USA 2018 · 134 min. · FSK: ab 12 Regie: Adam McKay Drehbuch: Adam McKay Kamera: Greig Fraser Darsteller: Christian Bale, Amy Adams, Steve Carell, Sam Rockwell, Alison Pill u.a. |
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»Vice« heißt im Englischen übrigens auch Laster: Dick Cheney |
Es besteht Klärungsbedarf. Das zeigt auch der exponentielle Anstieg der Produktionen von Dokumentarfilmen auf Netflix, die sich mit der Politik beschäftigen. Seit Donald Trump US-Präsident ist, nehmen sich immer mehr Filmemacher in den USA der Aufgabe an, das Gewusel aus Lügen, Panikmache und Fake News zu entzerren und aufzuklären – mal mehr, mal weniger erfolgreich.
Der Regisseur Adam McKay (The Big Short) geht die Sache in Vice – Der zweite Mann anders an. Im Biopic über Dick Cheney (Christian Bale), Vizepräsident des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush (dargestellt von Sam Rockwell), hat er sich »scheiße Mühe gegeben«, nachdem aber keiner der Beteiligten bei den Ereignissen dabei war, lässt er künstlerische Freiheit walten, so zumindest der Vorspann. Vice ist kein klassisches Biopic, sondern wagt eine für Hollywood unkonventionelle Mischung aus Comedy-Drama, Polit-Satire und eben Biographie – jedoch gelingt ihm das auch, der Spagat zwischen Aufklärung und Satire, zwischen Belehren und Unterhalten?
Fettes Grinsen in die Kamera, eingefrorene Einstellung und eine Erzählerstimme, die sagt: »Das ist Dick Cheney.« Nach einer kurzen Einführung der Figuren wie im Sitcom-Vorspann kann es auch schon losgehen. So rasant wie der Film erzählt, so schnell werden im Weißen Haus Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen und mehreren tausend Toten getroffen. Ein dummer Gedanke, ein Finger, ein roter Knopf.
Aber halt. Wie ist Dick Cheney überhaupt in diese Machtposition gekommen? Ein mittelmäßiger Student und mittelmäßiger Sportler, der wegen seines Alkoholproblems von der Yale Universität geflogen ist, und jetzt Vizepräsident von George W. Bush?
Wyoming, 1963. Dick wird beim Autofahren unter Drogeneinfluss erwischt und seine Freundin Lynne (Amy Adams) stellt ihn vor ein Ultimatum: entweder er bekommt sein Leben auf die Reihe oder sie verlässt ihn. Amy Adams spielt Lynne als eine Frau, die ihr unbedingtes Ziel, Einfluss zu gewinnen, durch ihren Mann auslebt. Sie springt in seiner politischen Kampagne ein, wenn er wegen Herzinfarkten ausfällt, und treibt ihn immer wieder dazu, weiter politisch tätig zu sein.
Cheney findet Arbeit im Weißen Haus unter Nixons Wirtschaftsberater Donald Rumsfeld (Steve Carell) und hört in einem Gespräch den geheimen Befehl Nixons mit, Kambodscha zu bombardieren. Für Dick eröffnet sich die wahre Macht der Exekutive. Er klettert die Karriereleiter weiter nach oben, wird Stabschef im Weißen Haus, Abgeordneter für Wyoming, Verteidigungsminister und schließlich Vizepräsident von Bush, wo er die Unitary Executive Theory voll ausnutzt: Gestützt auf den zweiten Artikel der amerikanischen Verfassung verleiht sie, dem Präsidenten Macht über die komplette Exekutive. Ein Knopfdruck: Irakkrieg.
Wie schon zuvor bei The Big Short greift Adam McKay tief in die Filmtrickkiste. Der Film erzählt achronologisch, springt zwischen den Ereignissen hin und her, deren Verlauf von einer Stimme im Voice Over begleitet wird. Es ist nicht Dick Cheneys, sondern die Stimme von Kurt, dem Spender für Cheneys Herz, das dieser nach zahlreichen Herzinfarkten benötigt. Die Metapher ist nicht zu übersehen. McKay montiert Fernsehaufzeichnungen der Nachrichten von CNN und Fox News über 9/11 mit Szenen aus dem Kongress und liefert so das nötige Futter für den Aufklärungsanspruch des Films. Die Unterhaltung bieten vor allem die schauspielerischen Leistungen von Christian Bale, Steve Carell und Sam Rockwell.
