Vamos a la playa

Deutschland 2022 · 94 min. · FSK: ab 16
Regie: Bettina Blümner
Drehbuch: ,
Kamera: Janis Mazuch
Darsteller: Leonard Scheicher, Victoria Schulz, Maya Unger, Jakub Gierszal, Eugenio Torroella Ramos u.a.
Kein Film, der immer weiß, was gut und richtig ist...
(Foto: jip film & verleih)

Unter dem Strand, da ist...

Bettina Blümners tragikomischer Roadmovie Vamos a la playa

»Vamos a La Playa« – das Lied von Righeira ist ein Welthit. Was der trans­por­tiert, das sind gute Laune, Sonne, Strand, Musik und Urlaubs­fee­ling. Aber wer hat je auf den Text geachtet? Sollte man tun. Denn darin heißt es: »Die Bombe explo­dierte/ Die Strah­lungen toasten uns/ Und färben uns blau/ radio­ak­tiver Wind/ Zerzaust das Haar/ Endlich ist das Meer sauber/ Kein stin­kender Fisch mehr/ aber fluo­res­zie­rendes Wasser.«
Es geht um eine Atombombe und dieser Welthit ist eigent­lich ein sehr unbe­kannter Protest­song.

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So ähnlich verhält es sich auch mit diesem Film: Abgründe, Ambi­va­lenz, Tiefe und poli­ti­sche Bedeutung verste­cken sich unter der sonnigen Ober­fläche eines leichten Urlaubs­films um jugend­liche Prot­ago­nisten.
Einst gab es den Spruch der 68er-Jugend­be­we­gung: »Unter dem Pflaster liegt der Strand.« Aber hat man je gefragt, was eigent­lich unter dem Pflaster liegt?

Die Geschichte handelt von drei deutschen Freunden auf Kuba. Auf der Suche nach Spaß, Selbst­be­stim­mung, Liebe und Lust müssen sie sich der unbe­quemen Frage stellen, wie sie mit den eigenen Ansprüchen umgehen, den viel­be­schwo­renen »Privi­le­gien«.
Junge Leute, die alles richtig und besser machen wollen als ihre Eltern und dann doch in ähnliche Rollen­muster verfallen wie ihre Groß­el­tern – das erleben wir heute nahezu täglich in den Nach­richten, und darum geht es auch in Vamos a la playa, dem neuen Film von Bettina Blümner.
Blümner hat auch das Drehbuch geschrieben, zusammen mit ihrem Co-Autor Daniel Nocke. Nocke, der Stam­m­autor von Stefan Krohmer, hat bereits mit diesem vor über 20 Jahren mit Sie haben Knut einen sarkas­ti­schen Blick auf Lebens­welten der Mitt­zwan­ziger und die Kluft zwischen Anspruch und Wirk­lich­keit geworfen, auf Mora­lismus, den täglichen Selbst­be­trug und den Auto­ri­ta­rismus der Gutmen­schen, der selbst­er­klärten Rich­tig­ma­cher und Besser­wisser. Damals ging es ums grün-alter­na­tive Milieu, hier nun geht es um die »Genera­tion Z«. Die Klamotten sehen besser aus, die Körper auch, aber der Rest ist gleich geblieben – eine triste Einsicht.

Vamos a la playa erzählt eine Geschichte über Deutsch­land, aber ähnlich wie viele von Blümners Kollegen im letzten Vier­tel­jahr­hun­dert zeigt auch sie die deutsche Gesell­schaft mit beson­derer Klarheit, indem sie von Personen erzählt, die das eigene Land verlassen und sich in die Ferien begeben. Sie haben Knut war auch ein Feri­en­film, Manila war es, Der Felsen, Alle Anderen, jetzt Roter Himmel, um nur mal einige wichtige Beispiele zu nennen.

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In diesem Fall sind die Haupt­fi­guren drei deutsche Mitt­zwan­ziger, die üppig mit dem Geld eines Vaters ausge­stattet nach Kuba fahren, um den Bruder der einen Figur zu suchen. Dieser Wanja hat sich abgesetzt und beschlossen, mit seinem Erbe eine kuba­ni­sche Familie zu unter­stützen, ohne zu bemerken, dass auch er dadurch zu einem gedan­ken­losen Gutmen­schen wird. Und seine Schwester Katharina verspottet zwar westliche Sextou­risten, sucht aber selbst die käufliche Liebe, und merkt den Wider­spruch nicht mal.

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Blümner erzählt vor allem von den west­li­chen Projek­tionen auf Kuba: Ein tropi­sches Paradies, in dessen realen Lebens­ver­hält­nissen vom west­li­chen Selbst­ver­wirk­li­chungs­in­di­vi­dua­lismus und dem Wunsch nach Ausleben des eigenen Hedo­nismus, der Werte­kombi aus Wohl­fühlen und Acht­sam­keit, nicht viel übrig bleibt. Katharina will sich kuba­ni­sche Männer kaufen. Der Kontroll­freak Benjamin träumt dagegen von der wahren Liebe. Judith ist skeptisch und will überhaupt keine Beziehung. Das ist die Voraus­set­zung, alles wird sich aber im Laufe der äußeren und inneren Reise ändern.

Dies ist auch eine Coming-of-Age-Geschichte mit einem sehr guten Ensemble: Victoria Schult, Maya Unger und Leonard Scheicher spielen die Haupt­rollen.

Blümner kennt das, wovon sie erzählt, aus eigenem Erleben. Während ihrer Ausbil­dung an der Film­aka­demie Baden-Würt­tem­berg studierte sie im Rahmen eines Austausch­pro­gramms einige Zeit an der renom­mierten kuba­ni­schen Film­hoch­schule. Sie war damals so alt wie ihre Figuren, deren ebenso groß­spu­rigen wie fragilen Selbst­bil­dern der Film auf den Zahn fühlt.

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Besonders loben muss man die Leich­tig­keit, mit der Blümner erzählt. Sie erzählt von Sextou­rismus und kultu­reller Aneignung, der Reise in ein fremdes Land, in dem Menschen zwangs­läufig ausge­beutet werden, selbst wenn Touristen noch so achtsam sich benehmen – aber sie nimmt diese Themen nicht ernster als nötig. Dies ist kein Film, der immer weiß, was gut und richtig ist, in dem Figuren sich entweder vorbild­lich benehmen, oder von der Dreh­buch­hand­lung bestraft werden. Es geht ihr auch nicht um die »Ambi­va­lenzen der Tauschö­ko­nomie«, die eine Kriti­kerin genervt einfor­derte, anstatt zuzugeben, dass ihr einfach die ganze Richtung nicht passt, in der Sextou­rismus neutral beschrieben und nicht mit mora­li­schen Etiketten behängt wird.

Die Regis­seurin lehnt jenes pädago­gi­sche Kino erkennbar ab, das in Deutsch­land so gern einge­for­dert wird, in dem die Menschen sich im Laufe des Films zu besseren Menschen wandeln müssen, und das Publikum irgend­etwas zu lernen und »mitzu­nehmen« hat. Viel­leicht lernt es gerade dadurch eine ganze Menge.

Unter dem Strand liegt der Untergang...