zerstört wird.

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Aber erst aus dem Geheimnis kommt die Kunst.

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Mit der Trans­pa­renz aber kommt der Leviathan, die Macht eines staat­li­chen Über­wa­chungs­ap­pa­rats, der »vom Volk« und seiner Wut sogar »demo­kra­tisch« legi­ti­miert, am Ende repressiv auch gegen seine Legi­ti­ma­toren wirken wird. Zum Büttel dieses Apparats machen sich die smarten Jungs vom Recher­che­ver­bund mit ihren weißen Hemden und dem guten Gewissen. Gegen weiße Hemden ist ja nun auch wirklich nichts zu sagen.

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Was ist Propa­ganda? werde ich gefragt. Spontan fallen mir die Syrien-Photo­gra­phien ein, die Folter­opfer des Assad-Regimes zeigen. Sie sind grau­en­haft, fürch­ter­lich, auch wenn hier nicht reflek­tiert wird, wie Tote auf Phots eben wirken. Die Propa­ganda daran ist das Verhältnis zwischen der Breite, mit der diese Bilder gewürdigt werden und dem Schweigen über die Opfer der anderen Seite, die nicht weniger brutal gefoltert werden. Und erst recht über die Freunde des Westens, über Saudi-Arabien und die Türkei. Aber mit denen will man ja Handel treiben, nicht sie besiegen.

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Über die Toten nichts Böses, in Ordnung. Aber muss Guido Wester­welle gerade so öffent­lich in Nach­richten und Kommen­taren zu Grabe getragen werden, so wahn­sinnig senti­mental, und in jedem Satz seine Sensi­bi­lität betonend – als sei er plötzlich in seinem öffent­li­chen Bild kein schriller Krakeeler, sondern der Lieb­lings­schwie­ger­sohn der Repubik gewesen.

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Zum FFG, dem Film­för­der­ge­setz, erreicht uns nach der Stel­lung­nahme der Grünen jetzt auch eine Stel­lung­nahme der Linken. Die anderen Parteien in- und außerhalb des Bundes­tags haben dazu offenbar keine Meinung, sonst würden sie uns die bestimmt auch schicken. Hey, CSU! Ausnahms­weise kein baye­ri­scher Sonderweg?
Der bei der Linken für Film zustän­dige MdB Harald Petzold (ist ja schon mal ein guter Name für einen Filmmann) kümmert sich in erster Linie nicht um Fragen der Kunst und der Qualität der entste­henden und entstan­denen Kinofilme, sondern um Produk­tions- und Arbeits­ver­hält­nisse und erst in zweiter Linie um »kultu­relle/künst­le­ri­sche Kriterien für Kino- und Festi­val­filme«, die übrigens nicht nur das Publikum betreffen, sondern die Film­schaf­fenden selbst. Auch eine inter­es­sante Diffe­ren­zie­rung zwischen Kino- und Festi­val­filmen. Aber wir wollen nicht zu pingelig sein.

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Die Linken fordern: »Erwei­te­rung der Gender­ge­rech­tig­keit: nicht nur in Gremien, auch v.a. in Bezug auf Förderung«. Da wüssten wir gern mehr. Wie soll das denn gehen, bitte? Dann weiter ungekürzt:
-Regu­la­rien zu Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nissen: Kontrolle von Tarif/Mindest­löhnen
-Novelle als Auftakt, Forderung nach umfas­sender Evalua­tion des Gesamt- Förde­rungs­sys­tems, um dann die darauf­fol­gende Novelle ziel­ori­en­tiert zu gestalten
- Produzent_innen und Urheber_innen stärken, große Vielfalt, statt wenige Große
- Genre­viel­falt stärken: Doku­men­tar­filme, Kinder/Jugend/Animation
- inhalt­liche Diver­sität fördern
- Erhaltung Filmerbe
Nette Aufzäh­lung, ziemlich viel, ziemlich unpräzise. Da wird Frau Grütters gut schlafen können.

(to be continued)