17.02.2016
66. Berlinale 2016

Im Bikini-Atoll des deutschen Kinos

Klaus Lemke
»schlafwandelnde göttin trifft letzten der großen liebhaber diesseits der alpen.«

Der Wolf und die Schafe: Ey Bombe, Mann! Klaus Lemke und die deutsche Filmkunst – Berlinale-Tagebuch, 12. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Berlinale ist für Leute, die allein gelassen werden wollen mit dem, was sie nicht haben. Mal was anderes als diesen ewigen Euromüll. ...hoffent­lich verlö­schen bald wieder auch die letzten Berlinale-Grab­lichter – und wir tappen endlich wieder im Dunkeln.«
Lemke, 2016

+ + +

»Schlaf­wan­delnde göttin trifft letzten der großen liebhaber diesseits der alpen.« – Das ist der Stoff, aus dem Kino­pa­ra­diese sind. Einen Splitter dieses Para­dieses, manchmal auch größere Brocken, enthalten die Filme von Klaus Lemke. Der hat 2015 den Film Unter­wä­schelügen gedreht, mit Mela Feigen­baum und Henning Gron­kowski.
Der Regisseur selbst beschreibt sein Werk so: »Unter­wä­schelügen – eine halb­schwarze komödie aus den privaten darkrooms der künstler und banditen im umkreis der schwa­binger Akademie der Schönen Künste. Kann Genie noch alles? Oder ist nur im Bösen jede Lust zu finden? Ist das geheime verlangen aller – nur die Sehnsucht nach Spießig­keit? Kommt Film überhaupt noch ran an die verbo­tenen früchte? on location juli/august 2015 in muc Film Lemke abgedreht.«

+ + +

Die Berlinale hat ihn abgelehnt, was sie meiner beschei­denen Ansicht nach besser nicht getan hätte, was für den Regisseur aber fast schon einem Ritter­schlag gleich­kommt. »Attakke! NGM! No Govern­ment Movies! Fuck Berlinale! Lemke.« – solche Text- und Netz-Botschaften schickt er dann in die Welt heraus.
DADA wird 100, Klaus Lemke erst 75. Bombe!

+ + +

»Bye Bye Berlinale!! Wie museal darf die Berlinale noch sein? Voll­sub­ven­tio­niert wie das deutsche Theater? Verbe­amtet wie ein Rund­funk­or­chester? Längst sind fast beliebige US-Serien unendlich span­nender als jedes Produkt des feuda­lis­ti­schen deutschen förder­wahns. Das ganze system film in Deutsch­land ist ein Fußtritt in jedewede Krea­ti­vität. Lemke
Der deutsche Film ist in den Sech­zi­gern auf klas­sen­fahrt hängen­ge­blien, als die Ober­hau­sener Minister Höcherl wg Subven­tion für das Kulturgut Film angingen. Das war de facto der Anschluss an das Staats­kino der DDR.
Wir haben die schönsten Frauen. Wir bauen die feinsten Autos. Aber unsere Filme sind seitdem wie Grab­steine. Brav. Banal. Begü­ti­gend. Frigide. Käuflich und selber schuld. Lemke«

+ + +

Man sollte diese Beiträge zum deutschen Kino nicht unter­schätzen. Lemke ist lässig, aber obwohl er es nicht sein will, wäre er auch ein guter Coach, ein Antreiber, und einer der allen im deutschen Kino den Spiegel vorhält, egal, ob sie sich in ihm wieder­erkennen können und wollen, oder nicht.
»Nur deutsche filme versuchen noch die geballte Irra­tio­na­lität des Lebens auf ein Kreuz­wort­rätsel runter­zu­rechnen, bei dem zum Schluss alles zusam­men­passen muss. Dabei lassen selbst US-Block­buster die Welt immer noch etwas uner­klär­barer zurück als sie die Welt vorge­funden haben.«

