USA/F 2018 · 111 min. · FSK: ab 6 Regie: Julian Schnabel Drehbuch: Jean-Claude Carrière, Julian Schnabel, Louise Kugelberg Kamera: Benoît Delhomme Darsteller: Willem Dafoe, Rupert Friend, Oscar Isaac, Mads Mikkelsen, Mathieu Amalric u.a. |
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In Feld und Farben baden |
»Everyone thinks they know everything about him. But this movie isn’t about him. It’s about being him.« (Julian Schnabel)
Bereits in Schnabels Debutfilm Basquiat (1996) über den amerikanischen Künstler Jean-Michelle Basquiat spricht das Voice-over (Basquiat alias Jeffrey Wright oder Julian Schnabel in persona?) in der allerersten Anfangssequenz über van Gogh: »Everyone wants to get on the van Gogh boat. The idea of the unrecognised genius slaving away is a deliciously foolish one.« Gedanken über van Gogh als ein verkanntes Genie (genauso wie Basquiat am Anfang des Films) und als einen Vorreiter der Moderne haben offensichtlich den amerikanischen Maler und Filmemacher Julian Schnabel nie losgelassen, so dass er 22 Jahre später einen Film über ihn dreht. Julian Schnabel erstellt aber kein Biopic (davon gibt es bereits eine Menge!), sondern kreiert ein impressionistisch-expressionistisches Werk voller Licht, Farbe und tiefer, oft widersprüchlicher Gefühle des Künstlers, ähnlich einem komplizierten Gemälde in bewegten Bildern. Es ist ein durch und durch malerischer Film von einem Maler über einen Maler.
Der Film, der vergangenes Jahr auf den Filmfestspielen Venedig seine Premiere feierte (»artechock« berichtete), umschließt den Zeitraum seiner reifen Periode in Arles bis zu seinem Tod. Der 66-jährige Willem Dafoe in der Rolle des 37-jährigen van Gogh wirkt absolut authentisch. Zeitlos. Wie die wahre Kunst. Wie der wahre Künstler, bei dem das Alter, die Zeit außer Kraft gesetzt ist. Willem Dafoe, der mit seinem Gesichtsausdruck glückselig und zur gleichen Zeit furchteinflößend spielt, bringt viele unterschiedliche Facetten des Malers überzeugend zum Ausdruck. Für seine Rolle wurde er in Venedig als bester Schauspieler ausgezeichnet.
Van Gogh wird im Film oftmals als ein nach der Sonne und dem Licht haschender, unruhiger, unermüdlich tätiger Maler dargestellt. Seine Malbewegungen sind kraftvoll und schnell, als ob ihm die Zeit davonlaufen würde, als ob ihm die ganze Schönheit der Natur jederzeit entrinnen könnte; er verbessert nichts, seine Farbsetzung auf die Leinwand wirkt spontan, fast intuitiv. Die Landschaften von Arles durchstreifend, ist er immer mit seiner Staffelei, Farben sowie Pinseln unterwegs. Der Zuschauer fühlt sich buchstäblich in seinen Außer-Atem-Zustand versetzt, der durch die unruhigen, wackelnden Kamerabewegungen, die seinen schnellen, eilenden Gang auf der Suche nach für ihn ansprechenden Landschaften mitverfolgen, insbesondere verstärkt wird. Diese Aufnahmen sind mit einer unbeschreiblichen Magie der schönsten Farben der Natur erfüllt, die vom Auge des Betrachters durch die Schnelligkeit der Kamera nur flüchtig wahrgenommen werden kann. Aber eben diese Flüchtigkeit, die die impressionistische Stimmung erzeugt, lässt die Filmbilder so pittoresk wirken. Sein Blick während des Gehens und mit ihm auch das Auge der Kamera, geführt von Benoît Delhomme, suchen nach etwas Essentiellem: nach der Schönheit der Natur, nach Gott. Und dann plötzlich bleibt van Gogh auf einer Wiese stehen, setzt sich hin und blickt nachdenklich Richtung untergehender Sonne. Auf einmal rennt er los, bleibt wieder stehen und legt sich ins Gras, während er eine Handvoll Erde nimmt und sie über sein Gesicht schüttelt. Dann richtet er sich wieder auf und lacht. Endlich sieht er glücklich aus, überwältigt von der Göttlichkeit der Landschaft. Diese magische Szene wird von einer melancholisch klingenden, instrumentalen Musik (von Tatiana Lisovskaya) begleitet.
