| F/Zypern/D/IL 2025 · 151 min. · FSK: ab 16 Regie: Nadav Lapid Drehbuch: Nadav Lapid Kamera: Shai Goldman Darsteller: Ariel Bronz, Efrat Dor, Naama Preis, Aleksey Serebryakov, Sharon Alexander u.a. |
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| (Foto: Filmfest München · Grandfilm) | ||
Diesen Film muss man in voller Lautstärke hören, bis einem von der fröhlichen Musik die Ohren dröhnen. Die Augen aufgerissen sich der ganzen farbenprächtigen Bildgewalt aussetzen. Sich vom Tempo überwältigen, von der Absurdität mitnehmen lassen. Bis einem das Gehirn aus dem Schädel fliegt. Yes, yes, yes!
Mit Disko-Stroboskop beginnt der Film des israelischen Regisseurs Nadav Lapid. Eine Party in der High Society von Tel Aviv, Hochglanz und gute Laune, schöne Menschen und Glitzer. Alle tanzen. Dann wird unvermittelt und brutal einer der Tanzenden in eine Schüssel mit einer grünwabernden Bowle getaucht. »Y.«, wie er schlicht heißt, stürzt in den Swimming-Pool, spukt orangefarbene Bälle, hat eine Nahtod-Erfahrung und tanzt dann mit seiner Partnerin Yasmin weiter, als wäre alles nur eine weitere perfekte Performance. Y. und Yasmin sind Eintänzer und Partyclowns der israelischen Mainstream-Gesellschaft, ganz real Prostituierte der reichen Society, die auch das Militär frequentiert – plötzlich taucht ein General auf der Pool-Party auf. Und deshalb sind sie auch so etwas wie Staatsprostituierte, die für Unterhaltung sorgen, wenn es schon lange nichts mehr zum Lachen gibt. Sie tanzen auf dem Vulkan.
Die grelle Groteske ist eine ungewohnte Tonlage für Nadav Lapid. Die in seinen Filmen Synonymes (2019) und Aheds Knie (2021) bereits deutlich formulierte Kritik am Staate Israel entlädt sich in dem neuesten Film des Exil-Israelis – er lebt seit einigen Jahren in Paris – als wutenbrannter, heftiger Zorn. Ein Zorn gegen einen Staat, der sein Volk zu Ja-Sagern macht, der Kritik an der Regierung im Keim erstickt. Lapids Bitterkeit entlädt sich im High Energy Level. Die Zeit der leisen, poetischen Töne, wie es sie noch in seinen Filmen davor gab, ist vorbei.
Der Regisseur verlässt in jedem Moment die diegetische Ebene seiner Geschichte, fügt Kommentare ein durch Gestaltungen und Entfremdungen, die laute Musik, die Burleske, die Bälle, die im Wasser aufploppen, narrative Unwahrscheinlichkeiten, die vom Wahnsinn und Irresein erzählen. Ein auf der Party ostentativ aufgeschlagenes Buch zeigt George Grosz’ »Die Stützen der Gesellschaft«. Abgebildet sind die Politik, die Presse, das Parlament und die Kirche, eine düstere und zugleich groteske Bestandsaufnahme der Weimarer Stimmungslage am Vorabend der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten.
Nur einen kurzen Moment lang ist das Bild zu sehen, unkommentiert, und doch klar erkennbar, für die Kamera positioniert. George Grosz hat über seine Kunst einmal gesagt: »Ich zeichnete Betrunkene, Kotzende, Männer, die mit geballter Faust den Mond verfluchen, Frauenmörder, die skatspielend auf einer Kiste sitzen, in der man Ermordete sieht.« Auch Lapids Imaginarium, das sich mit geballter Wucht 150 Minuten über die Leinwand ergießt, ist eine Ansammlung der politischen Abstoßung, des Ausverkaufs der Seelen, des Aufbegehrens Ertrinkender.
Y., sein Protagonist, ist ein Ertrinkender. Ariel Bronz spielt ihn, ein politischer Performancekünstler und bekannter Aktivist, der in Israel zwischenzeitlich als persona non grata galt – und entgegen dem Willen des Kulturministers mit dem Rosenblum-Preis ausgezeichnet wurde. Er ist genau der richtige, um die zwielichtige Rolle auszufüllen, die seine Figur bedeutet.
