| Frankreich 2025 · 105 min. · FSK: ab 12 Regie: Cédric Jimenez Drehbuch: Olivier Demangel, Cédric Jimenez Kamera: Laurent Tangy Darsteller: Adèle Exarchopoulos, Gilles Lellouche, Louis Garrel, Romain Duris, Valeria Bruni-Tedeschi u.a. |
![]() |
|
| Mit Humor und Einfallsreichtum in die Zukunft... | ||
| (Foto: Studiocanal) | ||
Paris ist auch nicht mehr, was es mal war. Jedenfalls nicht mehr im Jahr 2045, nicht zufällig genau hundert Jahre nach der Befreiung von der Nazi-Besatzung der französischen Hauptstadt und nur 20 Jahre nach unserer Gegenwart, in denen die Tech-Bros danach drängen, die Politik zu übernehmen.
In dieser gar nicht mehr allzu fernen Zukunft ist Paris in drei Zonen aufgeteilt, die die sozialen Klassen voneinander trennen. Die gesamte Bevölkerung wird durch ein System künstlicher Intelligenz namens ALMA kontrolliert. ALMA ist nicht nur in der Lage, alle Einwohner zu überwachen, zu erkennen und zu verfolgen, sie ist eine vorausschauende KI, das heißt, sie kann mögliche Verhaltensszenarien berechnen, und damit auch im Voraus mögliche Verbrechen. Das reduziert die
Fehlermarge der Polizeibeamten, die inzwischen auf einfache Überwacher und Justizangestellte reduziert sind.
Doch eines Tages wird ausgerechnet der deutschstämmige Kessel, der Schöpfer von ALMA ermordet. Und das System gerät ins Wanken.
Nun werden Salia, eine hochrangige Beamtin, und Zem, ein abgeklärt-desillusionierter Elite-Polizist aus »Zone 3« mit einem Herz für die weniger Glücklichen, gezwungen, zusammenzuarbeiten, um den Mord aufzuklären und eine mutmaßliche Verschwörung aufzudecken, die vom Anführer einer revolutionären Organisation von Cyber-Rebellen orchestriert wurde.
+ + +
»Chien 51« heißt im Original der Science-Fiction-Roman des französischen Bestseller-Autors Laurent Gaudé, den der französische Genre-Spezialist Cedric Jimenez jetzt zu einem starbesetzten Kinofilm verwandelt hat, der im Sommer bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere hatte – es handelt sich um eine sehr freie Adaption der Vorlage, und zugleich um das seltene Beispiel europäischen Science-Fiction-Kinos, das visuell durchaus mit Hollywood-Vorbildern mithalten kann.
Regisseur Jimenez bedient sich ein bisschen bei allen Werken des Genres, in deren Zentrum ein ultra-intelligentes, bewusstseins- und menschlichkeitsloses Instrument steht, dem enorme Macht und die Sicherheit aller anvertraut wurden. I, Robot von Isaac Asimov, HAL, der Supercomputer aus 2001, Und auch an die böse Entität, die in den neuesten beiden Kapiteln der Mission: Impossible-Reihe die Hauptrolle spielt.
+ + +
Der digitale, fließende und unsichtbare Gegner scheint der perfekte Feind unserer Gegenwart zu sein – etwas Ungreifbares, das seine Macht vergrößert, indem es Daten und Informationen verschlingt, die Realität manipuliert und die Menschheit in einen Strudel endloser und unlösbarer Paranoia stürzt.
Zugleich wirkt die Diktatur »old school«, zur sehr »Orwell« (also repressiv und Bürgerwünsche negierend) und zu wenig »Huxley« (also vergnüglich, konsumistisch und von den Bürgern affirmiert) erscheint sie: Jeder wird ständig von der Polizei und den von ALMA ausgesandten Drohnen überwacht und in seiner Freiheit erdrückt; vor allem die Bewohner der »Zone 3«, einer Art Ghetto, das man nur mit einer befristeten Arbeitserlaubnis oder durch den Gewinn eines Fernsehquiz' verlassen kann.
Das klassische Prinzip von Jeremy Benthams »Panopticum« wird hier wieder aufgegriffen und zugleich übertroffen, da das ALMA-System nicht nur beobachtet, ohne beobachtet zu werden, sondern auch eine riesige Menge an Daten sammelt und speichert.
+ + +
Das ein Film gut aussieht und Schauwerte opulent ausbreitet, das wird zur Zeit von vielen systematisch unterschätzt. Dieser Film sieht sehr gut aus. Und das Vergnügen, einfach dabei zuzusehen, wie hier fantasievoll mit Humor und Einfallsreichtum Zukunftswelten entworfen werden, entschädigt dafür, dass die Story nicht die alleroriginellste ist.
Zone 3 ist auch hochkarätig besetzt: Zem wird von Gilles Lellouche gespielt, der inzwischen auch als Regisseur Erfolg hat, und Salia, die tapfere Inspektorin von Adèle Exarchopoulos, die mit Blau ist eine warme Farbe weltberühmt wurde. Schließlich Louis Garrel, der den zwielichtig-charismatischen Rebellenführer verkörpert.
Zone 3 versetzt Ideen von großen Hollywood-Filmen wie Matrix und vor allem von Steven Spielbergs Minority Report in das europäische Kino – dies ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass man Genre-Filme und teuer aussehende Blockbuster auch auf diesem Kontinent machen kann; und das es Europas Kino sehr gut täte, nicht immer nach Hollywood zu gucken, wie das Kaninchen auf die Schlange.