Treasure – Familie ist ein fremdes Land

Treasure

D/F 2024 · 110 min. · FSK: ab 12
Regie: Julia von Heinz
Drehbuch: ,
Kamera: Daniela Knapp
Darsteller: Lena Dunham, Stephen Fry, Zbigniew Zamachowski, Tomasz Wlosok, André Hennicke u.a.
Treasure - Familie ist ein fremdes Land
Vergangenheit als Familientherapie
(Foto: Alamode / Die FilmAgentinnen)

Eine Wand ist eine Wand ist keine Wand

Julia von Heinz' Tragikomödie über Erinnerungskultur und transgenerationale Traumata ist ein wichtiger Baustein zur Erzählkultur dieser Themen

Wie schwierig und gleich­zeitig uner­mess­lich wichtig es ist, über trans­ge­ne­ra­tio­nale Traumata, die durch Leidens­er­fah­rungen im Dritten Reich ausgelöst wurden, zu erzählen und damit einen neuen Beitrag zur ebenso wichtigen Erin­ne­rungs­kultur dieses Zeit­ab­schnitts zu leisten, zeigten in den letzten Jahren vor allem Doku­men­ta­tionen. Sei es Daniel Howalds und Martin Millers vers­tö­rende Suche nach der Wahrheit im Leben der Schweizer Psycho­login Alice Miller in Who’s afraid of Alice Miller? (2020) oder Sandra Prechtels Doku­men­ta­tion Liebe Angst (2022) über die trans­ge­ne­ra­tio­nalen Traumata ihrer jüdischen Familie als offener, fami­li­en­the­ra­peu­ti­scher Raum – es waren Filme, die gewis­sen­maßen film-thera­peu­ti­sche Arbeit leisteten, da sie ihren Erzählern, den an trans­ge­ne­ra­tio­nalen Traumata leidenden Nach­ge­bo­renen, eine unver­hoffte Katharsis bescherten.

Das ist dennoch schwere Kost, der sich (leider) nur sehr wenig Menschen aussetzen möchten. Weshalb es umso wichtiger ist, neue erzäh­le­ri­sche Wege zu suchen, um dieses Phänomen »populär« zu machen, denn trau­ma­ti­sie­rende Kriege und geno­zi­dale Zeiten wird es immer wieder geben, und zu verstehen, was sie bewirken und wie mit ihnen am besten verfahren werden kann, sollte zum Basis­wissen jeder Gesell­schaft gehören.

Julia von Heinz, die zuletzt mit ihrem Antifa-Film Und morgen die ganze Welt (2020) in den Kinos zu sehen war, geht mit ihrem neuen Film Treasure – Familie ist ein fremdes Land einen dieser neuen Wege. Sie hat sich Lily Bretts in den USA positiv, in Deutsch­land jedoch heftig kriti­sierten Roman Zu viel Männer als Vorlage genommen und ihn zu einem Film trans­for­miert, der vor allem Bretts erzäh­le­ri­sche Leich­tig­keit und ihren Humor über­zeu­gend umsetzt.

Zwar erinnert das eigen­wil­lige Vater-Tochter-Gespann, das durch Polen und dann auch nach Auschwitz fährt, damit der Vater endlich lernt, sich seiner Vergan­gen­heit zu stellen, und die Tochter ihre trans­gne­ra­tio­nalen Traumata besser bewäl­tigen kann, immer wieder an Maren Ades Toni Erdmann, gerade in den gezielt einge­setzt komischen Momenten. Doch diese Asso­zia­tionen verfliegen schnell, denn Brett und Heinz geht es weniger um ein neues Vater-Tochter-Verhältnis bzw. einen Eman­zi­pa­ti­ons­pro­zess, sondern vielmehr um ein neues Verhältnis zur eigenen Geschichte und damit den eigenen Traumata.

Wie einschnei­dend diese Vergan­gen­heit ist, deutet Heinz sehr schnell mit schwer-schwüls­tigen musi­ka­li­schen Elementen an, was eigent­lich gar nicht nötig ist, denn die Dialoge zwischen der US-ameri­ka­ni­schen Jour­na­listin Ruth (Lena Dunham), die 1991 mit ihrem Vater Edek (Stephen Fry) nach Polen fährt, um Edek mit seiner Kindheit und dem, was an Erin­ne­rungen noch übrig ist, zu konfron­tieren, sind konfron­tativ genug: »Warum habt ihr geschwiegen. Mam hat nachts geschrien. Ist das normal?«

Gleich­zeitig arbeitet Heinz bei aller Konfron­ta­ti­ons­the­rapie sehr subtil heraus, dass es bis heute ungeklärt ist, was der gesündere Weg ist, mit seinem Leid und seinen Traumata umzugehen. Denn nicht nur das Reden, auch das Schweigen hat seine Berech­ti­gung. Doch was »gesünder« ist, darüber urteilt sinn­vol­ler­weise auch Heinz nicht, zeigt aber die Folgen beider Wege auf. Mag das dras­ti­sche Bild der sich selbst zwanghaft Häft­lings­num­mern ritzenden Ruth dabei ein wenig aufge­setzt und platt wirken (und letzt­end­lich zu wenig sein), um die Wirkungs­macht trans­ge­ne­ra­tio­naler Traumata zu zeigen, doch besitzt es dafür die manifeste symbo­li­sche Kraft, diesen Komplex zu perso­na­li­sieren und das Leiden spürbar zu machen. Doch steht Edek dann vor den Wänden, die für ihn nur Wände und keine Gefäng­nis­ba­ra­cken sind, wirkt auch dieser Weg völlig berech­tigt, denn was Edek hat und Ruth nicht, ist die Leich­tig­keit, ist der Witz, der Humor, der sich nicht zur Wahrheit bekennen muss, sondern sich die Freiheit nimmt, mit ihr zu spielen.

Diese zwei Seiten einer Medaille arbeitet Heinz hervor­ra­gend heraus, dass sie sich dann aller­dings auch noch der histo­ri­schen Wahrheit der polni­schen Schuld­frage und dem polni­schen Anti­se­mi­tismus zuwendet, hebt Treasure kurz aus den Fugen. In Deutsch­land ist Brett vor allem für ihre dann doch sehr dras­ti­schen anti-polni­schen Ressen­ti­ments kriti­siert worden, Heinz kann man nur in Ansätzen dafür belangen, denn so konzen­triert sie sich für Momente dem anti­se­mi­ti­schen Verhalten einer polni­schen Familie während Edeks Kindheit zuwendet, so schnell schwenkt sie auch wieder in die Gegenwart und zeigt zwei ältere polnische Frauen, mit denen Edek seinen Spaß hat und einmal mehr deutlich wird, dass histo­ri­sches Verhalten immer auch situa­tives Verhalten ist und sich wohl niemand vorstellen kann und darf, welche Rolle er in einer Diktatur einnehmen würde.