In drei Kapiteln schraubt sich der Film in die Bitterkeit der Gegenwart hinauf. »The Good Life« zeigt das Überleben des prekären Künstlerpaares auf den glanzvollen Partys, auf denen die israelische »Stütze der Gesellschaft« das Trauma des 7. Oktobers 2023 wegtanzt. Dann erhält Y. den Auftrag, eine Hymne für Israel zu komponieren, die die Hatikvah ersetzen soll. Sie soll die Gräuel von Gaza besingen, ein Loblied auf die israelische Armee werden. Bezahlt wird er von einem russischen Oligarchen – was in der Konstellation mit dem in der Ukraine geborenen Ariel Bronz eine weitere Pointierung ist. Mit »The Path«, dem Titel des zweiten Teils, kündigt sich ein Roadmovie an, das bis an den Gaza-Streifen führt, auf den die israelischen Bomben fallen. Dann, im dritten Teil, »The Night«, die zynische Auflösung.
Wie in einer Sightseeing-Tour fährt Y. zu Beginn des zweiten Teils an der Demarkationslinie zwischen Israel und dem Westjordanland entlang und zum Gaza-Streifen, wo die Bombeneinschläge in Sichtweite sind. Aus dem Off hören wir, was wir sehen, ohne es gleich erkennen zu können: Eine Straße, die für die Palästinser verboten ist. Das Ofer-Gefängnis im Westjordanland, in dem seit dem Terroranschlag der Hamas Tausende Palästinenser ohne Verfahren als sogenannte Sicherheitsgefangene inhaftiert sind. Die Mauer, hinter der Palästina liegt. Dazu jazziger Sound.
Er habe seinen Film vor dem Terroranschlag der Hamas begonnen zu schreiben, erzählt Lapid bei der Vorführung auf dem Filmfest München. Das überrascht, so passgenau und aktuell ist in vielen Details die politische Bestandsaufnahme. Auch der »Friendship Song 2023«, gesungen von einem Kinderchor und herausgegeben von der nationalistischen »Civil Front«, ist dokumentarisch: »Over the beach of Gaza / falls the Autumn night / planes are bombing / destroy, destroy. / Within a year we will annihilate everyone, and then we will return to plow our fields.«
Ein wichtiger, hochaktueller Film, der nicht allen gefallen wird, der aber mit einem pulsierenden, auch höchst cineastischen Herz pocht.
Es bleibt kompliziert. Yes ist die wütende Antwort.
»Over the Beach of Gaza / Falls the autumn night / Planes are bombing / Destroy Destroy / Tsahal’s brave soldiers / Cross the front line / To wipe out those bearers of swastikas.«
– Liedauszug in »Yes«
Ist dies eine Satire, oder ein Stück leicht verzerrte Wirklichkeit? Und wo steht der Regisseur?
Er kann noch so viele Interviews geben, sein Film aber gibt keine Antwort. Vermutlich hat Nadav Lapid keine.
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Während mehrerer langer Minuten von Yes, dem neuesten Spielfilm des israelischen Regisseurs Nadav Lapid, kommt einem Alain Resnais Nuit et Brouillard (Nacht und Nebel) in den Sinn: Weil dies der Regisseur so will, seinen Film so anlegt.
Aber nicht, weil dieser Film irgendwelche so falschen wie geschmacklosen Gleichsetzungen zwischen den Vernichtungslagern und der Trümmerlandschaft von Gaza vornehmen würde. Weil er gerade
die qualitativen Unterschiede zwischen »Auschwitz« und »Dresden« herausarbeitet – womöglich sogar gegen die eigene schlechte Intention.
Lapid zeigt an der Schwelle des Grauens, auf der Grenze zwischen Israel und Gaza in der Ferne den Rauch von Zerstörungen und das Dröhnen der Bomben, die gnadenlos auf die Zivilbevölkerung niedergehen. Aber welche Bomben? Welcher Rauch? Das bleibt offen.
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Menschen tanzen. Sie tanzen dumm, blind, abstoßend, aber hedonistisch in den Tag hinein. Es könnten die Tänze vom Bataclan heute vor ziemlich genau 10 Jahren sein, oder vom Nova-Konzert am 7. Oktober 2023 sein: Nicht interessant, nicht besonders sympathisch – wären sie nicht hingeschlachtet worden von islamistischen Mördern, Terroristen, fanatischen Bilderproduzenten,
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Yes ist ein Film der Präsenz, gedreht im Fluss der Gegenwart, zeigt der Film nicht die Ohnmacht der Sprache, und sucht auch nicht nach einer neuen, die dieses Grauen in seiner Komplexität ausdrücken könnte.
