USA/D/H/GB 2003 · 121 min. · FSK: ab 18 Regie: Len Wiseman Drehbuch: Danny McBride, Kevin Grevioux, Len Wiseman Kamera: Tony Pierce-Roberts Darsteller: Kate Beckinsale, Scott Speedman, Michael Sheen, Shane Brolly, Bill Nighy u.a. |
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Frau Beckinsale |
Auf der Nachtseite der Welt hausen Vampire und Werwölfe. Seit Jahrtausenden führen sie einen Vernichtungskrieg gegeneinander. Da dieser bei aller Brutalität doch gewissen Regelcodes unterliegt, blieben die Menschen bislang unberührt. Doch eines Tages beginnen die Werwölfe einen Menschen zu jagen. Hier setzt Underworld ein.
In der ersten Szene sieht man eine junge schöne Frau über den Dächern einer nächtlich erleuchteten Stadt. Es regnet, und ihre Stirn ist düster umwölkt von Untergangsgedanken. Sie wirkt so kühl und einsam, wie verletzlich. Ein Bild von ikonischer Wucht, ebenbürtig den flächigen, grob umrandeten Zeichen eines Comic-Strip. Mit diesem morbiden Signal hat einen der Film schon gewonnen.
Das Regiedebüt des Productiondesigners Len Wiseman ist eine hybride Verschmelzung verschiedener Genres – durch die Verbindung der im Horrorfilm zumeist fein säuberlich getrennten Vampir- mit der Werwolfthematik, durch das Fehlen einer exakten Verortung in Raum und Zeit kann man das Ganze wohl am Ehesten als Fantasyfilm beschreiben. Mit gut 20 Millionen Dollar Produktionskosten handelt es sich – für US-Mäßstäbe – fast um ein Low-Budget-Werk, doch sieht man dies dem Film nie an; mit Kate Beckinsale übernahm zudem ein Hollywood-Star die Hauptrolle, und mit dieser Kombination wurde Underworld zum Überraschungserfolg des vergangenen Kinoherbstes – zumindest ein Sequel ist bereits in Vorbereitung.
In einer Zeit, in der das Fantasy-Genre sich wie noch nie zuvor dem Mainstream öffnet, setzt dieser Film andere, durchaus originelle Akzente, und womöglich erfährt man hier mehr davon, wo die Zukunft der Kinophantasie liegt, als aus der gesamten Herr der Ringe-Trilogie. Denn unterschiedlicher könnte die Ästhetik zweier Filme nicht sein. Im Gegensatz zum monumentalen, aber doch letztlich arg hamonieseligen, auf die Integration aller denkbaren Zuschauerschichten abzielenden Design des Peter-Jackson-Epos bedient sich Wiseman aus dem Arsenal urbaner Subkulturen, der Videokunst und des Pop. Als filmische Vorbilder dienten offenkundig die beiden Blade-Filme und der erste Matrix-Teil, die freilich selbst wiederum aus den gleichen visuellen Quellen schöpften, wie Wiseman: Comic-Stips, der Film The Crow, die populären Erzählungen der Vampire Chronicles der Anne Rice, die Dark Wave und Gothic-Szenen – selten ist ein Film derart mit Gothic-Elementen durchgestylt gewesen. Kaum weniger wichtig ist sind die beiden Batman-Filme Tim Burtons: Der Ort, an dem Underworld spielt, mit seinen regenassen Strassen, der klassischen Hochhaus-Architektur und ihrem mysteriösen Licht-und-Schattenspiel, seiner Noir-Atmosphäre, heißt eigentlich Gotham-City.
Dunkle Pracht beherrscht die Bilder. Styling und Look sind nahezu alles in diesem wunderbar photographierten Film. Es geht um Kostüme, Kulissen, technische Effekte, um die metallische Wirkung der monochromen Bilder, die schwerelos-dynamischen Bewegungen der Personen, um Blicke, Stimmen, Geräusche, Musik... Die Vampire, denen eindeutig die meiste Aufmerksamkeit gilt, fahren Porsche, tragen modische Lederkleidung und hausen in Schlössern mit antikem Mobiliar. Überhaupt erinnern sie im Unterschied zu den proletarischen Werwölfen an eine degenerierte Aristokratenfamilie – Wiseman knüpft an an die Ursprünge der modernen Vampirstoffe in der Decadence-Kultur des Fin de Siècle.
Demgegenüber hat die eigentliche Handlung zurückzutreten. Diese kreist um Selene, eine junge Vampirin. In der ersten Filmszene steht sie für einige lange Sekunden auf dem Dach eines Hochhauses, blickt in Wind und Regen auf eine nächtlich belebte Straße und liefert als Erzählerin aus dem Off die ersten Handlungshintergründe – wie auch im späteren Verlauf des Films gelegentlich. Dann springt sie gemeinsam mit einem Begleiter hinab in die Straßenschlucht und beginnt eine tödliche Jagd die sie noch tiefer, in die Unterwelt der U-Bahn- und Kanalisationsschächte, führt. Seline hat ihr Leben dem Kampf gegen Werwölfe gewidmet, seit diese vor Jahrhunderten ihre Familie töteten. Eines Tages kommt sie einer geheimen Absprache zwischen einem führenden Vampir und dem Werwolf-Führer auf die Spur. Mithilfe eines gefangenen Menschen mit besonders günstigen genetischen Voraussetzungen wollen die Werwölfe eine neue Rasse, eine Art »Über-Werwolf« züchten – eine tödliche Gefahr für die Vampire.
Mit diesem Plot und seinem exzeptionellen Look bewegt sich Underworld weit weg von den jüngsten Verortungen des Vampirismus im modernen Alltag, wie sie die Buffy-TV-Serie ebenso vornimmt, wie Claire Denis in ihrem exzellenten Trouble Every Day, der in Deutschland leider nur auf ARTE zu sehen war. Auch sonst macht Wiseman uns die Vampire wieder fremd und weicht einigen wohlbekannten akademischen Vampirismus-Klischees aus: Weder um Sex geht es, noch ums sich verzehren, noch nicht mal um AIDS. Dafür führt der Film zurück zu den klassischen und ernstzunehmenden – in manchen Aspekten ihrer Rezeption angreifbaren – Kernthemen des Vampir-Genres, das bis heute deutlich von den Rasse- und Blut-Diskursen der vorigen Jahrhundertwende geprägt ist, die nicht nur über dieses Genre ein elementarer Bestandteil unserer populären Kultur sind. Auch in neuen Debatten um Bioethik und Gentechnologie tauchen sie auf.
Nicht das Underworld dies auch nur annährend adäquat behandeln würde. Aber der Film reißt immerhin solche Problematiken an, und stellt Fragen, die auch in Mainstream-Filmen gestellt werden können, die man aber etwa im unterkomplexen Herr der Ringe schmerzlich vermisst hat. Damit bringt dieser Post-Tolkien-Blockbuster in Erinnerung, was Fantasy jenseits des Mainstream vor allem immer gewesen ist und sein wird: Dramen über die Nachtseite der Welt; Subkultur, Underground, Trash und Grenzüberschreitung, die spielerische Inszenierung von verborgenem Begehren, Identitätskonflikten. In erster Linie aber ist dieser Film – nicht nur für Genrefans – reizvoll anzusehen und macht einfach Spaß.