Von jetzt an kein zurück

Deutschland/Ö 2014 · 109 min. · FSK: ab 16
Regie: Christian Frosch
Drehbuch:
Kamera: Frank Amann
Darsteller: Victoria Schulz, Anton Spieker, Ben Becker, Ursula Ofner, Thorsten Merten u.a.
Althergediente Tischrituale

Der Muff von 1000 Jahren

1967 irgendwo in der west­deut­schen Provinz: Martin (Anton Spieker) und Ruby (Victoria Schulz) mögen Beatmusik und sich. Martin liest Rimbaud. Ruby hört die Monks – und nicht die Kinks. Martin trägt lange Haare und will Schrift­steller werden. Ruby jobbt in einem Plat­ten­laden und möchte später singen. Rubys Vater (Ben Becker) ist ein alter Tyrann und hat im Krieg als Feldwebel gedient. Martins Vater (Markus Hering) lässt sich als ehema­liger Ober­feld­webel von diesem Mann nichts sagen und war nach seiner Heimkehr aus russi­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft jahrelang in psychi­scher Behand­lung. Martin und Ruby essen Flie­gen­pilze, haben Sex und werden anschließend ordent­lich bestraft. Martin und Ruby hauen gemeinsam nach Berlin ab und werden dort von der Polizei erwischt. Ruby kommt in das katho­li­sches Heim der (Un-)Barm­her­zigen Schwes­tern. Martin landet im einem Arbeits­lager ähnelndem Erzie­hungs­heim der Diakonie in Freistatt.

Die Geschichte, die der öster­rei­chi­sche Filme­ma­cher Christian Frosch (Die totale Therapie, 1996) in dem von ihm geschrie­benen und insz­e­nierten Drama Von jetzt an kein zurück erzählt, glänzt nicht unbedingt durch Subti­lität. Statt­dessen setzt Frosch auf eine holz­schnitt­ar­tige Charak­terz­eich­nung, die ebenso schwarz­weiß wie das im Film ange­pran­gerte Weltbild der nur formal entna­zi­fi­zierten Vor-1968er-Gene­ra­tion ist. Trotzdem ist es sehr inter­es­sant, ein Drama zu sehen, das sich mit der Vorge­schichte einer in Filmen wie Der Baader Meinhof Komplex (2008) bereits recht intensiv filmisch bear­bei­teten Phase der jüngeren deutschen Vergan­gen­heit ausein­an­der­setzt.

Von seiner Intention und von seiner Darstel­lungs­weise erinnert Von jetzt an kein zurück – zumindest in den ersten zwei Dritteln seiner Laufzeit – an Michael Hanekes Drama Das weiße Band (2009). Hanekes Film liegt die Frage zugrunde, was für eine Art von Gesell­schaft der geeignete Nährboden für den bald darauf sich durch­setz­enden Natio­nal­so­zia­lismus war. Sein Landsmann Frosch setzt sich analog hierzu damit ausein­ander, wie völlig normale Menschen zu mörde­ri­schen Terro­risten werden konnten.

Das weiße Band zeigt eine unter einem verknöcherten Protes­tan­tismus zu erstickten drohenden Gesell­schaft, die voller Zucht und Ordnung und gänzlich frei von Hinwen­dung und Liebe ist. Von jetzt an kein zurück zeigt, was aus den Kindern dieser Menschen geworden ist, als diese bereits selbst Eltern sind. Ihr »tausend­jäh­riges Reich« liegt schon lange in Scherben. Aber die alte gesell­schaft­liche Ordnung ist nach wie vor weitest­ge­hend intakt. Das Indi­vi­duum ist sündig und tenden­ziell kriminell. Eltern, Lehrer und Heim­er­zieher sind sich darin einig, dass nur aus einer gebro­chenen Persön­lich­keit später einmal ein wert­voller Bürger werden kann. Rubys Vater sagt seiner Tochter: »Bis du einund­zwanzig Jahre alt bist, machst du nur, was ich will!«

Die Härte und Lieb­lo­sig­keit einer solchen Gesell­schaft ist sowohl in Das weiße Band als auch in Von jetzt an kein zurück in dem Grau-in-Grau eines Schwarz­weiß­bildes fest­ge­halten. In den Heim­szenen bei Frosch klingen Erin­ne­rungen an Volker Schlön­dorffs Debütfilm Der junge Törless (1966) an. Die Musil-Verfil­mung verbindet die Werke von Haneke und von Frosch nicht nur in atmo­s­phä­ri­scher Hinsicht. Entstanden ist das Drama in der Zeit, in der Von jetzt an kein zurück spielt. Die auf Robert Musils Roman »Die Verwir­rungen des Zöglings Törleß« (1906) zurück­ge­hende Erzählung spielt hingegen ungefähr zu der Zeit, in der auch Das weiße Band ange­sie­delt ist.

Musil, Haneke, Frosch: Die Öster­rei­cher zeigen sich immer wieder als uner­bitt­liche Beob­achter und Sezierer gesell­schaft­li­cher Verhält­nisse im deutsch­spra­chigen Raum. Frosch bewegt sich mit den beiden erst­ge­nannten Künstlern zwar nicht auf der gleichen quali­ta­tiven Stufe, aber ein sehr inter­es­santer und stre­cken­weise recht überz­eu­gender Film ist ihm mit Von jetzt an kein zurück in jedem Fall geglückt. Zu dem positiven Gesamt­ein­druck trägt Victoria Schulz entschieden bei. Sie bildet in ihrer Rolle als Ruby das emotio­nale Zentrum des Films. Auch gelingt es Schulz, ihrer Figur genau die Palette an Zwischen­tönen abzu­ge­winnen, die den meisten anderen Charak­teren fehlen. Die einzige weitere Ausnahme bildet Markus Hering als Martins Vater.

Irgend­wann weicht das trübe Schwarz­weiß einem pulsie­renden Rot, dem wiederum ein normales Farbbild folgt. Norma­lität herrscht jedoch selbst jetzt nur an der Ober­fläche. Immer wieder dringen die düsteren schwarz­weißen Erin­ne­rungen aus den Tiefen der Erin­ne­rung der gepei­nigten Seele hervor und über­la­gern die Gegenwart.