Japan 2015 · 102 min. · FSK: ab 0 Regie: Sion Sono Drehbuch: Sion Sono Kamera: Hideo Yamamoto Darsteller: Megumi Kagurazaka, Kenji Endo, Yûto Ikeda, Kôko Mori u.a. |
![]() |
|
2001 – Odyssee im Weltraum mit Sion Sono – gewöhnungsbedürftig? Ja! |
Schwarzweißbilder, vielleicht etwas zu prächtig und clean, ein altmodischer Herd und eine Metallspüle, ein Wasserkessel, der zu kochen anfängt und Frauenhände, die Tee zubereiten. Ein Nachtfalter, gefangen vom Neonlicht. Was beginnt wie ein Sozialdrama alter Schule, wandelt sich schnell in die Independentvariation einer poetischen Androidengeschichte à la Blade Runner: »Hier ist der Computer 6-7 Mah M. Ich spreche mit dem Computer 3-2-3 San M«. Eine Kinderstimme meldet sich aus dem Off, kündigt gelassen eine Kurskorrektur aufgrund Meteoritenschauers an.
Auch wenn die Bilder, die zu sehen sind und das Gesagte so gar nicht zusammenzupassen scheinen, ist der generelle Tonfall, die Atmosphäre des Films, von Anfang an das verbindende Element. Fast möchte man sie meditativ nennen, sie ist still und ruhig, ungewohnt ruhig für jeden, der die Filme des Japaners Sion Sono kennt. Sion ist ein Vielfilmer, und jeder seiner riskanten Filme probiert etwa Neues: Allein im vergangenen Jahr entstanden nicht weniger als vier Spielfilme. Neben dem in Deutschland gestarteten HipHop-Musical Tokyo Tribe noch der Gore-Thriller Tag und das Yakuza-Melo Shinjuku Swan. The Whispering Star ist unter diesen das vergleichsweise überraschendste Werk.
Wenn Autorenfilmer immer das Gleiche tun, wird es meist immer langweiliger, und irgendwann unerträglich. Selten besser. Diesen Vorwurf kann man Sion Sono sowieso nicht machen. Wenn sie umgekehrt sich immer so radikal neu erfinden, dass man die Filme nicht mehr als die einer Person erkennt, dann ist es aber auch nicht richtig gut. Dieses Problem besteht bei Sion zumindest in diesem Fall.
Denn dieser Film ist im Gegensatz zu früheren nicht langsam, nicht sehr langsam, sondern
saulangsam. Und so ganz sieht man den Grund zu allem nicht ein.
Der Film ist pfiffig. Er ist schön. Aber er ist auf eine Weise sinnlos, die nicht leicht auf Dauer lustvoll genießbar ist und auch nicht recht für sich steht.
Die Inszenierung ist minimalistisch, die Welt einmal mehr postapokalyptisch: Sion hat innerhalb der 2011 bei der Erdbebenkatastrophe von Fukushima und dem anschließenden Tsunami zerstörten nordöstlichen Sperrzone gedreht, in kaputten Häusern, verwüsteten Straßen. Dabei stellt er diesen Drehort nie aus, im Gegenteil sind die ruhige Kamera und die Entscheidung für Schwarzweißbilder (mit gelegentlichen kurzen Ausnahmen) eine Form der Distanzierung von journalistischem Reportagestil und allem, was als Exploitation verstanden werden könnte. Den räumlichen Kontrast zu diesem Ort bildet ein Raumschiff, das auch eher aus den vergangenen Tagen sowjetischer Raumfahrt oder Tarkowskijs Solaris zu stammen scheint, denn aus der Zukunft: Leicht angerostet – dies ist ein Science-Fiction-Film, in dem die Zukunft analog und metallen ist, nahe dem in Japan besonders beliebten »Steam Punk«-Stil.
In dem Raumschiff lebt Yoko (gespielt von Megumi Kagurazaka), vermeintlich eine junge Frau in den Dreißigern, die sich bald als Cyborg herausstellt. Ihre Tätigkeiten sind konventionelle Hausarbeiten, wie Putzen, Waschen, Kochen. Doch wer zum Beispiel Chantal Akermans dreistündiges Meisterwerk Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles noch nicht vergessen hat, der ahnt, was hier kommen könnte.
