65. Filmfestspiele von Venedig 2008
Löwen los am Lidostrand |
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BURN AFTER READING | ||
(Foto: Tobis Film) |
Noch wird eifrig gehämmert und geschraubt am Mittwochvormittag am Lido. Wieder einmal entsteht erst auf den allerletzten Drücker aus der verschlafenen Spätsommerstimmung des Ferienstrandes von Venedig ein vibrierendes Filmfestival, das für zwölf Tage den Nabel der Kinowelt bildet: Rund 120 Filme werden gezeigt, Tausende akkreditierte Professionelle und gut zweihundert Stars und Regisseure werden kommen – bis Mittwoch Abend musste alles fertig sein zur großen Eröffnung. Denn dann stranden die für manche schönsten Männer der Welt braungebrannt auf dem Roten Teppich vor dem strahlendeweißen modernistischen Kinopalast am Lidostrand: George Clooney und Brad Pitt waren die blendend aussehenden die Stars zur Eröffnung der 65. »Mostra de Cinema«.
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Sie spielen zwei der Hauptrollen in dem Eröffnungsfilm Burn After Reading. Das neueste Werk der Coen-Brüder (die zuletzt erst im März für NO COUNTRY FOR OLD MEN mehrere Oscars gewannen), das bereits Anfang Oktober in die deutschen Kinos kommt, ist eine handwerklich virtuos inszenierte, ziemlich alberne Geheimdienstkomödie. Oder auch eine Komödie moderner Geschlechterbeziehungen. Denn im Zentrum stehen drei Männer, zwei von ihnen CIA-Mitarbeiter und drei Frauen. Unter der Oberfläche ist die Coen-Sicht auf das menschliche Beziehungsleben dann gar nicht mehr so witzig, sondern recht düster und pessimistisch: Keine Ehe ist glücklich, die Männer sind durchweg Schwätzer, Vollidioten, uninteressant und angeberisch, die Frauen stärker, erfolgreicher, dem »starken Geschlecht« überlegen. Und auch Woody Allens mörderische Komödie Husbands and Wives kommt einem in den Sinn.
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»Was haben wir gelernt? Den gleichen Fehler nicht zweimal zu machen. Aber was haben wir eigentlich falsch gemacht?« – diese letzten Sätze des Films sind ein Lacher. Denn sie kommen aus dem Munde eines leitenden Geheimdienstlers, nachdem man der CIA knapp zwei Stunden dabei zuschauen konnte, wie sie wieder mal einen Fehler nach dem anderen macht. Der Film ist eine Art Verfilmung von »Murphys Law«. Man könnte auch sagen: Ein Film über das Leben. Von Anfang an geht hier jedenfalls schief, was schief gehen kann.
Ein einer Art Google-Earth-Zoom rast das Bild aus dem Weltall auf das CIA-Hauptquartier bei Washington zu. Der CIA-Beamte Osborne Cox (John Malkovitch) wird versetzt, weil er angeblich ein Alkoholproblem habe (Schöner Dialog: »You have a drinking problem.« – »I have a drinking problem? You are a mormon. Next to you we all have a drinking problem.«). Er kündigt spontan, wir sehen ihn zuhause bei seiner eiskalten Frau (Tilda Swinton), die sobald Ebbe in Haushaltskasse droht, an Scheidung denkt. Bei einer Party am Abend lernen wir ihren Geliebten kennen, Harry Pfarrer (George Cloony), ebenfalls CIA-Agent und mit einer wesentlich erfolgreichen Kinderbuchautorin verheiratet.
Als zwei Mitarbeiter eines Fitnessstudios mit dem schönen Namen »hardbodies« – Frances McDormand als alternde Alleinstehende auf Männerfang, die verzweifelt das Geld für Schönheitsoperationen zusammenzukratzen versucht, und Brad Pitt als vertrottelter Schönling – über ein paar Zufälle in den Besitz von einer CD mit Cox' Geheimdienstakten kommen, und versuchen, den Ex-Agenten zu erpressen, spitzen sich die Dinge schnell zu…
Burn After Reading ist eine sarkatische, überdrehte Komödie der Irrungen und der menschlichen Schwächen; und Starkino der alten Schule mit viel Dialogwitz und genug Substanz, um ein Festival dieser Dimension angemessen zu eröffnen.
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Alles in allem ist das Thema des Films die allgemeine Verblödung und Infantilisierung: In einer Szene sagt Cox/Malkovitch dem Westentaschenerpresser Pitt die Meinnung: »Du repräsentierst die Idiotie der Gegenwart. Die Liga der Volltrottel.« So etwas möchte man doch gern öfters im Kino sehen.
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Am Donnerstag beginnt das Rennen um den begehrten Goldenen Löwen. Und gleich am Abend hat dann der deutsche Film seinen ersten Auftritt auf dem Roten Teppich: Jerichow, der neue Film von Christian Petzold (Yella) eröffnet den Wettbewerb. Hier werden dann auch die neuen Filme von zum Beispiel Jonathan Demme, Kathryn Begelow und dem Deutschen Werner Schroeter, der nach über zehn Jahren Theater ins Kino zurückkehrt. Mit besonderer Spannung erwartet werden aber (noch) unbekanntere Namen: der Türke Semi Kaplanoglu, der Chinese Yu Lik-wai und der Mexikaner Guillermo Arriaga – heimliche Favoriten für die Preise in zehn Tagen. Außer Konkurrenz laufen unter anderem neue Filme der Französinnen Claire Denis und Agnes Varda, sowie des legendären Iraners Abbas Kiarostami. Die Retrospektive widmet sich dem Erbe des italienischen Nachkriegskino des Neorealismus.
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Zwei Filme aus den Nebenreihen beeindruckten schon gleich zum Auftakt: Una Sema Solos von der Argentinierin Celina Murga – ein bezaubernder Film über Kinder, die in einem Reichenghetto sich selbst überlassen sind. Und Prescuit Sportiv vom Rumänen Adrian Sitaru. Ein Film über einen harmlosen Angelausflug, der zum Drama gerät: Ein Spiel mit Vermutungen, ein Film über Misstrauen, über Freiheit und Glück. Über beide Filme bei nächster Gelegenheit mehr – zwei überraschende, souveräne, spannende Debütfilme, die wie überhaupt das in Papierform sehr ansprechende Programm Hoffnung wecken auf ein großartiges Festival.
Rüdiger Suchsland