Cinema Moralia – Folge 105
Piloten ist nichts verboten |
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Godard im Flugzeug aka Soigne ta droite | ||
(Foto: VEGA DISTRIBUTION AG) |
»You pilots are such men.« – »They don’t call it the cockpit for nothing, honey.«
aus: »Airport ‘79«
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Ging es Ihnen, liebe Leser, ähnlich? Als ich die ersten Nachrichten über das Flugzeugunglück in Frankreich hörte, dachte ich an andere Zwischenfälle mit dem Airbus und dann so etwas, wie: »Das kommt davon, wenn sich Menschen an die Maschinen ausliefern.« Analog zu Richard Stallmans Feststellung aus dem GNU Manifest: »With software, either the users control the program, or the program controls the users.« Es gibt ein verständliches Unbehagen daran, dass Maschinen die Herrschaft
übernehmen, und der Mensch immer größere Lebensbereiche aus der Hand gibt in die von Maschinen – die natürlich menschengemacht sind.
Aber für die Katastrophe von Flug 9525 von Barcelona ist offenkundig kein technischer Defekt verantwortlich, sondern ein Mensch, der den Computer ausgeschaltet hat und die menschengemachten Sicherheitsvorschriften, nach denen er ihn ausschalten konnte und auch durfte. Und so hätte man sich, wenn schon keiner seiner Kollegen dies
verhindern konnte, einen autoritären Bordcomputer wie HAL (aus Kubricks 2001) im Nachhinein geradezu herbeigewünscht, oder zumindest einen Terminator, der den Co-Piloten rechtzeitig gestoppt hätte.
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Und anders als denjenigen, die im Fernsehen kommentierten, empfand ich es nicht als »noch schrecklicher« oder gar als »die schlimmstmögliche Nachricht«, zu erfahren, dass es kein Maschinen- und kein Computerfehler war, und noch nicht mal »menschliches Versagen«, wie im Fall der Air France, die 2009 über dem Atlantik abstürzte, sondern einfach ein durchgeknallter Irrer, ein eitler Wichtigtuer, der der eigenen Selbstvernichtung – wie sonst nur politische Verbrecher
– zusätzliche Bedeutung verleihen wollte, indem er andere mit sich sterben ließ.
Es ist doch eher ziemlich tröstlich, zu wissen, dass der technische Fortschritt durch 9525 keineswegs widerlegt worden ist, sondern dass man sich auf die Maschinen weiterhin verlassen kann, darauf, dass die Sicherheitssysteme zwar schon gut sind, jetzt noch ein bisschen sicherer werden. Dass weiterhin gilt, was in der ersten Verfilmung von Alex Haileys Airport 1970
schon ein Filmfazit ist: »When you get to be older, there isn’t a lot left to be frightened of. ... I've flown thousands of miles and I can tell you it’s a lot safer than crossing the street!«
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Ein paar kurze Stunden flatterte der Klarname des höllischen Copiloten durchs Netz. Dann wurde er, aus jenem in Deutschland so falsch verstandenen Medienpietismus heraus in den meisten deutschen Artikeln gelöscht, und durch »Andreas L.« ersetzt. Auf den zwei, drei öffentlich Bildern, die es von dem Mann gibt, ist das Gesicht verpixelt. Alles angeblich, um seine Angehörigen zu schützen, als ob nicht die Außenposten eben dieser schützenden Medien längst sein Haus und seine Eltern
belagerten, als ob nicht zum gleichen Zeitpunkt die Kellerasseln des Betriebs jeden Stein im Leben des Mannes, der zum Massenmörder wurde, umdrehten. Hinter jedem Moralismus lauert eine gehörige Form Heuchelei, hinter jedem hohen Ton die Eitelkeit – das gilt für Medien nicht minder, als für Wirtschaft und Politik.
Die Schnelligkeit, mit der die Seiten verändert wurden, weckt eher den Ehrgeiz den Namen doch zu erfahren, und auf ausländischen Seiten, etwa allen britischen
Blättern kann man ihn lesen, erfahren, was Freunde, ehemalige Mitschüler und Kollegen über ihn denken, und natürlich die unverpixelten Bilder sehen.
Es ist also nicht nur praktischer Unsinn, sich hier nicht mehr Transparenz zu gestatten, weil man alles im Netz erfahren kann. Derartige Selbstzensur der deutschen Öffentlichkeit schürt nur die Paranoia, die Vermutung, hier solle was auc himmer vertuscht werden – wie man auf vielen Seiten anhand der Leser-Statements
nachvollziehen kann.
Gerade im Angesicht solcher Katastrophen, gerade im Moment, indem sie sich ereignen, scheint es mir wichtig, dass wir uns im Bewusstsein halten, wie wir sie wahrnehmen, und mit diesen Wahrnehmungen umgehen.
Da ist mir die unbedingte Aufklärungs- und Informationswut der Briten lieber. Der deutsche Umgang bedient nicht weniger den Voyeurismus des Publikums, nur anderen.