Christian Bale schwankt als Dick Cheney gekonnt zwischen Parodie und dem Versuch, Cheneys Motivation und Persönlichkeit zu verstehen. Durch Cheneys harmlose, teigige Statur mit Glatzkopf, in der Bale dank Maske und Prothesen versinkt, blitzt immer wieder eine leichte Böswilligkeit durch. Cheney zeigt keine Skrupel, die amerikanische Verfassung zu seinen Gunsten auszulegen und die passende Interpretation wie ein Gericht auf der Speisekarte auszuwählen, um damit »seine Familie und sein Volk zu schützen«, wie er am Ende des Films direkt in die Kamera mitteilt.
Wer den aus dem Internet bekannten Satz »Dick Cheney made money off the Iraq War« verstehen möchte, der wird die Antwort in Vice finden, ohne sich wie in einer langweiligen Geschichtsstunde zu fühlen.
Am Meeresgrund treibt ein kleiner Fisch auf ein leuchtendes Etwas zu. Sieht interessant aus, vielleicht eine Alge? Dann ein schneller Sog, Zähne, die zubeißen und der kleine Fisch wird vom Anglerfisch gefressen. Plump durch die Dunkelheit der Tiefsee treibend geht der Anglerfisch mit seinem Leuchtorgan auf Beutefang. Selten nur wird er von Menschen gesichtet. So in etwa kann man sich Ex-Vizepräsident Dick Cheney in Adam McKays brillanten Biopic Vice – Der zweite Mann vorstellen, das ebenso Polit-Satire wie Kriegsdrama ist. Auch Cheney fischt unbehelligt nach leichtgläubigen Artgenossen und ködert mit falschen Fakten. Hat man dies erkannt, ist es bereits zu spät.
Der Regisseur von The Big Short hat einen außergewöhnlich gewitzten Film geschaffen. Christian Bale, ein Garant für gute Filme, mimt grandios den ruhigen, verschlagenen Cheney, den die Götter nicht gerade mit Charisma gesegnet haben.
Man verfolgt die politische Karriere des mittelmäßigen Mannes, der nach 9/11 unter (oder besser: hinter dem Amt von) George W. Bush jr. der heimliche Strippenzieher des Irakkriegs, extremer staatlicher Überwachung und des Gefangenenlagers Guantanamo wird. Sam Rockwells Darstellung als Bush ist der Satire entsprechend ein echter Schenkelklopfer. Der damalige US-Präsident wird als impulsiver und leicht zu manipulierender Kasperlkopf gezeigt. In einer Szene spielt er wie einst Charlie Chaplin in Der große Diktator mit einer Weltkugelminiatur in der Hand. Ein intelligenter, wenn auch provokanter Vergleich des Regisseurs. Wie in Er ist wieder da Hitler, so sieht man in Vice den abgebrühten Cheney in einem Käfig voller Narren die denkbar schlimmsten Visionen schmieden. Irgendwann ertappt man sich dabei, wie man über seine dreisten Listen schmunzeln muss. Und dabei ist die Rede von einem, der Bush ins Ohr setzt, Saddam Hussein hätte Massenvernichtungswaffen und damit den Irakkrieg einleitet. Einem, der mit der Unitary Executive Theory die Machtbefugnisse des Präsidenten drastisch erweitern wird.
Obwohl Cheney bei Adam McKay kalkuliert und abgebrüht ist, wirkt er oft ebenso unbedarft. Der Zufall macht ihn zum Vorstandsvorsitzenden der technischen Dienstleistungsfirma Halliburton, dann treiben ihn die Umstände doch wieder in die Politik zurück. Egal wo, es zeichnet sich immer das Muster einer unbarmherzigen, moralisch verwerflichen, egoistischen Agenda ab.