Die Virtuosität der Kamera fällt auf. Sie umkreist den Maler und macht dichte Close-ups von seinem Gesicht, seinen schmutzigen Händen, seinen abgetragenen Schuhen, seinen Malbewegungen und den dick aufgetragenen Farben auf der Leinwand. Sie folgt dem Blick des Malers: nach oben, nach unten. Mal ist sie vorne, mal hinten. Ihre Bewegungen erinnern teils an die kreisenden Linien in van Goghs Gemälden, teils geben sie das schwankende Gemüt des Malers wieder.
Abgesehen von der genialen Kameraführung ist die malerische Gestaltung eine weitere Besonderheit dieses Films. Die Intensität der Farben auf der Filmleinwand stimmt mit der Intensität der Farben in den Gemälden von van Gogh überein. Der Zuschauer nimmt die Welt mit seinen Augen wahr. Und diese Welt besteht aus Himmelblau, sattem frühlingshaftem Grün und vor allem aus Gelb, einem intensiven, sonnigen Goldgelb, das der Betrachter in seinen Sonnenblumen-Gemälden findet. Die Farbe Gelb dominiert sowohl in der filmischen Farbgestaltung als auch thematisch: Van Goghs Gemälde, das gelbe Haus, das er in Arles mietet, die Wände des Zimmers, in welchem er wohnt, die Wand im Zimmer des Arztes, mit dem van Gogh redet. Es sind unterschiedliche Gelbnuancen innerer Zustände, während seine Landschaftsbilder von einem fröhlichen Goldgelb durchdrungen sind, wirkt die gelbe Wand beim Arzt durch ihren grünlichen Stich eher deprimierend. Schnabels Film ist nicht nur ein Film über die Kunst, sondern auch über das komplizierte innere Leben des Künstlers und darüber, wie es ist, van Gogh zu sein: über seine Ängste und Einsamkeit, seine Krankheit und Leiden, viel zu früh mit seiner Kunst auf die Welt zu kommen. Sogar sein bester Freund Paul Gauguin kritisiert seine Malweise und versteht seine künstlerischen Ansichten nicht, was zu einem Streit zwischen den Beiden und anschließend zu einer tiefen Krise van Goghs führt, die durch das eigenhändige Abschneiden seines Ohres in die Geschichte eingegangen ist. Dieser Vorfall hat ihn zwar als Verrückten abgestempelt, hat ihm aber auch Aura verliehen: das Geheimnisvolle, das er selbst in den Werken Shakespeares bewundert, umhüllt ihn genauso. Die vielschichtige Darstellung van Goghs reicht bis in seine Transzendenz hinein. Er selbst zieht Parallelen zu Jesus, der zu seinen Lebenszeiten keine Anerkennung bekam und der getötet wurde (wie auch van Gogh selbst). Zudem wird er wie Jesus mit Steinen beworfen. Er wirkt tatsächlich wie vom Jenseits: ein Fremder, der von keinem verstanden wird, ein Verstoßener, der aber an seine von Gott geschenkte Gabe fest glaubt, ein Glückseliger, während er malt, ein Wahnsinniger, der überzeugt ist, dass Kunst zumindest einen Bruchteil der Wahnsinnigkeit braucht, ein Verzweifelter mit dem Drang zur Selbstzerstörung, ein Genie, das an der Schwelle zur Ewigkeit die Welt verließ und sie nie zu seinen Lebzeiten erfuhr.
Vincent van Gogh, den großartige Künstler und Revolutionär der modernen Malerei, kennen viele Menschen vor allem deshalb, weil er sich einst ein Ohr abschnitt, und weil er schöne Sonnenblumen malte.
