Deutschland 2019 · 115 min. · FSK: ab 6 Regie: Norbert Lechner Drehbuch: Antonia Rothe-Liermann, Norbert Lechner, Susanne Fülscher Kamera: Bella Halben Darsteller: Lea Freund, Tim Bülow, Franziska Weisz, Fritz Karl, Götz Schubert u.a. |
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Große Liebe in einem lieblosen System |
Der Münchner Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Norbert Lechner (Jg. 1961) hat sich einen Namen als Kinderfilm-Regisseur gemacht. Seine preisgekrönten Filme Toni Goldwascher, Tom und Hacke (Übertragung von Mark Twains »Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn« in die bayerische Nachkriegszeit) und Ente gut! Mädchen allein zu Haus (2016 als Originalstoff im Rahmen der Initiative ‚Der besondere Kinderfilm’ entstanden) gehören zum Programm von Kinderkinos und Schulkinowochen. In seinem aktuellen Werk nun spielen Jugendliche die Hauptrolle. Vorlage sind die Erlebnisse der Grenzgängerin Katja Hildebrand, die sie in ihrem autobiografischen Roman verarbeitet hat.
Zwischen uns die Mauer erzählt eine Geschichte aus dem geteilten Deutschland, die 1986 beginnt: Die 17-jährige Anna, die mit ihren Eltern und der kleinen Schwester in einer westdeutschen Kleinstadt lebt, fährt mit ihrer Jugendgruppe zu einem kirchlich organisierten Austausch nach Ostberlin. Der erste Gang gilt der Besichtigung der Mauer auf der Westberliner Seite und nach dem Grenzübertritt geht’s in die geräumige Wohnung des Pfarrers, wo sie Gleichaltrige treffen. Als Philipp erscheint, des Pfarrers 18-jähriger Sohn, ist Anna überrascht, verliebt sich in ihn. Nach der Rückkehr hat sie nur den Gedanken, Philipp so bald als möglich wiederzusehen, was in jener Zeit nur einseitig möglich ist. So erfindet sie immer neue Anlässe, um nach Berlin zu fahren, greift auch mal zur Lüge den besorgten Eltern gegenüber.
Ihre Gefühle füreinander werden immer stärker. Man schreibt das Jahr 1987. Philipps Eltern sehen die Beziehung unter den realen Bedingungen nicht so gern, tolerieren sie aber. Und immer wieder die Abschiede vor Mitternacht am S-Bahnhof Friedrichstraße, vor dem »Tränenpalast« am Übergang von Ost nach West. Philipp erläutert Anna diesen merkwürdigen Namen:»Wir weinen, weil wir nicht rüber dürfen und ihr weint, weil ihr uns wieder verlassen müsst.« Eines Nachts aber verschlafen die beiden Verliebten den strikten Zeitpunkt zur Ausreise aus Berlin, Hauptstadt der DDR, was weitreichende wie traurige Folgen hat. Während Anna nach einer demütigenden Kontrolle und kurzer Inhaftierung ausreisen und nach Hause zurückkehren kann, hat es für Philipp schärfere Konsequenzen. Als dann auch noch eine Freundin beim Fluchtversuch stirbt, muss er als Mitwisser ins Gefängnis und den Kontakt zu Anna abbrechen, was sie allerdings missversteht, weil sie es sich nicht vorstellen kann, dass Philipp dazu gezwungen sein könnte – »zwischen uns die Mauer«, die nun unüberwindbar und ihre Liebe unmöglich zu machen scheint.
Ende 1989 – plötzlich ist alles anders. Anna ist inzwischen mit Lorenz, der sie schon immer gern gemocht hat, zusammengezogen und sie sind mitten in den Vorbereitungen für eine mehrmonatige Marokko-Reise mit ihrem VW-Bus. Da steht Philipp vor der Tür. Ihr Abschied jetzt erinnert an die Abschiede am »Tränenpalast« Friedrichstraße, zärtlich und verzweifelt. Und Lorenz spürt, dass die beiden mehr verbindet: »Sei einfach ehrlich und sag, wenn du Philipp wiedersehen willst!« Und Anna gibt ihrem Gefühl nach.
Zwischen uns die Mauer kommt – wie einige andere Filmbeiträge – zur 30. Wiederkehr des Mauerfalls ins Kino. Überhaupt fällt auf, dass sich Filmemacher jetzt vermehrt diesem Thema widmen – im Gegensatz zu früheren Jahrestagen bzw. gleich nach der Wende, wo eine Auseinandersetzung auf gesellschaftspolitischer Ebene mindestens genauso notwendig gewesen wäre, es aber merkwürdig still blieb. Es braucht offenbar Zeit und Abstand, um den Blick auf die Vergangenheit zu schärfen und sie zu verarbeiten.
Die Aufmerksamkeit des Films von Norbert Lechner gilt eindeutig Anna und Philipp, und er erzählt ihre Geschichte konsequent aus deren Perspektive. Ihre Gefühle füreinander waren unter der seinerzeit herrschenden Abschottungs-Doktrin großen Belastungen ausgesetzt. Insbesondere die Kontrollen am Grenzübergang, der Befehlston der Grenzpolizisten, die Schikanen bei der Durchsuchung, sind denjenigen, die das alles selbst mehrfach erlebt haben – es sei denn, man hatte eine offizielle Einladung z.B. zu einem Filmfestival – noch lebhaft wie ungut in Erinnerung. Diese Atmosphäre herzustellen ist Lechner gelungen.
Dass durch diesen Schwerpunkt der Alltag drumherum gelegentlich auf der Strecke bleibt, das eine oder andere Klischee sich findet – sei geschenkt. Es ist die Geschichte einer großen Liebe in einem lieblosen System, dargestellt von zwei jungen Schauspielern (Lea Freund und Tom Bülow), die es glaubwürdig vermitteln. Für so einen Film muss man schon ein Herz haben!