07.06.2007
Cinema Moralia – Folge 2

Hard Boiled Metropole

Szenenbild NIMMERMEER
Nimmermeer

»Germany’s next Oscar Winner«, Piraten, Dandys und Leichen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 2. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Zurück aus Cannes, zurück in der deutschen Kino­pro­vinz, sehnt man sich trotz aller Anstren­gung schon wieder an den Croisette-Strand zurück. Denn hier geht alles seinen Trott und man selber ist in Teil davon – Cannes ist Ausnah­me­zu­stand der ange­nehmsten Art.
Kaum wieder hier, kommen einem dann auch gleich die entspre­chenden Ideen. Nach dem Erfolg von „Deutsch­land sucht das Super­model“ – die ja, das unter uns, manche geschätzte Kollegen mehr begeis­tert hat, als viele Filme an der Croisette, bietet sich natürlich eine entspre­chende Über­tra­gung auf den Film­be­reich an: »Wer wird Regisseur?« zum Beispiel, mit einem Platz an einer deutschen Film­hoch­schule für den Sieger. Oder „Germany’s next Oscar Winner“, eine Casting Show präsen­tiert von Florian Henckell Sie wissen schon. Die Constantin verspricht dem Sieger die Produk­tion eines Kurzfilms, und der wird dann in Hof gezeigt bei Heinz Badewitz.

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Nicht gewonnen hat leider Michel Dreher den Studen­ten­oscar. Es ist trotzdem der bessere Film als Nimmer­meer ein inhalt­li­cher Unfug, der nur durch seine Ausstat­tung glänzt, und der – das ist das einzige, was „die Gremien“ inter­es­siert – auch aus Deutsch­land kommt.

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»Plötzlich ließ der Wind nach, es war ein Gefühl wie das Zischen einer Granate kurz vor der Zündung – ein schreck­li­cher Augen­blick, denn man konnte bereits das Getöse der nächsten heran­ra­senden Sturmböe, der nächsten Wand aus Luft hören, auch wenn sie noch fünf Meilen entfernt war. Es dauerte keine vier Minuten, bis sie da war.« – ein tropi­scher Sturm ist es, der da so wort­ge­wandt, plastisch und etwas „over the top“ beschrieben wird.

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Der wahre Orkan aber ist das vorlie­gende Buch selbst. Es stammt von keinem Gerin­geren als von Superstar Marlon Brando und von Donald Cammell, zweien der inter­es­san­testen Männer im Kino des 20. Jahr­hun­derts. Brando hat ein Buch geschrieben? Tatsäch­lich. Es heißt „Madame Lai“, und ist reiner Pulp – ein süffiger, schnell lesbarer, span­nender Aben­teu­er­schmöker mit manch' tieferer Bedeutung – so wie die Filme von Co-Autor Cammell.
Alles dreht sich um einen Helden, Annie Doultry, ein Dandy, Schotte, Seemann, Frau­en­held, Philosoph und Pirat – ein Kerl eben. Und was für ein Kerl! Mitten im chine­si­schen Bürger­krieg der 20er Jahre segelt er durchs südchi­ne­si­sche Meer, verführt Frauen, schmug­gelt Silber und Gefühle zwischen Hongkong und Singapur, zwischen briti­schem Empire und faschis­ti­schem Japan, zwischen west­li­chem Nihi­lismus und fernöst­li­chen Versu­chungen. Ein Selbst­por­trait Brandos und Cammells, wenn man so will, im Exzess, in der Sehnsucht nach Abenteuer ebenso wie in der Schwäche und Labilität der Haupt­figur und der Ober­fläche des schönen starken Mannes.

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Die Geschichte des Romans, die im Nachwort ausführ­lich beschrieben wird, ist dabei kaum weniger spannend, als der Roman selbst. „Madame Lai“ ist das Ergebnis einer Zusam­men­ar­beit mit Brandos lang­jäh­rigem Kumpel Donald Cammell. Der Schotte war ein erfolg­rei­cher Maler, und ähnlich wie Brando immer im Kampf gegen Lange­weile und Depres­sion auf der Suche nach neuen künst­le­ri­schen Heraus­for­de­rungen, neuem exzes­siven Erfah­rungen, neuen Drogen und neuen Frauen. Man kennt Cammell heute vor allem durch das Kino-Meis­ter­werk Perfor­mance, das er 1969 zusammen mit Nicholas Roeg drehte und das ihm einen blei­benden Platz in der Film­ge­schichte sicherte – auch weil dieses Märchen aus dem „Swinging London“ einer der wenigen Kino­auf­tritte von Rolling-Stones-Star Mick Jagger ist.
Mitte der 70er zogen sich Brando und Cammell zusammen mit dessen Frau China Kong für sechs Monate auf Brandos Südsee-Atoll zurück, Brando fabu­lierte, Cammell schrieb und eigent­lich sollte ein Film daraus werden. Dazu kam es dann nicht mehr, Brando verfiel schon Jahre vor seinem Tod 2004 und Cammell schoss sich bereits 1996 eine Kugel in den Kopf. Aber auch dieses Ende spricht eher für den Roman: Er ist, auch im Exzeß, ernster gemeint, als es scheint. Was für ein Buch!