Es ist ein diabolisch-lustiges Meisterstück, für eine solche Figur ein Identifikationspotential zu schaffen. Doch was kann es anderes sein als die Familienliebe, die zwielichtige Filmfiguren zu Sympathieträgern werden lässt? Der Pate und Breaking Bad lassen grüßen. Der Vize liebt seine lesbische Tochter und steht zu ihr, will sich nicht gegen die Homo-Ehe aussprechen. Dick Cheney, oft spöttisch in der seriösen Tagespresse als der Darth Vader der US-Regierung bezeichnet, ist ein gewiefter Angler und Fisch zugleich, eben ein Anglerfisch. Doch die Weibchen der Gattung werden bis zu 60 Mal größer als die Männchen und nur sie haben ein lockendes Leuchtorgan. Lynne Cheney, seine Ehefrau wird als selbstbewusst-berechnend von Amy Adams dargestellt und fischt mindestens genauso gut nach Menschen wie ihr Mann. Sie ist eine begnadete Rednerin, doch eine politische Karriere bleibt ihr in der konservativen Zeit verwehrt. Sie wird der Motor für Dicks Ehrgeiz und züchtet in dem versoffenen Stromarbeiter einen kalten Machtmenschen heran. Als Bush Cheney zum Vize-Präsident küren will, sprechen sie bedeutungsschwere Dialogzeilen im Ehebett.
In Vice ist das Leben ein Strategiespiel, das die Figuren bewusst mitspielen, mal eine Runde aussetzen müssen (Richard Cheney, Donald Rumsfeld) oder ganz rausfliegen (Jimmy Carter, Richard Nixon). Diese bunte Welt aus Lügen und Intrigen erinnert an die rauen Filme Scorseses wie Good Fellas und The Wolf of Wall Street, in denen sich ebenfalls raffinierte Opportunisten in einem verkommenen System an die Spitze kämpfen.
Donald Rumsfeld, des Vizes durchtriebener Mitstreiter, ist eine dieser Figuren. Er wird von Steve Carell gespielt und ist wie zu erwarten hochunterhaltsam. Auch das Timing der Szenen stimmt in jeder Hinsicht. Um den Regierungsstil eines US-Präsidenten zu illustrieren, genügt eine kurze Szene. Unter Jimmy Carter: Solarzellen werden aufgebaut. Unter Ronald Reagan: sie werden wieder abgebaut.
Bildmetaphern, Fotos, Impressionen von Krieg und intimen Erinnerungen. Der Regisseur und Drehbuchschreiber von Vice lotet viele filmische Mittel aus und gibt seinem Werk einen originellen, künstlerischen Touch. Genial ist der Kniff, einen unbekannten Erzähler Dick Cheneys Leben schildern zu lassen, wobei die Verbindung zu ihm erst viel später klar wird.
Der Film spielt mit dem Zuschauer und lässt ihn nicht vom Haken. Trotz starker Faktentreue weist das Werk selbst auf fiktive Elemente hin. Die intelligente Machart wird es konservativen Amerikanern und vor allem Trump-Anhängern schwermachen, dem Film den Stempel der Fake News aufzudrücken. Adam McKay integriert Cheneys Herzkrankheit in die Symbolik, scheint dieser doch kein Mitgefühl für andere Menschen zu haben. Einen Anwalt schießt er aus Versehen bei der Wachteljagd über den Haufen, eine Entschuldigung folgt nicht. Das (politische) Handeln des Ex-Vizepräsidenten gibt wenig Anlass zur Heiterkeit, der Film allerdings schon.
Viel schwarzer Humor sorgt für eindrückliche, skurrile Szenen à la The Big Lebowski. Optionen für Cheneys Agenda wie Waterboarding und Guantanamo werden von einem Kellner auf der Speisekarte präsentiert. Ein andermal kommt bei einer Besprechung einer politischen Strategie ein prickelnd-verspieltes Ocean’s-Eleven-Feeling auf.
Der Soundtrack des Films, eine Mischung aus elektronischer und klassischer Musik, leistet dezent seinen Anteil. Mit Vice hat Adam McKay einen dicken Fisch an Land gezogen, der das Zeug zum Klassiker hat. Er serviert ihn dem Zuschauer auf dem Silbertablett, und es bleibt nur eine Frage offen: Wer ist hier der raffiniertere Angler, Dick Cheney, seine Filmfigur oder der Film selbst?
