Zustand und Gelände

Deutschland 2019 · 118 min.
Regie: Ute Adamczewski
Drehbuch:
Kamera: Stefan Neuberger
Schnitt: Ute Adamczewski
Mahnmale statt Ortsbegehung. Die »anti-faschistische« Geschichtsaufarbeitung.
(Foto: Grandfilm)

DDR-Geschichtsklitterung

Ute Adamczewski hat mit ihrem Debüt einen erhellend-aufklärenden Film über die blinden Stellen der »anti-faschistischen« DDR geschaffen, der viel über die Vergangenheit, aber mehr noch über die Gegenwart erzählt

Eine Spuren­suche im Osten Deutsch­lands, ehemals DDR. Der Filme­ma­cher Thomas Heise wies mich bei seinem Besuch bei der UNDERDOX-Halbzeit 2019 zurecht, als ich von DDR sprach – oder soll ich diese lieber in Anfüh­rungs­zei­chen setzen, wie es einst die »BILD«-Zeitung tat? Man dürfe nicht, noch dazu als West­deut­scher, von der DDR sprechen oder schreiben. Es gäbe nur ein Deutsch­land. Lieber also sei vom Osten Deutsch­lands zu sprechen (als hätte es Deutsch­land damals gegeben, regte sich in mir die BRDlerin). Eine inter­es­sante Botschaft des Sohns eines Ost-Berliner Philo­so­phen an eine als West­deut­sche groß­ge­wor­dene Tochter und Nichte einer deutsch-deutsch-geteilten Familie, die sehr wohl weiß, dass es die DDR gab. Unver­gessen sind die Silves­ter­feiern und die Grenz­kon­trollen spät nachts, der Trabis des Onkels, die Gelage, die man in der Fabrik feierte und danach wortreich ausschmückte (Perspek­tive: ich als Kind).

Leider konnte ich mit Thomas Heise nicht über meine DDR-Erfah­rungen sprechen, erstens, weil er nur ungern mit Frauen spricht, zweitens, weil sich die Gele­gen­heit nicht mehr ergab.

Einige Fragen, die jedoch keines­wegs meine Person betrafen, blieben daher unbe­ant­wortet. Aufge­worfen wurden sie durch einen Film und ein Publi­kums­ge­spräch von und mit Ute Adamc­zewski zu ihrem Film Zustand und Gelände.

Ute Adamc­zewski kommt aus West­deutsch­land, irgendwo aus dem Badischen oder Baden­si­schen, das hört man, obwohl sie schon lange in Berlin lebt. Sie arbeitete als Video­künst­lerin und Editorin für verschie­dene Film­pro­jekte, als sie begann, filmi­sches Material für eine eigent­lich nur als weitere Video­kunst­ar­beit gedachte poli­ti­sche Instal­la­tion vorzu­be­reiten. Es ging um die Konzen­tra­ti­ons­lager in Ostdeutsch­land, die kurz nach der Macht­er­grei­fung Hitlers 1933 in Sachsen entstanden waren. In ihnen wurden Kommu­nisten, Sozia­listen und andere, meist dem Arbei­ter­mi­lieu entstam­mende Dissi­denten inhaf­tiert. Anders jedoch als die späteren großen Konzen­tra­ti­ons­lager, die heute als Gedenk­s­tätten die Erin­ne­rung wach­halten, wurden diese »wilden« Lager als Kasernen, Fabrik­hallen, sogar als Gast­stätten nach dem Krieg weiter­ge­nutzt. Die pazi­fis­ti­sche DDR hat hier gekonnt Geschichtsü­ber­schrei­bung betrieben.

Die Dimension ihres Unter­fan­gens wurde Adamc­zewski bewusst, als sie zur Vorbe­rei­tung ihres Video­kunst­pro­jekts in die Archive ging. Nicht selten – und das schließt den Kreis zum persön­li­chen Einstieg in diesen Text – kam ihr Miss­trauen entgegen. Sie war ein Wessi, warum wühlte sie jetzt in den Geschichts­büchern der Ossis? Trotzdem stieß sie auf eine Doku­men­ten­fülle, die aus dem Video­kunst­pro­jekt ihr Lang­film­debüt werden ließ, das jetzt, verspätet durch Corona, endlich ins Kino kommen kann. Mit erheb­li­cher Verspä­tung, auch für alle möglichen Jahres­tage. Ursprüng­lich wären 30 Jahre Mauerfall ein Anlass gewesen, ihrem Film natür­liche Aufmerk­sam­keit zu geben, obgleich er von Jahres­tagen unab­hängig höchst relevant ist.