Die Kinderstimme, die Yokos Tun im Flüstermodus kommentierend begleitet, gehört dem Bordcomputer, der wie eine japanische Version von Stanley Kubricks HAL die Niedlichkeit des Kindlichen mit der beängstigenden »no nonsense«-Attitüde einer Maschine verbindet, die diktatorisch ihr Programm exekutiert, und noch nicht einmal den Begriff »Gefühl« versteht.
Der Plot von The Whispering Star besteht aus der sehr sehr langsamen Reise des Raumschiffs durch die Galaxie mit dem sich wiederholenden Ritual der Landung auf irgendeinem Planeten. Hierauf folgen neben viel Science-Fiction-typischem Technik-Kauderwelsch Betrachtungen der beiden Maschinen über die Menschheit als »aussterbende Art«. Diese bewegen sich ganz innerhalb der Diskurs-Stereotypen einer sehr gegenwärtigen Öko-Moral: Man hat schon zu oft in Filmen wie diesen und anderenorts Klageliedern über Materialismus und menschliche Unvollkommenheit beigewohnt, vernommen: Dass die Erde dem Untergang geweiht sei, und die Menschheit daran Schuld trüge, als dass derartiges einen noch rühren könnte. Vielmehr beschleicht einen der Verdacht, hier würden nur andere, gegenüber früherem Zukunftsoptimismus, neuere Konventionen eines kulturpessimistischen Zeitgeist und Flirts mit dem Untergang bedient.
So ist diese meditative Weltraum-Odyssee ein Film, der manche Fans von Sions Werk irritieren dürfte. Der Reiz des Films liegt in seinen mitunter prachtvollen, oder poetischen Bildern, in der Nostalgie für die Gegenwart, die sich immer wieder in jenen Artefakten zeigt, die den Untergang bislang überstanden haben. Und der Gelassenheit, mit der er der Natur von Erinnerung nachspürt.
»Dieser Film ist ein kleines Gedicht, das ich über das Verblassen von Erinnerungen geschrieben habe.« – Sion Sono
Sion Sono ist für seine überbordenden Ideen und überraschenden filmischen Absurditäten berühmt-berüchtigt. Zumeist reichen sich Komik und Brutalität in seinen lauten, grellen Bilderwelten die Hand. The Wispering Star ist allerdings alles andere als ein typischer Sono, wenn es so etwas denn überhaupt geben sollte, bei einem Regisseur, der allein im Jahre 2015 sechs Filme inszeniert hat und stets mit Genuss neue Genremixturen auslotet. The Wispering Star, das erste Werk der eigenen Produktionsfirma des japanischen Enfant terrible, erzählt die elegische Weltraumgeschichte einer einsamen Paketzusteller-Androidin in den Weiten des Alls. Keine Farben, ein auf Flüsterlaute reduzierter Sprachpegel und das von Anfang bis Ende durchgezogene Konzept extremer Entschleunigung machen The Wispering Star dabei zu einem besonderen Werk im Oeuvre des Regisseurs, dessen skurrile Filme nicht selten knallbunt und vulgär die Grenzen des guten Geschmacks ausloten.
Durch Katastrophen und Fehlschläge hat sich die Menschheit in Sonos Zukunftsvision selbst dezimiert. Maschinen und Androiden dominieren den Weltraum, während der Homo Sapiens zu einer gefährdeten Art erklärt wurde. Die von Sonos Ehefrau Megumi Kagurazaka (Guilty of Romance) verkörperte Androidin Yoko Suzuki reist von Stern zu Stern, um den Menschen Pakete zu liefern, die emotional aufgeladene Erinnerungsstücke beinhalten. In dem gänzlich im analogen Zeitalter verhafteten Weltraum-Setting gehen Zukunft und Vergangenheit dabei eine sonderbare Symbiose ein: Sono kreiert ein Weltraumszenario voller antiquierter Technik, in dem ein Raumschiff mit Tatami-Matten ausgelegt ist, ein alter UKW-Empfänger als Bordcomputer à la HAL 9000 fungiert und die einsame Protagonistin ihre Worte auf ein uraltes Aufnahmegerät spricht. Die futuristische Raumfahrtfantasie über die Relevanz von Erinnerungen wird mit technischen Errungenschaften früherer Generationen verquickt, gegen welche selbst die geliebten Kassetten des Guardians of the Galaxy- Protagonisten Peter Quill schon hochmodern erscheinen.