»Revulsion and admiration lie as close together as the red and white stripes on the American flag, and if this is in some respects a real-life monster movie, it’s one that takes a lively and at times surprisingly sympathetic interest in its chosen demon.«
A.O. Scott, New York Times, in der Rezension von »Vice«
Die Filme, die einmal über Donald Trump gedreht werden, können von einem berühmten Satz des NS-Propagandaministers ausgehen: »Meine Herren, in hundert Jahren wird man einen schönen Farbfilm über die schrecklichen Tage zeigen, die wir durchleben. Möchten Sie nicht in diesem Film eine Rolle spielen? Halten Sie jetzt durch, damit die Zuschauer in hundert Jahren nicht johlen und pfeifen, wenn Sie auf der Leinwand erscheinen.« So Dr. Joseph Goebbels am 17. April 1945. Das Interessante an diesem Satz ist, dass hier einer weiß, was kommen wird, so wie er weiß, was ist. Er richtet sein ganzes Handeln nur nach dem Effekt aus, nach dem Schein und der Tauglichkeit für die ästhetische Wirkung. Und tatsächlich: Ästhetisch haben die Nazis den Zweiten Weltkrieg auf ganzer Linie gewonnen. Bis heute bestimmen sie die Ikonographie des Bösen auf der Leinwand.
Wird das den Mächtigen Amerikas auch passieren? Man kann im schlechten Abscheiden von Vice bei der diesjährigen Oscarverleihung ein Indiz für die Tugenden und Nachteile dieses Films sehen: Vice taugt nicht zur wohltemperierten politisch-korrekten Symbolhandlung, wie etwa Green Book. Adam McKays Spielfilm über den republikanischen »Dark Knight« Richard Cheney war der Film der diesjährigen Oscarverleihung, der am schärfsten auf die Unmoral und die Abgründe der US-amerikanischen Politik zielte. Er zeigt nicht harmonisches Zusammenleben und Rassenversöhnung. Er zeigt ein Portrait des weißen politischen Amerika. Eines Amerika, das korrupt ist, kontrolliert von den großen Konzernen, vor allem Waffen- und Energiekonzernen, die die Politiker wie Marionetten beherrschen.
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Regisseur Adam McKay bedient dabei die Mythen der Macht: 9/11 – was für ein Moment! Der Film zeigt, was wir nicht kennen können: Das Krisenzentrum im White-House-Bunker, Unsicherheit, Chaos, ein durchdringender Alarmton, und alle Blicke auf dem Vertreter des Chefs. Dessen rundes, rosa-teigiges Gesicht blickt ausdruckslos nach unten. Nur die Mundwinkel bewegen sich, die Unterkiefer mahlen. Cheney überlegt. Er ist entschlossen und nur wir interpretieren rückblickend ein
»finster« dazu. Er ist ein Ruhepol. Arbeit am Mythos, denn soviel Ruhe und kaltes Blut muss man erstmal haben.
Wäre es Krieg, man wünschte sich, dass man so einen Mann auf seiner Seite hätte. Knapp gibt er seine Befehle – ein Mann, wo er seiner Natur nach hingehört: Im Zentrum der Macht – und hinter ihm steht, ein bisschen zärtlich, ein bisschen beruhigend, ein bisschen kontrollierend, Cheneys Ehefrau Lynn, die ungemein faszinierend, großartig-abgründig von der tollen Amy
Adams gespielt wird.
Denn Amy Adams, nicht Christian Bale, ist der Star dieses Films. Bale verwechselt wie viele seiner Kollegen wieder einmal Schauspielleistung mit äußerer Ähnlichkeitsannäherung ans Objekt; er frisst sich Dutzende von Fettkilos an, lässt sich täglich mehrere Wurstpellen von Make-up und Prothesen über den Kopf stülpen, bis er aussieht wie ein fleischgewordener Volleyball und von Mimik sowieso nichts mehr zu erkennen ist. Adams genügt eine Perücke.
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Es beginnt mit einer Überraschung: Ein junger Mann fährt 1963 in Kansas besoffen Auto, wird von einem Polizisten angehalten, zum zweiten Mal. Und hier taucht Lynn auf. Sie sind schon verheiratet, aber nun faltet sie ihn zusammen, macht ihn klein, nimmt ihn auseinander, zerlegt ihn in seine Einzelteile und baut ihn danach als neuen Menschen wieder auf: Was Frauenmacht auch heißt, als untrennbare Mischung aus Sex und Gewalt, das zeigt dieser Film.