»aber: wenn er nicht gewollt hätte, das sie geschoren werden – hätte der liebe gott deutsche film­re­gis­seure nicht zu schafen gemacht. Der deutsche Film ist in den Sech­zi­gern auf klas­sen­fahrt hängen­ge­blien, als die Ober­hau­sener Minister Höcherl wg Subven­tion für das Kulturgut Film angingen. Das war de facto der Anschluss an das Staats­kino der DDR.
Wir haben die schönsten Frauen.
Wir bauen die feinsten Autos.
Aber unsere Filme sind seitdem wie Grab­steine. Brav. Banal. Begü­ti­gend. Frigide. Käuflich und selber schuld. Lemke«

+ + +

Lemke ist auch ein guter Zeuge jener Zeit, als das deutsche Kino mal jung war. Ich glaube, dass diese Beschrei­bung zum Beispiel recht exakt ist: »...letzte Woche auf die Frage eines bloggers: ob Warhol oder Godard in den Sech­zi­gern für uns wichtiger war? In den Sech­zi­gern waren wir alle in dasselbe verliebt: In uns. Und dass uns das Leben vor lauter Begeis­te­rung aus der Hand fressen müsste, wenn wir nur immer so weiter­ma­chen. Bis wir dann in den 80ern selbst zum Futter wurden. DAMALS waren Warhol und Godard besten­falls Statisten. Niemand konnte sich eine Welt vorstellen, in der wir nicht selbst die Größten waren.«
Da versteht man erst, wie blöd diese heute beliebte, aber eben auch biedere Frage nach Vorbil­dern, nach Leuten, die wichtig sind, den Jungen von damals vorkommen muss, wie alt wir alle im Vergleich sind.
»Ganz früher haben sich Regis­seure für Film und Mädchen inter­es­siert. Ab den 80ern nur noch für Film­technik und Catering. Heute exklusiv nur noch für den artge­rechten Einbau von Wand­schränken und die neuen Garten­möbel.«

+ + +

Jetzt dreht er gerade wieder in Spanien, auf Fuer­te­ven­tura: »A Story from Hell... mal nicht cool und gekonnt, aber mit fiebrig-schäbiger eleganz mörde­risch verant­wor­tungslos korrupt anstren­gend und geil. er ist ein hoch­ex­plo­siver Mix aus deutsch, geld irra­tional, suicide.maniac – den die blacks als reinkar­na­tion eines brutalen Vodoo­mons­ters sehen. Aber auch daz ALLES zählt nicht bei dieser eve-of-destruc­tion: diese Venus killt das Monster. Er wird mumi­fi­ziert. Von den Blacks als Gott angebetet. Als Gespenst verfolgt er weiter seine uner­reich­bare Geliebte.«
Wer möchte diesen Film nicht sehen?

+ + +

»Hingelüm­melt aufs sprung­brett ins nirvana: sollte man 75 öfters mal die eigene meinung komplett ratzfatz igno­rieren. nicht nur immer die anderen. man muss film umarmen. und dann plündern wie die päpste die kirche. Mit fiebrig-schäbiger Eleganz. Besitos, K«

+ + +

Wer sie einmal kennen­ge­lernt hat, vergisst sie nicht. Safia. Mal unter dem Namen Safia de Monney als Schau­spie­lerin aktiv, jetzt als Safia Al Bagdadi Buch­au­torin. Kennen­ge­lernt haben wir uns, als wir beide noch für Filmfest München arbei­teten, also vor langer langer Zeit, was man Safia nicht anmerkt. Sie ist jung geblieben. Jetzt haben wir’s nach Berlin geschafft, und am Diens­tag­abend gibt es den ulti­ma­tiven Lesungs­termin:
16. Februar, 19h30 in der Buch­hand­lung »Uslar & Rai«, Schön­hauser Allee 43, 10435 Berlin.
Es lesen auch die Autoren Sven Stricker und Tom Liehr aus Ihren Romanen, die humorvoll und absolut hörens­wert sind!
Das ist der aller­beste Berlinale-Ausweich­termin für die, die sowas nötig haben. Dieter Kosslick hat sich angeblich ange­meldet.