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So schrecklich sie sind, die Nachrichten über das Flugzeugunglück in Frankreich, so sehr drängten sich am Donnerstagnachmittag schnell auch wieder all die filmischen Zeichen in den Vordergrund, die sie begleiten. Nicht allein jene offenkundigen des Flugzeugkatastrophengenres, aus den besonders 1970er Jahren. In den zumindest vom Lebensgefühl her wahnsinnig sicheren, darum überaus liberalen Easy-Listening-Seventies liebte man überhaupt die Katastrophenfilme: Erdbeben, Flammendes Inferno. Da Kino immer die Ängste der Menschen spiegelt, kann man in den vier »Airport«-Filmen zwischen 1970 und 1979 und ihren vielen Verwandten (z.B. der unvergessene Verschollen im Bermuda-Dreieck) nicht nur den technischen Fortschritt von der Boeing 707 über die 747 zur Concorde erkennen, sondern einen Reflex auf den neu aufgekommenen Massentourismus per Flugzeug. Die Fliegerei verlor ihren Heroismus und der Schrecken wechselte die Kleider: Der überaus niedliche Nazi Quax, der Bruchpilot und die Tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten wurden abgelöst durch smarte Zivilisten in hellblauen Pilotenhemden, durch Jack Lemmon oder Alain Delon, Nachfolger von Hans Albers im 1932er Ufa-Film F.P. 1 antwortet nicht (»Flieger, grüß mir die Sonne«) und Vorläufer von Leonardo Di Carpios PanAm-Hochstapler in Catch Me If You Can, auch ein Titel, der heute merkwürdig klingt.
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Es ist aber wieder einmal nicht Hollywood mit seinen derartigen Schmonzetten, in denen Piloten nichts verboten ist, und tapfere Männer ganze Arbeit leisten im Grabenkampf gegen Maschinenfehler, Ingenieurshybris und schlechtes Wetter – »Emergency Room« über den Wolken –, sondern es ist Jean-Luc Godard, dessen Kino hier wie so oft das eine prophetische Bild erzeugt hat: 1987 in seinem episodischen, für Godard-Verhältnisse sprudelnd witzigen Film Soigne ta droite (aka Keep your Right Up) schildert Godard einen Flug mit einem selbstmörderischen Piloten, der im Cockpit-Sessel das Buch »Anleitung zum Selbstmord« liest. Godard selbst ist einer der Passagiere, und auch seine Figur ist eher nihilistisch gestimmt: Ein Filmregisseur, der Dostojewskis »Der Idiot« liest.
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Wer gestern nach dieser Erinnerung dann auch das Bild sah, das vom German-Wings-Co-Piloten vor allem im Netz kursierte, jenes Urlaubsbild, dem konnten noch einmal die Haare zu Berge stehen: Da saß Andreas L. ja nicht vor irgendeiner Brücke, sondern direkt vor jener »Golden Gate Bridge« der San Francisco-Bay, die auch als »Selbstmörderbrücke« berühmt ist. Wem das bewusst ist, dem muss jenes Bild wie der Vorschein des Kommenden erscheinen, wie eine unbewusste Warnung vor dem Kommenden
aus dem Abgrund der Verzweiflung.
Die »Golden Gate Bridge« ist genau aus diesem Grund auch die Brücke von Vertigo. An deren Fuß fischt James Stewart Kim Novak aus dem Wasser.
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Die »Katastrophenphantasie«, schrieb Susan Sontag, ermögliche uns Menschen »mit den Schreckgespinsten der Banalität und unvorstellbarem Schrecken fertig zu werden.« Kino ist der Ort dieser Phantasie, ist Nachdenken über dieses Unausdenkbare.
Es ist zumindest bemerkenswert, wie sehr Flugzeugunglücke die Filmemacher immer schon faszinierten: Antonioni schrieb eine seiner wenigen Kurzgeschichten über ein Flugzeug, das in einem Bergdorf zerschellt ist, und einen Mann,
der das Wrack auf Überreste untersucht.
Von dem leider etwas vergessenen Regisseur und Autor Will Tremper stammt die berühmteste Zeitungsserie zum Thema, deren Titel so sarkastisch wie witzig sprichwörtlich wurde: »Runter kommen sie immer«.
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»Über den Wolken« sang Reinhard Mey, »muss die Freiheit wohl grenzenlos sein«. Dieser Song ist nicht nur eine Analyse der Seelenlage der alten Bundesrepublik in a Nutshell – »Irgendjemand kocht Kaffee/ In der Luftaufsichtsbaracke/ In den Pfützen schwimmt Benzin/ Schillernd wie ein Regenbogen/ Wolken spiegeln sich darin/ Ich wär' gern mitgeflogen« – sondern spätestens ab heute transportiert er auch eine bittere, selbstkritische Einsicht in die Grenzen der
Selbstermächtigung des Einzelnen, die Hybris des Wahns absoluter individueller Freiheit. Man kann es nicht mehr hören ohne bitteren Beigeschmack: »Über den Wolken/ Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein/ Alle Ängste, alle Sorgen/ Sagt man/ Blieben darunter verborgen
Und dann/ Würde was uns groß und wichtig erscheint/ Plötzlich nichtig und klein.«
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.