Denn Lynn Cheney ist hart, steif, all-american, ein Klassenprimus mit lauter Einsern und ehrgeizig. Und weil man als Frau in den Sechzigern diesen politischen Ehrgeiz trotz aller Einser nicht erfüllen kann, setzt sie alles auf ihren Mann. Sie macht ihn – und das ist die waghalsige These dieses Films – zu ihrem Avatar.
Zuerst versagt er, dann sorgt sie dafür, dass sich das nicht wiederholt. Es entsteht ein Powerpaar zweier Machtmenschen, die einander entsprechen, und
dessen Geschichte der Film als Farce erzählt, und als moderne Variante von Shakespeares »Macbeth«, allerdings einem ins Komödiantische gedrehten. Der Richard Cheney, den wir kennen, ist Lynns Geschöpf.
So wird er ab den späten Sechzigern eher zufällig Republikaner, wird gerade, weil ihn keine Überzeugung und Ideologie vom Wesentlichen ablenken, zum perfekten zweiten Mann hinter Donald Rumsfeld, der als fröhlicher Zyniker erscheint, dem Berater des neuen Präsidenten Richard Nixon.
Neben Lynn ist »Rummie« (gespielt voller Energie von Steve Carell) der zweite Mann, der Cheney zu dem machte, der er ist: Dick und Don sind ein jahrzehntelanges Paar, wie es Machiavelli und Shakespeare nicht besser hätten erfinden könnten. »What do we believe in?«, fragt der junge Cheney seinen Mentor einmal in einer Schlüsselszene des Films. Worauf der spätere Verteidigungsminister sich vor Lachen kaum halten kann und in seinem Büro verschwindet. Die Pointe der Szene scheint den
Machern entgangen zu sein: Offenbar glaubt Cheney, dass man an etwas glauben sollte.
Cheney ist still und effektiv, er erledigt seine Arbeit, und so geht es aufwärts: Zum eigenen, noch fensterlosen Büro, bis zum Präsidentenberater und White-House-Stabschef unter Gerald Ford. Dann Verteidigungsminister unter George Bush, und dann bei dessen Sohn George W. Vizepräsident. Zwischendurch Jobs bei der Wirtschaft, verlässlicher Lobbyismus für Waffen- und Energiekonzerne.
Einen hochinteressanten Punkt unterspielt der Film allerdings konsequent, wohl, weil dieser ihm als »zu intellektuell« erscheint. Denn immer wieder interessiert sich Cheney für die »Theorie der einheitlichen Macht«, also der Bündelung möglichst vieler Einflussmöglichkeiten in einer Hand. Das zeigt der Film in furiosen Verfremdungseffekten: Mit Rittern, Pharaonenmasken und einer jagenden Raubkatze. Rumsfeld scheint plötzlich ein Gangster-Springmesser in der Faust zu haben.
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Adam McKay ist nicht irgendwer. Als Autor, Regisseur und Produzent arbeitete er jahrelang bei »Saturday Night Live«. McKay konnte sich in der Montage offenkundig nicht entscheiden, ob er eine Komödie drehen wollte oder ein Drama, eine Tragödie oder eine Satire. Tonfall und Atmosphäre seines Films schwanken nun zwischen einer für Michael Moore typischen wutschnaubenden Unfähigkeit, den politischen Gegner ernstzunehmen, politischer Belehrung und gemütlicher, oft alberner Klamotte.
Am besten ist McKay noch da, wo der Regisseur aus seiner Verachtung für die große Mehrheit der Amerikaner kein Hehl macht. Dafür haben ihn die amerikanischen Kritiker, vor allem die politisch-korrekten großbürgerlichen Liberalen gehasst. Denn das Publikum hat immer recht: Wenn es Trump wählt, war das eine demokratische Entscheidung und nicht die Folge von niederen Instinkten und manipulativer Feindpropaganda, die die Wahlen verfälschten. Dass die USA vielleicht einfach in ihrer Mehrheit ein Land von moralisch korrupten selbstgerechten Vollidioten ist, das darf man nicht mal denken.
