Frankreich/Taiwan/USA 2024 · 98 min. · FSK: ab 16 Regie: George Huang Drehbuch: Luc Besson, George Huang Kamera: Colin Wandersman Darsteller: Luke Evans, Gwei Lun-mei, Sung Kang, Virginia Chien, Wyatt Yang u.a. |
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Nähe gesucht... | ||
(Foto: Leonine) |
I look inside myself
And see my heart is black
I see my red door
I must have it painted black
– Paint it Black (Vietnam footage), The Rolling Stones
Gleich der Anfang von George Huangs macht klar, worauf wir uns einlassen. Wie in einigen Vietnam-Clips wird Paint it Black von den Rolling Stones unterlegt, ein Lied, das eigentlich von einer individuellen Depression erzählt, doch im Laufe der Jahre immer wieder dafür eingesetzt wird, um die Depression einer ganzen Gesellschaft zu illuminieren.
Das macht auch George Huang sehr explizit, denn er erzählt von einem korrupten Taiwan, das es bei allen Bauskandalen der letzten Zeit natürlich so nicht gibt. Das mag daran liegen, dass das Filmprojekt eigentlich in Hongkong hätte spielen sollen. Doch da die versprochenen Fördergelder ausblieben, schlug Co-Produzent und Co-Drehbuch-Autor Luc Besson vor, es mit Taipei zu versuchen, wo er 2013 mit seinem Film Lucy so gute Dreherfahrungen gemacht hatte, dass er schon damals versprochen hatte, für einen weiteren Film nach Taipei zurückzukehren. Und da Taipeis Bürgermeister Chian Wan-an dann tatsächlich grünes Licht gab, heißt es nun »Weekend in Taipei« statt »Weekend in Hongkong« und stimmen vielleicht einige gesellschaftliche Koordinaten nicht immer und nicht so ganz.
Aber das ist im Grunde auch nicht von Belang. Zwar widmet sich Huang in einer wundervollen Eingangssequenz der widerborstigen Schönheit Taipeis, doch danach verschwinden Stadt und Gesellschaft eigentlich aus dem Fokus, wird stattdessen die wilde Geschichte von John Lawlor (Luke Evans) erzählt, einem überambitionierten amerikanischen DEA-Agenten, dem es nicht reicht, einen Drogenumschlagplatz in den USA auszuheben, sondern der an die Wurzeln des Übels will, die nun mal in Taipei in der Person Kwang (Sung Kang) liegen, des zwielichtigen Vorstandsvorsitzenden eines internationalen Konzerns. Das ist an sich schon zu viel des Guten, denn John muss diese Reise ohne die Einwilligung seiner Vorgesetzten und dementsprechende Backups antreten und trifft dann auch noch auf die Schatten seiner Vergangenheit. Denn 15 Jahre zuvor hat John schon einmal in Taipei zu tun gehabt, allerdings als Undercover-Agent, der sich in eine Frau der gegnerischen Seite verliebt hatte.
Die Überraschungen, die dieses Szenario bietet, sind überschaubar und vielleicht ein wenig aufgesetzt und holzschnittartig entwickelt, machen aber Spaß, weil Huang und sein hervorragendes Ensemble durchaus überraschen. Nicht nur, weil es irgendwann aufs Land, an die taiwanesische Küste geht, sondern weil im Zentrum des Films irgendwann gar nicht mehr die korrupte Gesellschaft Taiwans steht, sondern eine der Grundfragen des Lebens. Was macht eine Frau, die nicht weiß, ob sie überhaupt noch lieben kann. Und der es schwerfällt, sich zwischen Liebe und Sicherheit zu entscheiden. Gwei Lun-mei als Joey ist für diesen Charakter hervorragend besetzt, denn sie weiß sowohl die Langeweile des Reichtums darzustellen – durch eine exzellente Ferrari-Fahrt durch Taipei stilsicher symbolisiert – als auch die Zweifel, die einen befallen, wenn es nicht nur um den geliebten Ex geht, sondern auch den eigenen Sohn, der sich mehr und mehr zu entfremden scheint.
Außerdem stellen Huang und Bresson in ihrem gemeinsamen Drehbuch zunehmend die Frage nach familiärer Identität, die nicht nur wegen der mehr und mehr ins Zentrum geratenen Auto-Verfolgungsszenen an das Fast & Furious Franchise und vor allem Fast & Furious 9 erinnert, in dem ebenfalls das amerikanische Ideal der heiligen Familie zu scheitern droht. Doch sind es in Weekend in Taipei keine Opas, die sich raufen und zusammenfinden sollen, sondern noch relativ junge Menschen, die hier eigentlich alles tun, um endlich wieder eine heile Familie zu sein, auch wenn jeder – inklusive sie selbst – etwas dagegen zu haben scheint. Das ist bei aller Sinnfreiheit, die der Film immer wieder befreiend ausspielt, dann doch sehr sinnreich und ist vor allem durch einen gut pulsierenden Takt, der der Geschwindigkeit stets auch einen Hauch von Stillstand entgegensetzt, überzeugend strukturiert.
Der Film löst die Sehnsucht nach Nähe und Familie überraschend ironisch und zweideutig auf und spielt ein weiteres Mal auch auf die taiwanesische Kultur und ihre ja historisch begründeten starken Migrationswellen, aber auch die Isolation des Landes an und natürlich die verzweifelte Suche nach so etwas wie taiwanesischer Identität. Das ist, auch wenn es Spaß macht, anzuschauen, natürlich nicht genug. Wer sich nach diesem Film nach mehr sehnt, hat im Kino noch die Chance, den hervorragenden Dìdi von Sean Wang über eine in die USA ausgewanderte taiwanesische Familie im Umbruch zu sehen. Wer allerdings in Berlin wohnen sollte, hat ein noch viel größeres Glück. Er kann die Edward-Yang-Retrospektive ansehen, die im letzten Jahr – allerdings noch um eine Ausstellung ergänzt – auch in Taipei lief und alle Filme Yangs zeigte, nun in Berlin sehen. Dazu gehören die großen Meisterwerke wie Taipei Stories, The Terrorizers und Mahjong, in denen all das erzählt wird, was in Huangs Film fehlt.
Taipei Stories | Die Filme von Edward Yang | 25.10.-03.12.2024 | Zeughauskino Berlin