Großbritannien 2010 · 92 min. · FSK: ab 0 Regie: Patrick McGrady Drehbuch: Patrick McGrady Kamera: Jeremy Irving, Sergei Dubrovsky Schnitt: Amanda Young |
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From his masters hands |
Eines der widersprüchlichsten Phänomene, mit denen sich der Mensch so herumschlagen muss, ist die Moral. Nichts ist so einfach wie ein moralisches Empfinden (das ist so leicht zu wecken, dass es gerne auch mißbraucht wird) aber kaum etwas ist so schwierig wie moralisches Handeln.
Natürlich finden wir es ganz fürchterlich verwerflich, wie Konzerne, zügelloser Konsum, Bequemlichkeit und Vergnügungssucht unsere Umwelt und irgendwelche armen Leute am anderen Ende der Welt
ausbeuten, erniedrigen und vernichten, aber deshalb gleich auf die neuen Turnschuhe oder das feine Stück Thunfisch verzichten?
Natürlich finden wir es ganz fürchterlich, welche unzumutbaren politischen und sozialen Verhältnisse in bestimmten Ländern herrschen und von welchen Despoten, Menschenverächtern oder selbstverliebten Idioten sie regiert werden, aber deshalb gleich auf den Urlaub in diesem Land verzichten?
Diese Problematik trifft man erstaunlich oft auch in der Kunst. Denn gerade hier, wo scheinbar alle so bedacht auf liberales, moralisch korrektes und ideologisch einwandfreies Denken und Handeln sind, gibt es doch immer auch Künstler und Kunstwerke, die eigentlich widerlich, verabscheuenswert und hochgradig unmoralisch sind.
Der alte Spruch vom »da wo man singt, dort lass dich ruhig nieder, denn böse Menschen kennen keine Lieder«, ist leider totaler Unsinn. »Böse Menschen« kannten bzw. mochten immer auch die schöne Kunst und wenn man einmal etwas genauer hinschaut, dann sind es gar nicht so wenige »böse Menschen« mit gutem Geschmack. Da sind die, die sich mit einem grausamen Regime eingelassen haben oder die, die auch ohne vorgegebene Ideologie reaktionär und radikal sind oder die, die Randgruppen jeder Couleur verachten oder die, die kriminell sind (wobei in diesem Zusammenhang natürlich nicht »coolen« Straftaten wie Drogenbesitz oder Widerstand gegen die Staatsgewalt, sondern geächteten Vergehen wie Vergewaltigung oder Kindesmißbrauch gemeint sind). Natürlich finden wir Antisemiten, Faschisten, Supermachos und Kinderschänder ganz fürchterlich, aber deshalb gleich auf ihre oft wunderbare Kunst verzichten?
Kunstsinnige Menschen trifft ein solcher Widerspruch härter als andere, da gerade sie sich dem moralisch korrekten Handeln besonders verpflichtet fühlen. Zum Glück sind kunstsinnige Menschen auch sehr talentiert im Deuten und Erklären, so dass sich dank der richtigen Argumente manch beflecktes Kunstwerk bzw. manch anrüchige Künstlerbiographie wieder persilscheinweiß reden läßt.
Einen sehr typischen und deshalb sehr sehenswerten Beitrag zu diesem Themenkomplex liefert aktuell der Film Wagner & Me, in dem sich der gemeinhin bekannte Autor, Schauspieler, Moderator, Regisseur und Erzähler Stephen Fry seiner Leidenschaft für die Musik von Richard Wagner stellt. Die Brisanz dieses Vorhabens besteht darin, dass Fry Jude ist und im Holocaust Verwandten verloren hat, während Wagner und sein Werk auf mancherlei Weise mit Antisemitismus und Faschismus verbunden sind.
Für Fry ist Wagner das größte Genie aller Zeiten, seine Musik berückt ihn zutiefst, beim Besuch von Wahlfahrts- und Sehnsuchtsorten wie dem Grünen Hügel in Bayreuth, beim Betrachten von Devotionalien wie Noten oder einem originalen Klavier und beim Beobachten von Proben und Aufführungen überkommt ihn eine fast kindisch Freude und Begeisterung. Aber ist das wirklich zulässig? Kann man Kunst lieben, die von einem Menschen mit verachtenswerten Ansichten gemacht wurde? Kann man Kunst lieben, die von sehr vielen, sehr schlechten Menschen auch verehrt wurde? Ob man es kann, ist eine Frage. Klar ist von Anfang an, dass Fry es will, weshalb der Film die für solche Werke eher ungewöhnliche Position der Begeisterung, die sich um Kritik und ihre zeitgleiche Relativierung bemüht, einnimmt. Üblich ist ja sonst, dass derartige Dokus (gerade Künstlerbiographien) entweder vor lauter Lobhudelei selbst die kleinste Kritik verdrängen oder dass (gerade bei moralisch bedenklichen Themen) so verkrampft nach dem Bösen gesucht wird, dass das vielleicht auch vorhandene Schöne negiert wird. Stephen Frys Ringen um das richtige Urteil über Wagner ist da auf jeden Fall differenzierter.
Um den Film richtig zu bewerten, sollte man sich vorab von zwei (wenn auch naheliegenden so doch) unzutreffenden Erwartungshaltungen lösen. Wagner & Me ist trotz Stephen Fry und dessen schrägen Outfits weitgehend frei von britischem (oder sonst einem) Humor. Der Film ist freundlich amüsant, aber auch nicht mehr, was irgendwie auch angemessen ist.
Auch ist der Film in seinem Informationsgehalt nie außergewöhnlich originell. Wer sich halbwegs
mit Richard Wagner beschäftigt hat, wird hier keine neuen Erkenntnisse oder Theorien finden. Der Film ist informativ, aber auch nicht mehr, was irgendwie auch nicht notwendig ist.
Denn die Hauptattraktion ist ohnehin der verzweifelte Versuch Stephen Frys, die nicht zu leugnenden unschönen Tatsachen mit seiner Begeisterung in Einklang zu bringen, oft mit sonderbarem Ergebnis.
Bemerkenswert ist dabei der Schluss des Films. Nachdem sich Fry mit zum Teil ziemlich wackeligen Argumenten durch alle Kritik durchrelativiert und –laviert hat (was bitte besagt es, dass der Antisemitismus zu Wagners Lebzeiten ein »anderer« wie der nach 1945 war? Was bitte besagt es, dass die KZ-Überlebende in Auschwitz zwar andere klassische Musik aber nie Wagner für die Nazis spielen musste?), tritt er schließlich vor die Kamera und trifft ein geradezu absurd apodiktisches Urteil. Dieses Urteil entbehrt natürlich jeglicher logischen Begründung oder Überprüfbarkeit aber gerade dadurch weißt es deutlich darauf hin, dass Fragen der Moral entgegen der üblichen Annahme eigentlich nur emotional und nicht rational beantwortet werden können.
Alleine (aber nicht nur!) wegen diesem Schluß ist Wagner & Me dem thematisch verwandten Spielfilm Taking Sides von István Szabó, der seine Geschichte von der Moral und der Kunst arg thesenhaft präsentiert, vorzuziehen.