Cinema Moralia – Folge 113
Ist hier das Positive? |
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Der einzige deutsche Film in Locarno: Der Staat gegen Fritz Bauer mit Burghart Klaußner. Außer Konkurrenz | ||
(Foto: Alamode) |
»Die Schere zwischen den Reichsten und den Ärmsten wird sich schließen – das haben wir in der Geschichte oft genug gesehen. Entweder durch Revolution, oder durch höhere Steuern, oder durch Krieg.«
Paul Tudor Jones II, Hedgefondsmanager,1 US-Milliardär auf Rang 106 der reichsten Amerikaner (ca 3,6 Milliarden Dollar)
»Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln.
Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses im Sinne des § 353 b StGB durch einen Journalisten reicht im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht aus, um einen den strafprozessualen Ermächtigungen zur Durchsuchung und
Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. ...«
Die Pressefreiheit umfasst auch den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten. ...
Die Freiheit der Medien ist konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Eine freie Presse und ein freier Rundfunk sind daher von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat. ... Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk und den Informanten. Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese
Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann.
Bundesverfassungsgericht, Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 27. Februar 2007.
Wo bleibt das Positive? fragen wir mal wieder mit Tucholsky. Verdammt nochmal! Ich will wirklich nicht, dass diese Kolumne hier zur Meckerecke mutiert, und ich zum Meckerfritzen. Aber es ist gar nicht so einfach, das in die Tat umzusetzen.. Am Wochenende saß ich mit Freunden zusammen, die sich alle für Kino und Fernsehen interessieren, darunter eine durchaus gut beschäftigte Schauspielerin und eine Produzentin. Meine Frage in die Runde: Erzählt mir doch mal, was ihr alles am
deutschen Kino gut findet?
Antwort erstmal Schweigen. Dann Kommentare, die mit »Also ich find' schlecht, dass...« oder »Scheiße ist zum Beispiel...« oder »Gut? Ja, finde ich gut?« beginnen.
Dann redeten wir über Victoria von Sebastian Schipper. Den fanden wir wirklich alle gut.
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Anderen geht es offenbar genauso. Beim Filmfestival von Locarno, das heute Abend eröffnet wird – mit dem Film Ricki and the Flesh von Jonathan Demme, der vor 25 Jahren mit Das Schweigen der Lämmer weltberühmt wurde. Meryl Streep spielt darin eine Rocksängerin, die für ihre Showbiz-Karriere vieles aufgegeben hat, und jetzt nach Hause zurückkehrt, und ihre Familie zurückgewinnen will. Bericht folgt – bei diesem Festival läuft wieder mal kein einziger deutscher Film im Wettbewerb. Co-Produktionen mit mehr oder weniger cleverem deutschem Geld zählen hier nicht, die gehören nur in Pressemitteilungen der Funktionäre. Wir reden von Autorenkino, also deutsche Regisseure und vielleicht noch Drehbuch, oder wenigstens deutsche Sprache, Stoffe und Mehrheitsanteile einer deutschen Produktion.
Immerhin auf der Piazza Grande, also außer Konkurrenz, kommt Der Staat gegen Fritz Bauer von Lars Kraume, in dem Burghart Klaußner den berühmten Nazi-Jäger spielt. Auf den bin ich sehr erwartungsfreudig gespannt, weil ich Kraumes Filme mag, und Burghart Klaußner toll finde.
Jenseits dessen aber gibt es nur ein paar Filme in den Nebenreihen.
Wer jetzt glaubt, die seien alle in Venedig, den muss man enttäuschen. Während letztes Jahr immerhin drei deutsche Filme in Venedig liefen (ich weiß, ich hab hier besonders gut reden, den Von Caligari zu Hitler war einer davon), gibt es in diesem Jahr keinen einzigen! Und für San Sebastian sieht es nach allem was man hört nicht viel besser aus.
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Das ist ein Problem. Denn woran wir alle, unabhängig von unserem Geschmäckern und Vorlieben und unserer persönlichen Vorstellung von deutschem Kino ja interessiert sein sollten, ist doch, dass der deutsche Film international wahrgenommen wird, dass er international in den Hirnen der Nichtdeutschen stattfindet. Mit nationalem Dumpfsinn hat das nichts zu tun, noch nicht mal mit Patriotismus. Sondern mit Eigeninteresse. Die deutsche Gesellschaft selbst braucht den Dialog
mit anderen Filmkulturen, und wenn man will, dass das Kino hier besser ist, muss raus aus dem Schrebergarten, auf Festivals in anderen Ländern. Wenn sich kein deutscher Filmemacher dem Blick der anderen und der Konkurrenz mit ausländischem Kino stellt, wird hier zuhause nichts besser.
