Was ist Liebe wert – Materialists

Materialists

USA/FIN 2025 · 117 min. · FSK: ab 0
Regie: Celine Song
Drehbuch:
Kamera: Shabier Kirchner
Darsteller: Dakota Johnson, Chris Evans, Pedro Pascal, Zoe Winters, Dasha Nekrasova u.a.
Was ist Liebe wert - Materialists
Nichts ist wie es scheint...
(Foto: Sony)

Scheiß auf die Liebe

Celine Songs romantische Tragikomödie seziert nicht nur das Romcom-Genre, sondern setzt es auch neu zusammen. Das ist so gnadenlos wie überraschend und immer intelligent

Nach Richard Link­la­ters wunderbar verrückter Neude­fi­ni­tion der roman­ti­schen Komödie in Hit Man (2023) ist es relativ still um Versuche gewesen, das Genre mit neuen Ansätzen weiter auszu­bauen. Die Stan­dard­ware hat dominiert, was sich nicht unbedingt schlechter verkauft und natürlich auch seine Berech­ti­gung hat, ausge­nommen viel­leicht die Untiefen, in denen sich die deutsche roman­ti­sche Komödie meistens bewegt.

Auch Celine Songs Was ist Liebe wert – Mate­ria­lists macht zu Anfang den Anschein, als sei hier alles beim Alten, was natürlich über­rascht. Denn Celine Song ist natürlich nicht irgendwer, sondern die Regis­seurin, die mit ihrem Debütfilm, dem liebes­ernsten Lebens­spiel Past Lives – In einem anderen Leben (2023) über­rascht und begeis­tert hat, weil sie damit der ausge­nu­delten Drei­ecks­be­zie­hung eine zärtliche und besonnene Variante hinzu­fügte, die auch noch das Thema Migration und Identität so aufregend wie spie­le­risch mit einbe­zogen hat.

So wie in Past Lives hinter­fragt Song auch in Mate­ria­lists alte und neue Liebe und ist es dann auch hier eine Drei­ecks­be­zie­hung, die im Zentrum steht, doch auf ganz andere Weise und ohne Migration. Es ist eine völlige Schwer­punkt­ver­la­ge­rung, die sich bis auf die Dialoge und das Schau­spiel auswirkt. War in Past Lives noch alles voller lite­ra­ri­scher Leer­stellen und die Dialoge Schwerst­ar­beit, weil jeder der Betei­ligten um den Sinn der Worte und seine Gefühle ringen musste, ist es in Mate­ria­lists ganz anders. Wie in den besten Screwball-Komödien gleichen die Dialoge einem Schuss­wechsel und genauso verhält es sich auch mit dem Ensemble, das wild und unbe­re­chenbar aufspielt. Denn Song hat ihre Darsteller sehr wohl ausge­wählt und dabei aus der Schule der Vergan­gen­heit gelernt. So wie das legendäre Komö­di­anten-Trio David Zucker, Jim Abrahams und Jerry Zucker (Die nackte Kanone) hat auch sie ihre Darsteller gegen den Strich besetzt, sind Dakota Johnson als Heirats­ver­mitt­lerin Lucy, Chris Evans als Lebens-Loser John und Pedro Pascal als monetär-sinnvolle Heirats­an­lage Harry Castill ganz und gar nicht die, die sie in früheren Filmen verkör­pert haben. Allein das macht schon Spaß.

Aber um Spaß geht es Song dann natürlich auch nicht. Das merkt man sehr schnell, denn die klas­si­sche RomCom-Einlei­tung ist schnell vorbei und aus der klas­si­schen roman­ti­schen Komödie wird schnell eine unro­man­ti­sche Komödie und dann eine Tragödie, um am Ende, zumindest »spie­le­risch« oder auch »selbst­iro­nisch« die klas­si­schen Elemente wieder zu bedienen. Doch ihr »Schuster, bleib bei deinen Leisten« ist hier derartig aufge­setzt, dass man Song diese erneute Wende eines eh schon sehr turbu­lenten und über­ra­schenden Parcours schlichtweg nicht abnimmt. Obwohl das natürlich abhängig von den roman­ti­schen Defiziten des jewei­ligen Zuschauers sein dürfte.

Dazwi­schen bleibt Zeit für Gedan­ken­spiele. Sind wir in unseren west­li­chen Gesell­schaften an einem Punkt ange­kommen, mit dem tradi­tio­nelle Gesell­schaften nie gebrochen haben? Denn die hier wie in einer Versuchs­an­lei­tung durch­ex­er­zierte »arran­gierte Beziehung« unter­scheidet sich nur ansatz­weise von dem Prinzip, das etwa selbst in modernen afgha­ni­schen Familien sehr erfolg­reich (und durchaus auch roman­tisch) prak­ti­ziert wird. Oder von dem was Shekar Kapur in seiner sehr gelun­genen roman­ti­schen Komödie What’s Love Got to Do with It? (2023) erzählt hat.

Aber Celine Song geht in Mate­ria­lists noch einen Schritt weiter – sie legt gnadenlos offen, dass selbst die soge­nannten Einhörner, jene erfolg­rei­chen, mindes­tens 1,80 Meter großen und mindes­tens 300.000 Dollar im Jahr verdie­nenden Männer einen Preis dafür gezahlt haben, um erfolg­reich zu sein. Und sei es »nur« den, sich die Beine zertrüm­mern zu lassen, um durch das neue Zusam­men­wachsen ein paar Zenti­meter zu gewinnen.

Das ist ein Statement gegen den Irrsinn der Incels , aber dann auch wieder eine Bestä­ti­gung. Denn wie in der Netflix-Erfolgs­serie Adole­s­cence ist der Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum für das Böse in der Frau – hier die mathe­ma­tisch ange­wandte Moral von Lucy – weit und der Misogynie Tür und Tor geöffnet. In Adole­s­cence hätte Lucy wohl kaum überlebt.

Aber irgendwie hat Song auch dafür vorge­sorgt, denn ihr Cast spielt so brillant und mit atem­be­rau­bendem Spaß fast jede Szene aus, dass man immer wieder die von Song manchmal fast schon zu komplex ange­legten Meta-Ebenen auch vergessen kann und selbst in diesem berech­nenden Spiel um Liebe, Moral und finan­zi­elle Sicher­heit so etwas wie große Gefühle entstehen. Obwohl gerade die im nächsten Moment schon wieder hinter­fragt werden. Aber auch damit bleibt Song ihrer bislang kurzen Karriere als Filme­ma­cherin treu, denn so wie in Past Lives – In einem anderen Leben bleibt am Ende auch in Was ist Liebe wert – Mate­ria­lists nur die Erkenntnis, dass das Leben und die Liebe mehr sind als das, was wir gemeinhin sehen und zu erkennen glauben.