Vienna Calling

Deutschland/Österreich 2023 · 85 min. · FSK: ab 12
Regie: Philipp Jedicke
Drehbuch:
Kamera: Max Berner
Schnitt: Max Berner, Carina Mergens
Die besseren Originale oder einfach nur die besseren Hochstapler?
(Foto: mindjazz pictures)

Supermacht Österreich

Vienna Calling ist ein berauschender Trip durch die Musikszene Wiens abseits des Mainstreams.

Der höchste Berg Öster­reichs (Groß­glockner 3.798 Meter) ist 836 Meter höher als der höchste Berg Deutsch­lands (Zugspitze 2.962 Meter). Die Küche Öster­reichs hat mehr Anhänger als die Küche Deutsch­lands. In der Süddeut­schen Zeitung vom 26. April 2023 erklärt Teresa Präauer, was die beste Sprache der Welt ist. Weder Fran­zö­sisch, Spanisch, Italie­nisch, Russisch noch Deutsch, sondern Öster­rei­chisch.
Der Gast­bei­trag der öster­rei­chi­schen Schrift­stel­lerin ist gleich­zeitig klug, augen­zwin­kernd, selbst­be­weih­räu­chernd, selbst­kri­tisch, humorvoll, elegant, hinter­hältig, charmant und mit so einer Viel­schich­tig­keit selbst ein Beispiel für die Über­le­gen­heit der öster­rei­chi­schen Literatur.

Doch Deutsch­lands kleines Nach­bar­land ist nicht nur geolo­gisch, kuli­na­risch und lite­ra­risch eine Super­macht. Auch Wiens aktuelle Musik­szene abseits des Main­streams lohnt sich, neugierig gehört und manchmal gefeiert zu werden. Genau das macht Philipp Jedicke in seinem Doku­men­tar­film Vienna Calling.

Nino Mandl, der als »Nino aus Wien« auftritt, ist ein Singer / Song­writer, der natürlich im Dialekt schreibt und singt.
Die Geschwister Esra und Enes Özmen bilden das Rapperduo EsRap.
Kerosin95 alias Kem Kolle­ritsch ist eine nicht­binäre Person, die mit Rap, Gesang und Schlag­zeug­spiel bekannt wurde.
Voodoo Jürgens alias David Öllerer macht britisch ange­hauchten Gara­gen­rock.
Doch zu welchem Genre gehört Nikolaus Vuckovic, der sich die Kunst­figur »Gutlau­ninger« ausge­dacht hat? Auf den ersten Blick erinnert er an den früh verstor­benen, bisher unüber­trof­fenen Star des Austro-Pop, Falco. Doch im Laufe seines Porträts wirkt es eher so, als sei Nikolaus Vuckovic ein weiteres origi­nelles Kuriosum der an origi­nellen Kurio­si­täten überaus reichen Wiener Musik­szene.

Kann es sein, dass Öster­reichs Haupt­stadt mehr Originale hervor­bringt als andere viel größere Metro­polen Europas? Und wenn ja warum? Liegt es an dem kultu­rellen Erbe der Öster­rei­chisch-Unga­ri­schen Monarchie, obwohl sie schon vor über hundert Jahren unter­ge­gangen ist? Oder an den aktuellen kultu­rellen Einflüssen Osteu­ropas? Oder sind die Wiener eher begabte Hoch­stapler, also Meister darin, ihr Publikum zu blenden, obwohl sie nicht viel mehr auf dem Kasten haben, als zum Beispiel Musi­ke­rinnen und Musiker in Berlin?

Solche und ähnliche Fragen klingen an, ohne endgültig beant­wortet zu werden. Das ist auch gut so. Denn zu den wert­vollen Beson­der­heiten der Öster­rei­cher gehört, dass sie viel mehr zwischen den Zeilen sagen, also andeuten, mitschwingen oder durch­scheinen lassen können, als die Pifke, wie die Deutschen mal mitleidig mal herab­las­send genannt werden.

In diesem Sinne hat Philipp Jedicke nicht nur eine Handvoll Musi­ke­rinnen und Musiker liebevoll porträ­tiert. Seine Doku ist auch eine Moment­auf­nahme Wiens und seiner Lebensart. Mit stim­mungs­vollen Bildern und natürlich mit Musik, die Lust auf mehr macht.