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Veronica Lake hat er photo­gra­phiert, den jungen Sinatra, Clark Gable und auch Dylan Thomas. Wirklich verewigt hat sich der Photo­graph Weegee aber mit seinen Krimi­nal­bil­dern. Weegee begann als Poli­zei­re­porter, oft war er noch vor den Cops am Tatort. So entstanden nahe­ge­hende, unver­stellt emotio­nale Bilder von Opfern und Tätern, Poli­zisten und Verdäch­tigen, betrof­fenen Angehö­rigen und zufäl­ligen Gaffern. Es ist der Dreck und das Blut, das hier photo­gra­phiert wird, die Bilder heißen „murder under the spot“ oder so ähnlich, und manchmal sieht man das Blut noch auf dem Asphalt trocknen. Keinen zweiten gibt es, bei dem man so oft daran denken muss, dass foto­gra­fieren etwas mit schießen zu tun hat, dass man auch hier abdrücken muss, dass es darum geht, schnell zu sein, und nicht lange zu fackeln.

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Weegee arbeitete in der unru­higsten Epoche des Jahr­hun­derts, den 30er bis 50er Jahren, und nicht zufällig erinnern seine fast immer nachts geschos­senen, düsteren Bilder an harte „Films Noirs“. Man fragt sich nur, wer sich hier von wem inspi­rieren ließ.
In Berlin waren sie jetzt zu sehen, in der Berliner Foto­ga­lerie „C/O“ im Post­fuhramt in der Orani­en­burger Straße: 228 Schwarz­weiß­fo­to­gra­fien von Weegee, sowie Videos von und über ihn – eine umfas­sende Schau in dieses überaus faszi­nie­rende Werk. Die Räume des Post­fuhr­amts passten auch deshalb excellent, weil sie selbst so herun­ter­ge­kommen sind, wie die Welt, die Weegee zeigt, weil sie aussehen wie ein Poli­zei­re­vier, eine Kneipe oder ein Obdach­lo­sen­asyl jener Zeit. Neben seinen Poli­zei­bil­dern entstand auch anderes: Sensible Milieu­stu­dien, Portraits von ganz normalen Bürgen wie von Berühmt­heiten der Stadt. Sie fangen Stim­mungen ein, und es wundert nur im ersten Moment wie oft man die Menschen hier lachen sieht: Soldaten bei Kriegs­ende, Zuschauer im Kino, Kinder, die in der städ­ti­schen Sonnen­glut am Hydranten ein Bad nehmen – Gefühle, so spontan wie das Klicken am Abzug der Kamera. 1899 als Arthur Fellig im öster­rei­chi­schen Kaiser­reich geboren, wanderte Weegees Familie 1910 nach New York aus. Nie mehr sollte er die Metropole am Hudson River für längere Zeit verlassen; sie wurde seine Stadt, und seine Bilder eine Hymne auf New York, auf die Großstadt an sich.
Jules Dassins Film Naked City ist übrigens ein Art Verfil­mung von Weeges gleich­na­migem Buch, bzw. von dessen doku­men­ta­ri­schem Ansatz. Man hätte drauf kommen können.

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Während der Recherche für die Bespechung von Inland Empire las ich irgendwo, man solle einmal „lynch fuge fred“ googlen (Peter Körte hat ja schon vor Jahren beschrieben, wie Lynch-Hype, Lynch-Mythos und das Internet zusam­men­hängen). Als ich das tue, stoße ich auf Begriffe wie „psycho­gene fuge“ und immerhin auf die Inter­net­seite www.theci­tyofabsur­dity.com wo man einige, zwar nicht gerade aktuelle aber dafür ganz gute Lynch-Texte findet.

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Beim Weblog „new film­kritik“ hat der Berliner Regisseur Ulrich Köhler (Bungalow, Montag kommen die Fenster) unter dem Titel »Warum ich keine „poli­ti­schen“ Filme mache« ein persön­li­ches Manifest veröf­fent­licht, das sich gegen ein Kino der Verein­fa­chungen, und das dazu­gehö­rige Umfeld wendet: »Das zeit­genös­si­sche Kino«, schreibt Köhler, »beutet die deutsche Geschichte aus und ist dabei besten­falls unpo­li­tisch, häufig reak­ti­onär. Export­welt­meister dank Hitler und der Stasi.« Das nur mal als Hinweis. Wir kommen darauf zurück.

(To be continued)

Marlon Brando/ Donald Cammell: „Madame Lai“. Mare­buch­verlag, Hamburg 2007, 430 Seiten, 19,90 Euro