Verteidiger des Glaubens

Deutschland 2019 · 95 min. · FSK: ab 0
Regie: Christoph Röhl
Drehbuch:
Kamera: Juan Sarmiento, Julia Weingarten
Schnitt: Martin Reimers
Die abgewandte Seite des Papstes

Beharrer und deutscher Papst

»Eine Welt­zu­wen­dung der Kirche, die ihre Abwendung vom Kreuz darstellen würde, könnte nicht zu einer Erneue­rung der Kirche, sondern nur zu ihrem Ende führen.« – Wir kennen diese Stimme. Aber Mitte der sechziger Jahre war sie noch ganz jung. Sie gehört Joseph Ratzinger, damals ein hoch­be­gabter, aufstre­bender Theologe, der an der Univer­sität Regens­burg lehrte. Ratzinger wurde später Kardinal, dann als solcher einer der wich­tigsten Berater von Papst Johannes Paul II., dann nach dessen Tod 2005 unter dem Namen Benedikt XVI. der erste deutsche Papst seit fast 500 Jahren, seit Hadrian VI. zu Martin Luthers Zeiten.
Und schon in diesem histo­ri­schen Zitat, 40 Jahre vor seiner Wahl, sind die wesent­li­chen Gedanken, die Leben und Werk Ratz­in­gers prägen, ausfor­mu­liert: Eine Kirche, die sich zu sehr der Welt zuwendet, ist keine Kirche

Der doku­men­ta­ri­sche Essay Vertei­diger des Glaubens von Christoph Röhl ist großartig. Er bietet ein Portrait von Ratz­in­gers Leben und Werk, das fair und ausge­wogen ist, stel­len­weise empa­thisch, und trotzdem in seiner Position ganz eindeutig. Rohl lässt viele Stimmen zu Wort kommen: Freunde Ratz­in­gers und enge Mitar­beiter, Kollegen, aber auch Gegner.
Im Wesent­li­chen geht es es um Ratz­in­gers Verständnis von Aufgabe und Funktion der Kirche.

Aber Röhl erzählt weit­ge­hend chro­no­lo­gisch und erklärt Ratz­in­gers Wirken aus dessen Herkunft: »Ein liebe­volles Eltern­haus. Eine Lebens­ord­nung, die von morgens bis abends an geprägt ist durch die Liturgie, durch die Gebete der Kirche, durch die Glocken, die mich jeden Sonn­tag­morgen zum Gottes­dienst locken. Mess­diener sein dürfen am Altar. In die Bilder­welt einzu­tau­chen, die herrliche Musik, die wunder­baren Gesänge – das ganze Leben ist durch­tränkt von einer großen Freude daran, dazu­gehören zu dürfen und in dieser Kultur mitleben zu dürfen.« So der Jesuit Klaus Mertes im Film. Mertes war 2000-2011 Rektor des Berliner Canisius-Kollegs.

Röhl malt aber keines­wegs eine Idylle. Er schildert die katho­li­sche Kirche als Gebäude aus Furcht, Schuld und Kontrolle, in dem anti­de­mo­kra­ti­sches Denken, Ideen von »jüdischer Welt­ver­schwö­rung« und »isla­mi­scher Bedrohung des Abend­landes« fast Konsens sind.
Vor allem übt er harte Kritik an der reak­ti­onären Seite des Katho­li­zismus, für die Ratzinger steht. Seit der Aufklä­rung hatte sich die katho­li­sche Kirche der modernen Welt verwehrt. Demo­kratie, Grund­rechte wie Religions- und Gewis­sen­frei­heit wurden abgelehnt.

Erzählt mit der Stimme von Ulrich Tukur beginnt Ratz­in­gers Karriere im Film mit dem Zweiten Vati­ka­ni­schem Konzil von 1962. Unter Johannes Paul II. war Ratzinger dann später 23 Jahre lang Präfekt der päpst­li­chen Glau­bens­kon­gre­ga­tion. Ratzinger trimmte den Vatikan auf einen ultra­kon­ser­va­tiven Kurs.
Dadurch ist dann ein System der Kontrolle, auch der Angst und der Vorsicht entstanden; keiner hatte nicht mehr den Mut, sich kritisch zu äußern, weil man wusste, dass die Augen und Ohren des Vatikans überall waren. Es war dieses Gesamt­system eines »wohl­kon­trol­lierten Apparates«, in dem man alles im Griff hat, das Ratzinger mit aufgebaut hat. Ratzinger stand auch für ein tota­li­täres Verständnis von Kirche.

Unter Johannes Paul II. nahm der Einfluss von Apoka­lyp­ti­kern und Sektie­rern zu, von neuge­grün­deten, uiltra­rechten Orden wie »Opus Dei«, »Das Werk«, »Legionäre Christi«. Diese neuen Gemein­schaften boten absolute Papst­treue, absolute Verfechten der Linie und der Inten­tionen der Päpste. Welchem Feld­herren sind loyale Bundes­ge­nossen nicht will­kommen?

Dann wurde Ratzinger selbst Papst. Weil er die Kirche selbst vertei­digen wollte, versuchte er die Macht der neuen Gruppen einzu­dämmen. Doch die Probleme, mit denen er schon als Kardinal gekämpft hatte, blieben weiter ungelöst. Der Miss­brauchs­skandal blamierte das System Ratzinger endgültig. 2010 erreichte der Miss­brauchs­skandal Ratz­in­gers baye­ri­sche Heimat.

In Röhls span­nendem Film erscheint Joseph Ratzinger vor allem als Opfer seiner eigenen Verblen­dung. Als ein bemer­kens­wert wirk­lich­keits­fremder Mensch und schlechter Menschen­kenner. Ein über­durch­schnitt­li­cher Doku­men­tar­film, in dem man auch viel über die Kirche erfährt.