Die Postzustellerin bewegt sich an Bord beinahe wie in Zeitlupe und flüstert, als könnte das nostalgische Raumschiff, das wie ein altes japanisches Haus anmutet, bei einer höheren Lautstärke auseinanderbrechen oder der UKW-Bordcomputer aus seiner Lethargie der ewig gleichen Ansagen erwachen. Zeit spielt für die unsterbliche Androidin, die zwischendurch ihre AA-Batterien zu wechseln hat, ohnehin keine Rolle. In der Unendlichkeit des Alls macht es keinen Unterschied, ob Sekunden, Stunden oder gar Jahre vergehen oder ob sich die Paketzustellung unendlich hinzieht. In dem von jeglicher Storyentwicklung befreiten Film, macht sich der japanische Regisseur sogar einen Spaß daraus, vermeintliche Zeiteinteilungen mittels unsinniger Texttafeln vorzunehmen: So lässt er das Verstreichen von Wochentagen bei einer Teezubereitung einblenden, zwischenzeitlich einfach ganze Jahre vergehen oder für eine banale Tätigkeit auch schon einmal Sekunden anzeigen. Wenn die Schnelllebigkeit des Seins keine Rolle mehr spielt, werden dafür Kleinigkeiten umso bedeutungsvoll: So schweift der Blick auf den tropfenden Wasserhahn oder die Motten, die im Paketzustellungsraumschiff ununterbrochen eine Lichtquelle umschwirren und die sinnlose Blindheit eines auf ein einziges Ziel ausgerichteten Lebens illustrieren. Den sich stets wiederholenden Alltagstrott der Androidin einfangend, stellt The Wispering Star eine beinahe meditative Erfahrung dar, die im maximalen Kontrast zur wild-anarchischen Hip-Hop-Oper Tokyo Tribe mit ihrer treibenden Beats & Rhymes-Dynamik steht.
Wenn Yoko ein Paket auf einem der angesteuerten Planeten abzuliefern hat, tritt der Film allerdings aus der Enge des Retro-Raumschiffes heraus und zeigt Außenaufnahmen der Zerstörung. Die entvölkerten, von verwüsteten Zivilisationsresten durchzogenen Gegenden verdeutlichen dabei die prekäre Lage der dezimierten Menschheit in der Zukunftsversion und schlagen zugleich einen schmerzlichen Bogen zur Gegenwart. Denn die Katastrophe von Fukushima, mit der sich der Sono in seinem Drama The Land of Hope konkret auseinandersetzte, lässt den Regisseur auch weiterhin nicht los. Nach der Dystopie Himizu, die er bereits einige Monate nach dem Erdbeben des Jahres 2011 im betroffenen Gebiet inszenierte, bilden die realen Bilder der zerstörten Präfektur Fukushima ein weiteres Mal die verstörende Szenerie für eine trostlose Zukunftsfantasie. Dabei drehte der Regisseur nicht nur die Planetenszenen in dem Gebiet, sondern ließ die von Yoko aufgesuchten Empfänger der verpackten Erinnerungsgüter auch von überlebenden Einwohnern der trostlosen Region verkörpern, die zum größten Teil immer noch in Übergangswohnungen ausharren müssen.
Man kann Sonos tollkühn langsamen Weltraumfilm The Wispering Star als erschöpfend repetitiv empfinden, aber ohne Zweifel gehören die Schwarzweiß-Bilder der nostalgischen interstellaren Reise auf der Suche nach der Essenz der Menschlichkeit zu den schönsten und geschmackvollsten im bisherigen Werk des Regisseurs. Für einen einzigen effektvollen Moment wird die von Kameramann Hideo Yamamoto hervorragend umgesetzte Schwarzweiß-Komposition allerdings mit Farbe erfüllt, so dass man Yokos einsetzende Paketzustellungsvorfreude auch als farblichen Hoffnungsschimmer realisiert, bevor dann wieder Graustufen und Stille die melancholisch gefärbte Stimmung dominieren. Dabei beginnt die durch das All reisende Androidin langsam zu begreifen, dass die profan erscheinenden Paketinhalte wichtige Erinnerungen und emotionale Botschaften beinhalten: Sie tragen den Wunsch nach der Überwindung der Einsamkeit in sich.