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Vice ist ein Film über die Dummheit der Amerikaner. Es geht um Cheney, aber noch mehr um die, die ihn möglich machten, die ihm erlaubten, der zu werden, der er wurde. Dick Cheney ist schlimm, ok. Ein herzloses Monster, na und? »Ihr habt mich schließlich gewählt«, wirft Cheney am Ende dem Publikum in direkter Ansprache vor. Zu Recht.
Die Entertainment-ification der Politik, nicht nur der amerikanischen, hat all dem den Boden bereitet.
Indem sein Humor ins Leere läuft, belegt Vice eine grundsätzliche, weit über ihn selbst hinausgehende Schwäche von dieser Art politischer Comedy. Politische Comedy ist gerade so populär wie nie zuvor. Aber sie bringt nichts. Zwar informieren Comedy-Sendungen und Talk-Shows besser, als die Nüchternheits-gläubigen Nachrichten, aber sie depolitisieren die Wählerschaft, indem sie den Eindruck verstärken, Politik sei eigentlich nur eine große
Unterhaltungsshow.
Der Rechtsruck ist global. Die Korruption ist schlimmer als je zuvor. Die Umgestaltung der Demokratien in autoritäre Regimes – durch mehrheitlich per Wahl ermächtigte Regierungen – läuft in konkreter Praxis ganz subtil ab.
Was haben die politischen Comedys daran geändert? Dagegen getan? Nichts. Sie haben den Prozeß befördert.
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Vice versagt dort, wo er den Menschen Cheney zu fassen versucht. Die einzigen Szenen, die einen humanen Cheney zu zeigen versuchen, erscheinen als Alibi-Momente: Die offenkundige Liebe des Mannes zu seiner Familie, die überraschende Toleranz gegenüber seiner lesbischen Tochter Mary, zu deren Gunsten Cheney sogar auf eine Präsidentschaftskandidatur verzichtet.
Was sind seine Ziele? Cheney ist ja kein Idiot. Er hat Motive. Vielleicht nur private. Vielleicht Geld und Macht. Aber hier bleibt er Karikatur, hier bleibt der Film ungemein naiv, denn seine Macher können sich offenkundig nicht vorstellen, dass so ein Mensch auch Überzeugungen hat. Stattdessen wirkt alles irgendwie absurd, und der Film stellt allenfalls eine – angebliche – düstere, makabre Komik eines Systems bloß.
Der Regisseur will Cheney nicht humanisieren, aber er kommt kaum darum herum. Damit wir das nicht so merken, dehumanisiert er Amerika.
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Es gibt Menschen, die sind auf Anhieb sympathischer als Richard Cheney. McKay zeigt Cheney als grauen Bürokraten, als Chamäleon der Macht, zugleich als dämonischen Puppenspieler hinter den Kulissen. Ein schmeichelhaftes Portrait, denn insgesamt ist dies zwar ein verstörendes Denkmal, aber eben ein Denkmal.
Wir erleben einen Menschen, der den Irakkrieg inszeniert hat, Todesurteile unterzeichnet, die Folter legitimiert, Agenten enttarnt, um missliebige Angehörige zu bestrafen, Milliarden-Deals mit der Ölindustrie eingefädelt, dafür Hunderttausende getötet hat – Desinformationen, Falschmeldungen und Aushöhlung der Demokratie nicht mitgerechnet. Vielleicht ist Comedy doch die falsche Form für so etwas?
Diese Vergötzung ist in der Konsequenz eine Verniedlichung. Man könnte nach diesem Film fragen: Ist Richard Cheney nicht schlimmer als Trump? Und nach der Antwort »Ja« dann folgern: Trump ist gar nicht so schlimm.
Oder ist dieser Film am Ende nicht fast ein Produkt liberaler Nostalgie für jene Zeiten, als rechte Politiker vielleicht sehr rechts waren, aber doch rational handelten, als sie einen gewissen Geschmack hatten, nicht vulgär waren und ein paar Werte, an die sie immerhin glaubten.
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Man weiß nicht, was man von diesem Film halten soll. Er ist gut und er ist schlecht. Aber auch das mag seinem Gegenstand geschuldet sein: »I’m like bed bugs. You have to burn the mattress to get rid of me.« (Donald Rumsfeld in Vice)