USA 2014 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Jason Reitman Drehbuch: Jason Reitman, Erin Cressida Wilson Kamera: Eric Steelberg Darsteller: Adam Sandler, Jennifer Garner, Rosemarie DeWitt, Judy Greer u.a. |
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Stoff zum Nachdenken |
Das erste Mal. Die attraktive Cheerleaderin Hannah Clint aus der High-School räkelt sich in Reizwäsche auf dem Bett des Boyfriends. Doch was erotische Erfüllung verspricht, gerät zur enttäuschenden Erfahrung. Der Junge, exzessiver Porno-Konsument, kann mit der Real-Life-Situation nichts anfangen und „versagt“.
Jason Reitman, der Regisseur erfolgreicher Filme wie Juno, Up in the Air oder zuletzt Labor Day, will in #Zeitgeist etwas über den Einfluss der Medien auf die heutige Gesellschaft aussagen. Doch schon mit der Eingangsszene relativiert er sein Vorhaben und dämpft damit vielleicht übergroße Erwartungen: Wir blicken aus dem Weltraum auf die winzig kleine Erde – unterlegt mit einem etwas pathetischen Text (im Original von Emma Thompson gesprochen) – und nähern uns gewissermaßen aus galaktischer Distanz diesem terrestrischen Gewimmel. Wir sollten das Ganze also nicht allzu wichtig nehmen…
Die ersten Minuten, die auf unserem Planeten spielen, lösen dann ein, was man sich vorstellen könnte zu den Stichworten „Medienkultur“ und „Zeitgeist“. Menschen fließen durch die Stadt (Vorort von Austin, Texas) und über ihnen werden die unendlichen Text- und Bilddaten gezeigt, die in den gerade genutzten Medien aufgerufen sind. Eine Welt über der Welt, eine sichtbar gemachte Cloud, ähnlich den Gedankenblasen im guten alten Comic. Schnell reduziert Reitman dann aber wieder diese doch recht unübersichtlichen Visualisierungen der digitalen Welten und wendet sich dem Beziehungsgeflecht zu, das er unter die Lupe nehmen will.
An zwei extremen Beispielen werden zwei Haltungen zum pädagogischen Umgang mit Medien fast parodistisch überdeutlich vorgeführt. Eine Mutter, Patricia Beltmeyer, terrorisiert ihre 15-jährige Tochter mit totaler Überwachung sämtlicher Medien und findet ihren Lebenssinn darin, als selbst ernannte Expertin Selbsthilfegruppen zur Medienkontrolle zu leiten und abends seitenlange Protokolle von Chat-Verläufen nach „gefährlichen“ Inhalten zu durchforsten. Das wirkt natürlich übertrieben, albern, paranoid und unsympathisch, spielt aber eine Haltung konsequent bis zum fast tragischen Resultat durch. Eine andere Mutter steht für das gegenteilige Extrem. Sie führt eine erotische Internetseite mit ihrer eigenen Tochter als Objekt der Begierde, jener Cheerleaderin Hannah. Dazu filmt und fotografiert sie das frühreife Mädchen unablässig, um sie dann online zu vermarkten. Auch dieser Erzählstrang endet – pädagogisch wertvoll – mit einem großen Dämpfer für das sehr spezielle Familienunternehmen.
Auch andere Medien-Missbräuche werden gezeigt, so zum Beispiel der medial transportierte Schlankheitswahn, der eine Schülerin zur Magersucht treibt, in welcher sie sich auch noch online in ihrer Gruppe bestärken lässt („Nur am Hackbraten riechen!“). Oder die fantastischen Mobbing-Möglichkeiten, die durch diverse online-Gruppen geboten sind. Und sollte ein Sohn aus einem Facebook-Video erfahren, dass seine Mutter wieder heiratet?
Im Zentrum des Films gibt es aber auch einen Hoffnungsschimmer, Tim und Brandy, sehr überzeugend gespielt von Kaitlyn Dever und Ansel Elgort (Hauptdarsteller aus Das Schicksal ist ein mieser Verräter). Nicht ganz zufällig sind es zwei Außenseiter an der High-School – Tim ist dies allerdings erst, als er trotz grandioser Erfolge im Football die Schulmannschaft verlässt – die auch jenseits des allgegenwärtigen Mediendiktats zueinander finden, sich auf ganz altmodische Art in der Mensa zueinander setzen, sich am Wasser verabreden und sich wirklich Zeit lassen, ihre Beziehung zu entwickeln. Das Tragisch-Ironische ist hier, dass ihre Eltern durch ihre Einmischungen in ihren Medienkonsum alles verderben, weil sie den Blick für das Wesentliche, nämlich die vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kindern, verloren haben. Brandys Mutter ist nämlich die paranoide Patricia (zum Hassen gut gespielt von Jennifer Garner), die so weit geht, heimlich für ihre Tochter am Handy zu antworten, um Tim von ihr fern zu halten. Tims Vater (Dean Norris aus „Breaking Bad“ und „Under the Dome“) zieht seinem Sohn, in guter Absicht, durch die Abmeldung seines Online-Rollenspiel-Accounts den Boden unter den Füßen weg, ohne zu bemerken, dass dieser gerade eine wichtige Beziehung in der realen Welt aufbaut und sich bereits aus dem Spiel zu lösen beginnt. Dies ist vielleicht die wichtigste Botschaft des Films für besorgte Eltern im Umgang mit ihren Kindern: Kontakt statt Kontrolle, Gespräche statt Verbote. Denn ein spannendes und geteiltes „echtes“ Leben ist wohl der beste Schutz gegen alle Arten von Internet- oder Chat-Fixierungen und –verirrungen.
Und die Erwachsenen? Haben genauso ihre Probleme. Machen es kaum besser. Was unter anderem am Elternpaar des Jungen gezeigt wird, der seine Sexualität nur noch online auslebt. Don (Adam Sandler – darf nicht witzig sein, was ihm nicht gut bekommt) und Helen (Rosemarie DeWitt) nutzen in ihrer Sex-Flaute ebenfalls die diversen Online-Möglichkeiten: Porno, Fremdgeh-Plattformen, Prostitutions-Seiten. Als Don seiner fremd gehenden Frau auf die Schliche kommt und sie konfrontiert, bietet sich die Chance für einen Neuanfang. Ob sie diese nutzen, bleibt offen.
So packt Jason Reitman in dieses überbordende, vielfältige, ambitionierte und souverän verfilmte Drehbuch viel zu viel rein, um in die Tiefe gehen zu können, die Vorlage ist schließlich auch ein Roman von Chad Kultgen (Men, Women & Children: A Novel), er bietet aber auf unterhaltsame, dramatische und teilweise auch berührende Art eine Menge Stoff zum Nachdenken, Diskutieren und Vertiefen.