Denn Adamc­zewkis Film liefert, wenn nicht die Antwort auf, dann doch einen Grund für das Miss­trauen, das ihr, der Wessi-Frau, entge­gen­schlug. Adamc­zew­skis preis­ge­krönter Film (Goldene Taube Leipzig, Prix Premier FID Marseille) setzt da an, wo Thomas Heises ebenfalls preis­ge­krönter Heimat ist ein Raum aus Zeit (Grand Prix Nyon, Preis der deutschen Film­kritik, Deutscher Doku­men­tar­film­preis) aufhört. Sie liefert mögliche Antworten auf drängende Fragen: Warum ausge­rechnet kommen aus dem ehema­ligen anti-faschis­ti­schen Staat so viele Neonazis, Pegida- und AfD-Anhänger, »Fremden«-Feinde? Warum ist dieser Ex-DDR-Staat nicht tolerant, offen und neugierig? Warum haben die Menschen so viel Angst?

Adamc­zewski hat bei der Beant­wor­tung dieser Fragen den Vorteil, nicht persön­lich invol­viert zu sein, während Heise in seinem letzten Film im Durchgang durch das letzte Jahr­hun­dert auch seine eigene Fami­li­en­ge­schichte aufar­beiten wollte. In Stau, der sich dezidiert den Phäno­menen des Neofa­schismus in der ehema­ligen DDR zuwendet, bleibt Heise wiederum deskriptiv, fast ungläubig staunend.

Gemeinsam haben sie in ihren jünsten Filmen den Kame­ra­mann Stefan Neuberger. Stoisch im Stil von Gerhard Friedl oder Nikolaus Geyr­halter – langsame Kame­ra­schwenks oder starre Ansichten – filmt Neuberger in Zustand und Gelände die Ortschaften, oder besser Ortpunkte, an denen ehemals Konzen­tra­ti­ons­lager exis­tierten. Aus dem Off erzählt Spre­cherin Katharina Meves von den Verdrän­gungen, Über­schrei­bungen, Einbet­tungen und Unsicht­bar­ma­chungen der Schre­ckens­stätten des faschis­ti­schen Terrors durch die DDR – Anti-Faschismus war für sie nur, wenn man sich im Wider­stand orga­ni­sierte. Die Opfer gehörten nicht dazu.

Umso wichtiger, umso aufklä­render, die blinde Stellen der DDR-Geschichte aufde­ckende Arbeit von Adamc­zewski. Sie arbeitet ebenso stoisch wie die Kamera heraus: Auffällig die Ballung von aus dem Arbei­ter­mi­lieu entstan­denen Inhaf­tierten, von Sozia­listen, von Kommu­nisten. Juden kamen kaum in die lokalen Lager, wurden eher depor­tiert.

Adamcz­weski lässt aus dem Off amtliche Dokumente, Regis­ter­ein­tra­gungen und andere Zeugnisse verlesen – auch hier im Stil Heise ähnlich –, dies in neutraler Stimmlage einer Nach­rich­ten­spre­cherin oder Gerichts­bei­sit­zerin. Bei Adamc­zewski wird das pure Dokument als Zeuge hoch­ge­halten.

Entlar­vend pointiert die Bild-Ton-Schere die offi­zi­ellen Mahnmale. Histo­ri­sche Stätten, die dem anti­fa­schis­ti­schen Staat als mahnende Gedenk­s­tätten hätten dienen sollen (»Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!«, hieß die allgemein bekannte Parole) wurden von den Geschichts­klit­te­rern durch Alltags­nut­zung über­schrieben. Im Film werden den Aufnahmen der real gefälschten Orte die wahren Erzäh­lungen aus dem Off verliehen – eine Zurech­trü­ckung, ein Vexier­bild mit filmi­schen Mitteln. Zustand und Gelände – das ist der poli­ti­sche Zustand des Landes. Vor allem aber ist das der Wider­spruch zwischen dem anti­fa­schis­ti­schen Anspruch des DDR-Staates und dessen verlo­gener Durch­füh­rung. Adamc­zewski macht mit der aufge­deckten Geschichts­wä­sche zumindest im Ansatz begreifbar, warum die Gegenwart des deutschen Ostens immer wieder in die Nach­richten drängt: als Neo-Nazis, Pegida, Rechts­außen der CDU, oder gar als »Quer­denker«. Das Verstehen von Geschichte war wohl lange sehr klein­ge­schrieben, folgt man den Recher­chen von Adamc­ziewski. Und wie soll aus einer Geschichts­ver­ges­sen­heit oder -verdrän­gung ein waches poli­ti­sches, tole­rantes und verständ­nis­volles Bewusst­sein entstehen?

Weit gefehlt, würde man den Film nun als Denun­zia­tion der Ostdeut­schen durch die West­deut­sche verstehen, auch wenn der ein oder andere Fund, die ein oder andere Szene etwas plakativ erscheinen mag. Hebt man das Geschichts­ver­ständnis in den Vorder­grund und proji­ziert man es auf den Hinter­grund der Gegenwart, wird einem vieles klar, was Zustand und Gelände auch unfor­mu­liert lässt. Adamc­zewski hat einen hell­sich­tigen und aufklä­renden Film geschaffen. Umgekehrt darf man nun gespannt sein auf den ersten Film eines Ostdeut­schen über die blinden Stellen des Westens. Thomas Heise, worauf warten Sie?