Yes ist keine Satire; er greift nicht auf das Groteske zurück. Genau genommen weiß man gar nicht, wovon der Film handelt, ober »vom 7.Oktober« oder von dem spricht, was »der 7. Oktober« bedeutet. Es ist ein verwirrter Film, der zittert und sich windet, der sich in jedem Moment selbst zu zerstören droht.
Und deshalb kann er leicht missverstanden werden: Man könnte etwa sagen, Lapid schaue narzisstisch auf den eigenen Nabel, auf die Leiden eines privilegierten
Bohemiens, dem es gerade etwas schwerer fällt, oppositioneller Künstler zu sein, weil die, gegen die er sein möchte, »die Guten« sind, und die, die er verteidigen will, die Mörder. Und während die wirklich wichtigen Leidenden die Opfer sind.
»Yes! Your wish is my command, Mephisto!« – man kann Lapid vorwerfen, nicht nach den Maßstäben zu denken, die wir gewöhnlich an dieses Thema anlegen, keinerlei politische Reflexion zu formulieren, ihr sogar aktiv auszuweichen. Aber das liegt daran, dass sein Film weder »formuliert« noch »reflektiert« – was nicht heißt, dass er unpolitisch wäre.
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Gleich zu Beginn, scheinbar ohne Zusammenhang, filmt die Kamera ein Buch mit Bildern von George Grosz: Die »Stützen der Gesellschaft« heißt das Wichtigste. Der Schrei eines Künstlers gegen den kommenden Faschismus in Deutschland – das ist die Richtung, in die es geht. Lapid will keinen wohlgeordneten Protest vorbringen; er zeigt lediglich die Monster, die aus der Unordnung der Gegenwart hervorgehen. Und reden wir denn nicht genau darüber? Wenn sein Protagonist – ein Musiker, der von einem russischen Oligarchen den Auftrag erhält, eine neue israelische Nationalhymne zu komponieren – sich in krampfhaften Bewegungen verliert und Grimassen schneidet, disqualifiziert er sich selbst als Mensch und als Künstler
Yes ist ein Film, den der Regisseur »gegen sich selbst« gedreht hat, im Bewusstsein, dass ihm, einem im europäischen Arthouse-Kontext verhafteten, von europäischen Filmfestivals lebenden, israelischen Künstler nur die künstlerische Selbstaufgabe den Raum schaffen kann, aus dem Neues entstehen könnte: der Rauch oder der Nebel der letzten Einstellung, aus dem neue Bilder hervorgehen sollen – vielleicht auch Mitgefühl und Barmherzigkeit, die im
Film noch nicht vorhanden sind, nicht sein können, weil sie im Moment schlicht nicht möglich sind.
Im Augenblick ist nur eines möglich: »Wut« – gegen die Mörder und Terroristen, gegen uns selbst, gegen die Vorstellung von Erlösung in der Transzendenz, gegen den Zustand der Welt.
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Eine Zustandsbeschreibung, das ist alles, was bleibt. Im Grunde erzählt der Film in drei Zeitebenen eine Reise in den Horror der inneren Leere: eine hysterische Gegenwart, eine Vergangenheit, die man vermisst ohne es zu dürfen, und eine Zukunft ohne Zukunft. Und doch handelt es sich nicht um einen pessimistischen oder hoffnungslosen Film – denn sobald man den Tiefpunkt erreicht und den Abgrund akzeptiert hat, kann man nicht weiter fallen, sondern nur wieder in höhere Sphären zurückkehren.
Widerstand ist eine Illusion für Künstler, das sagt dieser Film. Es gibt nur Ja oder Nein. Dieser Film sagt Ja.
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Manches ist wahr, obwohl es das nicht sein will. Manches Fake, obwohl es sich als Wahrheit maskiert. Dieser Film fällt selbst unter das, was er beschreibt. Er wird falsche Freunde und Verteidiger finden, und falsche Feinde und Ankläger. Es ist der Typ Film aus Israel, den die Feinde Israels mögen. Aber vielleicht täuschen sie sich.