Insofern haben wir ein Problem.
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Schon in den letzten Jahren sah es bei internationalen Festivals zunehmend schlechter aus. Deutsches Kino findet nicht mehr in der ersten Reihe statt, sondern nur in der zweiten oder dritten. Sprich: Bei nachrangigen Festivals oder bestenfalls in Nebensektionen.
Mal ein Wenders hier, mal ein Petzold da, aber selbst der Glanz der Altmeister und die internationale Attraktivität der Berliner Schule verblassen spürbar.
an sieht an dieser erschütternd schwachen Bilanz auch, dass man die Teilnahme am Wettbewerb eines A-Festivals als als ernsthaftes Kriterium für Referenzförderung vergessen kann. Das ist nicht mehr als eine Sonntagsreden-Floskel. ein Feigenblatt für Nichtstun. Funktkionäre und Politiker sagen dann gern: »Je, wenn die Filme nicht überzeugen, ist das schade, aber es ist eben so«, um dann im nächsten Absatz ihrer Rede auf »die Stärke des deutschen Kinos« hinzuweisen.
Die entsprechenden Referenzgelder gibt es zur Zeit allein noch für Berlinale-Wettbewerbsfilme, womit man nicht nur Dieter Kosslick eine Macht als Förderfürst gibt, die ihm nicht zusteht, sondern ein System subtiler Selbstbedienung und Kumpanei etabliert, dass allen Beteiligten peinlich sein müsste.
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Nicht nur wir mögen Sebastian Schippers Victoria, auch Kirsten Niehuus, die Förderintendantin des Medienboards Berlin-Brandenburg. Der war nämlich ihr Lieblingsgegenbeispielbeispiel – ich glaube auch, ihr einziges – in einem Gespräch mit der Sendung »Fazit« im Deutschlandradio Kultur, in dem es aus Anlass der Locarno-Eröffnung ebenfalls darum ging, warum eigentlich kaum mehr ein Film in internationalen Wettbewerben läuft. Niehuus schlug sich den schlechten Umständen entsprechend gut. Das Gespräch belegt vor allem, dass jetzt allmählich die schwelende Debatte über eine Reform der Filmförderung auch öffentlich ins Rollen kommt.
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Den Verweis auf die Berlinale finde ich allerdings falsch. Denn wenn die vielen deutschen Filme im Berlinale-Wettbewerb eine zureichende Erklärung für die Abwesenheit deutscher Filme in anderen A-Wettbewerben wären, dann dürfte es ja logischerweise keine französischen Filme jenseits von Cannes und keine italienischen jenseits von Venedig geben. Es gibt sie aber zuhauf – drei Italiener in Cannes zum Beispiel. Und sind argentinische, japanische, österreichische und
dänische Filme nur deshalb international so stark, weil es bei denen zuhause kein A-Festival gibt?
Nein, die Ursachen liegen viel tiefer. Sie liegen in einer falsch konstruierten, einseitig an ökonomischen Erfolgs-Erwartungen (Erwartungen!!! Hoffnungen und Spekulationen) orientierten und fernsehverseuchten Filmlandschaft und am Fehlen einer echten Filmkultur, die differenziert, streitlustig, dabei offen und neugierig ist.
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Einen wichtigen Punkt hat die Kulturstaatsministerin Monika Grütters erkannt und glücklicherweise offen angesprochen: Den unseligen Fördertourismus, und die Tatsache, dass Produzenten zu Entscheidungen gezwungen sind, die die Filme teurer machen und künstlerisch kontraproduktiv sind. Die zentralistischeren, mehr an Kultur und den Wünschen der Filmemacher orientierten Systeme in Frankreich, Dänemark und Österreich zeigen, wie man erfolgreiche Kino begründen kann.
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Eine der größten Fehlleistungen des jetzigen Filmfördergesetzes ist, dass es in der Referenzförderung keinen Unterschied zwischen Großen und Kleinen macht – einen echten Mittelstand gibt es in unserer Filmlandschaft ja leider gar nicht, sondern nur verschieden kleine Firmen neben den Großen, die man an einer Hand abzählen kann. Im Ergebnis bekommen dann wegen der unseligen »Schwellen« die Großen alles Geld, und die Kleinen nichts – denn wer schafft heute schon 50.000 Zuschauer?
