28.08.2008
65. Filmfestspiele von Venedig 2008

Löwen los am Lidostrand

BURN AFTER READING
BURN AFTER READING
(Foto: Tobis Film)

Geschlecht und Charakter, Intelligenz und Idiotie: Die »Mostra« eröffnet mit der Geheimdienstfarce Burn After Reading der Coen-Brüder

Von Rüdiger Suchsland

Noch wird eifrig gehämmert und geschraubt am Mitt­woch­vor­mittag am Lido. Wieder einmal entsteht erst auf den aller­letzten Drücker aus der verschla­fenen Spät­som­mer­stim­mung des Feri­en­strandes von Venedig ein vibrie­rendes Film­fes­tival, das für zwölf Tage den Nabel der Kinowelt bildet: Rund 120 Filme werden gezeigt, Tausende akkre­di­tierte Profes­sio­nelle und gut zwei­hun­dert Stars und Regis­seure werden kommen – bis Mittwoch Abend musste alles fertig sein zur großen Eröffnung. Denn dann stranden die für manche schönsten Männer der Welt braun­ge­brannt auf dem Roten Teppich vor dem strah­len­de­weißen moder­nis­ti­schen Kino­pa­last am Lido­strand: George Clooney und Brad Pitt waren die blendend ausse­henden die Stars zur Eröffnung der 65. »Mostra de Cinema«.

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Sie spielen zwei der Haupt­rollen in dem Eröff­nungs­film Burn After Reading. Das neueste Werk der Coen-Brüder (die zuletzt erst im März für NO COUNTRY FOR OLD MEN mehrere Oscars gewannen), das bereits Anfang Oktober in die deutschen Kinos kommt, ist eine hand­werk­lich virtuos insze­nierte, ziemlich alberne Geheim­dienst­komödie. Oder auch eine Komödie moderner Geschlech­ter­be­zie­hungen. Denn im Zentrum stehen drei Männer, zwei von ihnen CIA-Mitar­beiter und drei Frauen. Unter der Ober­fläche ist die Coen-Sicht auf das mensch­liche Bezie­hungs­leben dann gar nicht mehr so witzig, sondern recht düster und pessi­mis­tisch: Keine Ehe ist glücklich, die Männer sind durchweg Schwätzer, Voll­idioten, unin­ter­es­sant und ange­be­risch, die Frauen stärker, erfolg­rei­cher, dem »starken Geschlecht« überlegen. Und auch Woody Allens mörde­ri­sche Komödie Husbands and Wives kommt einem in den Sinn.

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»Was haben wir gelernt? Den gleichen Fehler nicht zweimal zu machen. Aber was haben wir eigent­lich falsch gemacht?« – diese letzten Sätze des Films sind ein Lacher. Denn sie kommen aus dem Munde eines leitenden Geheim­dienst­lers, nachdem man der CIA knapp zwei Stunden dabei zuschauen konnte, wie sie wieder mal einen Fehler nach dem anderen macht. Der Film ist eine Art Verfil­mung von »Murphys Law«. Man könnte auch sagen: Ein Film über das Leben. Von Anfang an geht hier jeden­falls schief, was schief gehen kann.

Ein einer Art Google-Earth-Zoom rast das Bild aus dem Weltall auf das CIA-Haupt­quar­tier bei Washington zu. Der CIA-Beamte Osborne Cox (John Malko­vitch) wird versetzt, weil er angeblich ein Alko­hol­pro­blem habe (Schöner Dialog: »You have a drinking problem.« – »I have a drinking problem? You are a mormon. Next to you we all have a drinking problem.«). Er kündigt spontan, wir sehen ihn zuhause bei seiner eiskalten Frau (Tilda Swinton), die sobald Ebbe in Haus­halts­kasse droht, an Scheidung denkt. Bei einer Party am Abend lernen wir ihren Geliebten kennen, Harry Pfarrer (George Cloony), ebenfalls CIA-Agent und mit einer wesent­lich erfolg­rei­chen Kinder­buch­au­torin verhei­ratet.

Als zwei Mitar­beiter eines Fitness­stu­dios mit dem schönen Namen »hard­bo­dies« – Frances McDormand als alternde Allein­ste­hende auf Männer­fang, die verzwei­felt das Geld für Schön­heits­ope­ra­tionen zusam­men­zu­kratzen versucht, und Brad Pitt als vertrot­telter Schönling – über ein paar Zufälle in den Besitz von einer CD mit Cox' Geheim­dienstakten kommen, und versuchen, den Ex-Agenten zu erpressen, spitzen sich die Dinge schnell zu…

Burn After Reading ist eine sarka­ti­sche, über­drehte Komödie der Irrungen und der mensch­li­chen Schwächen; und Starkino der alten Schule mit viel Dialog­witz und genug Substanz, um ein Festival dieser Dimension ange­messen zu eröffnen.

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Alles in allem ist das Thema des Films die allge­meine Verblö­dung und Infan­ti­li­sie­rung: In einer Szene sagt Cox/Malko­vitch dem Westen­ta­sche­nerpresser Pitt die Meinnung: »Du reprä­sen­tierst die Idiotie der Gegenwart. Die Liga der Voll­trottel.« So etwas möchte man doch gern öfters im Kino sehen.

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Am Donnerstag beginnt das Rennen um den begehrten Goldenen Löwen. Und gleich am Abend hat dann der deutsche Film seinen ersten Auftritt auf dem Roten Teppich: Jerichow, der neue Film von Christian Petzold (Yella) eröffnet den Wett­be­werb. Hier werden dann auch die neuen Filme von zum Beispiel Jonathan Demme, Kathryn Begelow und dem Deutschen Werner Schroeter, der nach über zehn Jahren Theater ins Kino zurück­kehrt. Mit beson­derer Spannung erwartet werden aber (noch) unbe­kann­tere Namen: der Türke Semi Kapla­noglu, der Chinese Yu Lik-wai und der Mexikaner Guillermo Arriaga – heimliche Favoriten für die Preise in zehn Tagen. Außer Konkur­renz laufen unter anderem neue Filme der Fran­zö­sinnen Claire Denis und Agnes Varda, sowie des legen­dären Iraners Abbas Kiaros­tami. Die Retro­spek­tive widmet sich dem Erbe des italie­ni­schen Nach­kriegs­kino des Neorea­lismus.

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Zwei Filme aus den Neben­reihen beein­druckten schon gleich zum Auftakt: Una Sema Solos von der Argen­ti­nierin Celina Murga – ein bezau­bernder Film über Kinder, die in einem Reichen­ghetto sich selbst über­lassen sind. Und Prescuit Sportiv vom Rumänen Adrian Sitaru. Ein Film über einen harmlosen Angel­aus­flug, der zum Drama gerät: Ein Spiel mit Vermu­tungen, ein Film über Miss­trauen, über Freiheit und Glück. Über beide Filme bei nächster Gele­gen­heit mehr – zwei über­ra­schende, souveräne, spannende Debüt­filme, die wie überhaupt das in Papier­form sehr anspre­chende Programm Hoffnung wecken auf ein groß­ar­tiges Festival.

Rüdiger Suchsland