Südkorea/USA 2016 · 156 min. · FSK: ab 16 Regie: Na Hong-jin Drehbuch: Na Hong-jin Kamera: Hong Kyung-pyo Darsteller: Kwak Do-won, Hwang Jung-min, Jun Kunimura, Chun Woo-hee u.a. |
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Zentrale Ambivalenzen: das Ungreifbare und Undurchsichtige, das Maskenhafte und Allegorische. |
Der neue Film des koreanischen Genre-Meisters Hong-jin Na (The Yellow Sea und The Chaser) trägt im Original den Titel eines kleinen Dorfes bei den Wäldern: GOKSUNG. Übersetzt heißt das: The Wailing, „Das Wehklagen“. Dass ein Dorf nach Klagelauten benannt ist, mag mit einer gewissen Gottesfürchtigkeit seiner Bevölkerung zusammenhängen. Dieser Ort fernab der Großstadt scheint etwas rückständig zu funktionieren, Wissenschaft hat im Film keinen Platz. Die Menschen wissen nicht, wie sie auf eine Reihe von grotesken Morden und Schicksalsschlägen reagieren sollen. Die Spurensuche läuft nur schleppend. Und in der Tat scheint eine gewisse Ratlosigkeit auch angebracht: Ein übernatürliches Böses bricht über den Ort herein und Leute werden anscheinend von Dämonen in Besitz genommen.
Das Wehklagen wird zu einem ästhetischen Leitmotiv und zum schauspielerischen Refrain: Ein leises, verzweifeltes, klares Wimmern eines vernichteten Mannes steht ganz am Ende des Films. Vorher gibt es immer wieder das geplagte Aufbäumen Einzelner gegen eine Gewalt, die nicht begreifbar ist. Das Fluchen und Verfluchen, das Drohen und fanatische Eindreschen auf Menschen und Tiere, die vielleicht Schuldige sein können oder sein sollen. Schon ganz früh dringt das wahnsinnige Herumstammeln und Herumschreien eines Zeugen durch einen Hof, dessen Verwandte mit unzähligen Stichen abgeschlachtet wurden. Der Mörder hat einen leeren Blick, ist völlig unlesbar.
Und dann ist da auch das ratlose Zusammensinken des Protagonisten Jong-gu (Kwak Do-won), wenn alle Ermittlungen über die plötzliche Besessenheit seiner Tochter keine Anhaltspunkte bringen. Wie die anderen Wahnsinnigen im Dorf ist sie bald zunehmend von Pusteln übersät und verliert offensichtlich ihren Verstand. Im fortgeschrittenen Stadium sind die Besessenen in der Tat ziemlich verunstaltet und wenig zimperlich: Die Massaker, die sich in den Familien des Orts mit beängstigender Regelmäßigkeit abspielen, erinnern nicht selten an Zombiefilme.
Das alles scheint unfassbar in seiner biblischen Drastik und ein menschengemachter Ursprung erscheint selbst den einfacheren Gemütern bald zunehmend unwahrscheinlich. Zunächst reagiert der Film auf die Absurdität der Ereignisse mit überzeichnetem Humor. Im Dorf sind die Leute nicht zimperlich. Als Jong-gu bei seiner Arbeit gleich von zwei halbverbrannten Monster-Nachbarn angefallen wird und auf dem Boden herumzappelt, meint sein Chef bloß, er sein ein Trottel. Er windet sich und kreischt hysterisch herum, ebenso wie einige seiner Kollegen später die Hosen voll haben, wenn einer der Wahnsinnigen auftaucht und sich ziemlich schleppend an Angriffen versucht. Sie Prügeln mit Stöcken und Steinen auf ihn ein, bis er Ruhe gibt. Aber das löst nicht das Problem: Alle scheinen sie der aufkommenden Bedrohung so gar nicht gewachsen. Und wie auch? In diesem Film wird sogar ein Typ vom Blitz getroffen!
Zugegeben: Jong-gu ist nun wirklich nicht der Hellste. Der trottelige Provinzbulle hört gerne hin, wenn die rassistische Hetze gegen einen kürzlich zugezogenen, eigenbrötlerischen Japaner (Jun Kunimura) aufkeimt. Als er gegen ihn ermittelt, hat er sich so gar nicht im Griff, droht ihm Schläge an. Der Griff zur Mistgabel scheint da nicht mehr weit. Und wenn Moo-myeong (Chun Woo-hee), die Verrückte von nebenan, ihm Gruselgeschichten erzählt, macht er sich fast in die Hosen. Immer wieder tauchen Slapstik-Momente und überzeichnetes Schauspiel auf, bilden allerdings nur Konterpunkte zur letztlichen Substanz des Films. Es ist ungemein beeindruckend, wie Kwak Do-won dem Mann in seinem Spiel über die fast dreistündige Laufzeit der Geschichte eine immer größere Ernsthaftigkeit verleiht. Gemeinsam mit der Figur kippt die Stimmung des gesamten Films irgendwann ins absolut Dämonische.
Und während der Tonfall des Films sich mehr und mehr dem Düsteren und Übernatürlichen zuwendet, zeichnet der Film alle Schlüsselfiguren außer Jong-gu als immer undurchsichtiger, im permanenten Wandel. Der Vater kämpft um die Seele seiner Tochter, doch es wird zunehmend unklar, wie sich in seinem Umfeld eigentlich das Böse manifestiert. Und wenn da etwas Böses ist, steht es automatisch mit dem Teufel im Bunde? Oder ist das Böse nicht vielleicht zu verwechseln? Und wenn es ein Böses gibt, wie verhält es sich mit einem Guten? Wirkt im Ort nicht vielleicht sogar eine göttliche Präsenz, die die Menschen auf eine Probe stellen will? Bibelzitate rahmen den Film, Pocken und Heuschrecken plagen die Leute. Selbst die Todesfälle (12, ganz wie die Apostel) und Besessenen (7, ganz wie die Todsüden) sind abgezählt und animierten gründliche Blogger zum ganz genauen Hinsehen.
The Wailing ist auf offene Enden hin montiert und inszeniert, verschachtelt unentwegt Fragestellungen und Widersprüche ineinander. Das ist gleichermaßen verwirrend, wie auch gekonnt unberechenbar inszeniert. Die dynamische Inszenierung seiner vorherigen Filme behält der Regisseur bei. Doch das realistische Polizei-Setting hat er aufgegeben. Hong-jin Na sucht über eine wilde Mixtur von Religionsverweisen hinweg nach Strukturen, die jenseits des psychologischen angesiedelt sind. Dafür arbeitete er mit dem Kameramann (Hong Kyung-pyo) und Cutter (Kim Sun-min) des koreanischen Mystery-Thrillers Memories of Murder (Bong Joon-ho), die das Undefinierte und Unheimliche, das Träumerische und Absurde meisterhaft im kleinen Dorfalltag einnisten. In der Tat sind hier die Ambivalenzen zentral, das Ungreifbare und Undurchsichtige, das Maskenhafte und Allegorische.
Und das Klagen wird zu einer Anklage, zu einer Abrechnung mit den Wirren der Realität und mit dem Tod als Unbegreifbarste aller menschlichen Realitäten. Es gibt kein angemessenes Bild, keine durchdringende Philosophie. Selbst die Kamera ist letztlich korrupt. Im Grunde ist alles ganz einfach im Dorf Goksung: Die Welt hat keine Sicherheiten.