Dieser Vincent van Gogh ist heute das Symbol des »genialen Menschen« in der Moderne, des »enigmatischen Künstlers« schlechthin, des Künstlers, der »weiter sieht« und tiefer fühlt als normale Sterbliche.
Fürs Kino ist van Gogh perfekt: Leuchtende Farben, strahlende Landschaften, eine Hauptfigur zwischen Genie und Wahnsinn, ekstatischen Gesten und tiefer Sehnsucht – und das alles in der sonnendurchfluteten Provence von Südfrankreich, neben der Toskana der Sehnsuchtsort der gebildeten Bürger der Gegenwart.
Nun kommt nach diversen Filmen, am berühmtesten die von Vincente Minnelli (Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft) und Robert Altman (Vincent und Theo), wieder einmal ein Van-Gogh-Film ins Kino. Und wieder einmal ein Künstlerportrait von Julien Schnabel, der einst mit Basquiat berühmt wurde.
An der Schwelle zur Ewigkeit heißt Schnabels neuer Film – drunter geht’s wohl nicht. Und in der Rolle des Genies ist Willem Dafoe zu sehen – »Wer sonst?« könnte man fragen. Schließlich hat der Mann schon Jesus Christus gespielt, was bleibt da noch?
Wer könnte besser solche Sätze aus Schnabels Drehbuch sprechen, wie: »Vielleicht hat Gott mich zu einem Maler für jene Menschen gemacht, die noch nicht geboren sind. Jetzt denke ich nur noch über meine Beziehung zur Ewigkeit nach.«
Und Dafoe hat schließlich die blauesten Augen der Filmszene, so leuchtend blau wie der Himmel über van Goghs Sonnenblumen. Sein Regisseur hält es offenbar für einen Ausdruck besonders tiefsinniger Kunst, wenn der van Gogh seines Films dann irgendwann nackt auf der Wiese tanzt und dabei die Arme nach oben gerichtet hat und wedelt, als erlebe er gerade sein persönliches Pfingstwunder. Dazu wird dann Musiksoße in jede Filmecke geschmiert.
Dafoe ist nicht der einzige outrierende Darsteller in dieser Kitsch- und Klischeeorgie, die das Allerschlimmste im Gegenwartskino zusammenbringt: Ein schicker amerikanischer Künstler wie Julian Schnabel und eine Handvoll Schauspieler, die unter nichts weniger leiden, als unter mangelndem Selbstbewusstsein, und es schon an und für sich toll finden, bei diesem Superkünstler einen kleinen Gastauftritt zu haben: Oscar Isaac als Paul Gauguin, Emmanuelle Seigner, Mads Mikkelsen
ausgerechnet als Priester, Rupert Friend als Bruder Theo.
Wenn Schnabel Gauguin und van Gogh zusammen treffen lässt, dann ist es genau so, wie sich das schlichteste Künstlerklischee die große Kunst vorstellt:»Wir rufen eine Revolution aus, hörst du? Wir müssen eine neue Sichtweise entwickeln, eine Malerei, die frei ist von Zwängen.«
Ist doch klar, oder?
Wäre nur dieses Kino auch ein bisschen frei von Zwängen. Frei davon, sich ans Publikum heranzuschmeißen. Wäre es nur ein klein bisschen so modern wie van Goghs Kunst.
Ist es aber nicht und darum hakt Schnabel danach dann die weitere bekannten Stationen dieser Künstlervita ab: Der Protest der braven Bürger von Arles, und die Aufenthalte in der Klapsmühle. Die Geschichte mit dem Ohr darf auch nicht fehlen. Das einzige was wirklich fehlt, ist ein Gedanke. Stattdessen sehen wir die billigsten denkbaren Kunstklischees: »Manche denken, ich wäre verrückt. ... Aber ein Korn Verrücktheit ist das Beste an der Kunst.«
Wer so etwas glaubt, für den ist
Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit der richtige Film.