Mit einer Belohnung von ökonomischem Erfolg hat das gar nichts zu tun. Denn oft ist ein Film in Prozentsätzen gerechnet sehr erfolgreich, obwohl er wenige Zuschauer hat. Zudem gibt es in der Vergangenheit einige Beispiele für Filme in A-Wettbewerben, die trotzdem dann nicht die Schwelle für Referenzgelder erreichen.
Hier ist das System grundsätzlich faul.
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Jeder hat es mitbekommen: Die zweite und die dritte Macht des Staates streiten sich um die vierte. Ein Bundesanwalt betreibt selber Politik, wirft das aber anderen vor. Er fordert eine Trennung von Politik und Recht – als ob sie möglich wäre. Politische Justiz: Man möchte von solchen Leuten nicht regiert und nicht geschützt werden.
Einmal mehr erlebt man an den Reaktionen in der Affaire um BfV und »netzpolitik.org« die Folgen des traurigen Erbe des Rechtspositivismus und der Naturrechtsverachtung in Deutschland. Und fast in Vergessenheit gerät das Offensichtliche: Unsere Geheimdienste sind weder geheim noch dienen sie. Besser gesagt: Sie geben sich geheim vor den Bürgen und dienen den Mächtigen, aber nicht ihren Auftraggebern.
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Natürlich hat diese Affaire sowieso mit uns zu tun, weil wir alle Bürger sind. Sie hat aber auch mit uns als Medium zu tun: Internet-Autoren und Blogger sind auch Journalisten, auch wenn das einigen nicht gefällt. Und alle Ansätze, die es leider auch in der deutschen Politik gibt, nicht nur in de Türkei des Populisten und De-facto-Diktators Erdogan, dazu, der Presse zu erklären, was sie darf und was nicht, worüber sie schreiben darf und worüber nicht, muss man bekämpfen – im Eigeninteresse. Und im Interesse einer funktionierenden Öffentlichkeit, die mehr denn je Informanten, Whistleblower und den tugendhaften Verrat, ja eine Kultur des Verrats braucht.
Die BfV-Affaire hat auch mit dem deutschen Kino zu tun: Wer sitzt jetzt an einem Politthriller, der die Verfassungschützer als Verfassungsfeinde zeigt? Die Whistleblower als Helden allein gegen alle? Wer traut sich, das zu fördern und mit Fernsehgebührengeld zu finanzieren?
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Eine typisch deutsche Lachnummer ist die plötzliche Aufregung um die Beteiligungsgesellschaften unserer Fernsehsender. Musste da wirklich erst die FAZ mit einem Medienwissenschaftler kommen, damit wir erfahren, dass Produktionsfirmen und Fernsehsender »auf irrsinnige Weise miteinander verwoben« sind? Das hat jetzt Harald Rau einer staunenden deutschen Öffentlichkeit offenbart. Dann teilen es alle schön unkommentiert auf facebook. Als wüssten wir nicht längst, dass es
ist wie es ist.
Hier kann man alles nachlesen.
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Auch die Ukraine amputiert gerade einen Teil ihrer eigenen Kultur und Geschichte. In dem ach so freien, westlichen, weltoffenen Land, das in fünf Jahren EU-Mitglied werden möchte, hat das Kulturministerium zwei Listen mit Namen ausländischer Künstlern veröffentlicht. Auf einer »schwarzen Liste«, die inzwischen dem ukrainischen Geheimdienst übergeben worden ist, stehen die Namen von 117 Künstlern, die nach Ansicht des Kulturministeriums von Kiew »eine Gefahr für die Sicherheit der Ukraine« darstellen.
Diese Künstler dürfen nicht mehr in der Ukraine auftreten. Das ukrainische Fernsehen darf keine Filme mehr zeigen, an denen sie beteiligt waren – gleich welchen Inhalts. So sind in der Ukraine jetzt viele Klassiker des sowjetischen Kinos verboten, aber auch Filme mit Gérard Depardieu. Denn der französische Schauspieler mit russischem Pass ist der prominenteste der in Ungnade gefallenen Künstler. Zur Krise in der Ukraine hat er seinerzeit erklärt, er liebe die Ukraine, aber für ihn sei nicht mehr als ein Teil Russlands.
Eine sogenannte »weiße Liste« nennt Personen, die in der Ukraine ausdrücklich willkommen sind. Unter ihnen Arnold Schwarzenegger.
Zusätzlich wurden in der Ukraine bis jetzt fast 400 russische Filme und Fernsehserien verboten. Willkommen im neuen Europa!
(To be continued)