Norwegen/PL/DK 2025 · 109 min. · FSK: ab 16 Regie: Emilie Blichfeldt Drehbuch: Emilie Blichfeldt Kamera: Marcel Zyskind Schnitt: Olivia Neergaard-Holm Darsteller: Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp, Flo Fagerli, Isac Calmroth u.a. |
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Eine Art Corsage wird angelegt | ||
(Foto: Berlinale | Lukasz Bak) |
Im fiktiven Swedlandia tragen sich wohlbekannte Ereignisse zu: Eine Heirat, die zwei Familien verbindet, ein Prinz gibt einen Ball, die schönste der Gästinnen vergisst ihren Schuh, der Prinz sucht sie auf, und siehe da, er passt: Die Liebe hat sich zusammengefunden.
Aschenputtel also, Klassiker der Grimmschen Märchensammlung und des Weihnachtsfernsehens mit den Eltern (so hört man es zumindest oft).
Emilie Blichfeldt verwandelt diesen Stoff nun in einen Body-Horror-Film, nimmt sich dieses neu erstarkten Genres an, um vom Aufwachsen, vom eigenen Körper, von der falschen Schönheit zu erzählen.
Dabei gibt es willkommene Abweichungen vom durchgenudelten Original, Blichfeldt arbeitet Motive heraus, die so im Märchen bereits angelegt sein mögen, hier aber ganz oberflächlich hervortreten: Der Prinz sucht seine große Liebe nach dem primitiven Ideal der absoluten Schönheit, geheiratet wird vorrangig des Geldes wegen, die Frau – zu dieser Zeit, an diesem Ort; und natürlich in der Allegorie – muss sich zu jeder Zeit dem Mann unterordnen, demjenigen nämlich, der Prestige und Geld besitzt, der monetär wie sexuell der Herrscher dieses traurigen Königreichs ist. Keine Liebe jedenfalls für Stallburschen, keine harmlosen Romanzen im Heu sind hier möglich.
Es ist eine ausgestellte, pervertierte Welt, als solche aber natürlich nicht hässlich: Es gibt ja Ordnung, Herrschaft, und diese wähnt sich im Zufluchtsort der Ästhetik sicher. Dementsprechend ist der Film inszeniert, hüllt sich ein in prunkvolle Kleider, gibt stets Raum für durchdesignte Accessoires, ist Ausstattungs- und Kulissenkino. Leider aber nicht vollends konsequent, nicht das künstliche, kleinteilige Kino eines Wes Anderson (an den man ob der symmetrischen Bildgestaltung ab und an denken muss) wird erreicht, ebenso nicht die artifiziellen, abgekühlten Bildwelten einer Jessica Hausner. Dafür montiert und filmt Blichfeldt zu nah an den Gesichtern ihrer Schauspieler*innen, rückt sie zu jeder Zeit ins Zentrum, schiebt die Ausstattung quasi nur als Beiwerk in die Bilder hinein.
Ein zweidimensionaler Film entsteht, der mehr auf seine Figuren achtzugeben scheint als auf die Hintergründe, der in der Natur keinen Wind sucht, der durch die Bäume streift, in Räumen keine Schatten beobachten will. Immer wieder zentral: Die Figuren, die hässliche Stiefschwester und ihr Weg in den Abgrund.
Denn: Um am Ball teilzunehmen, die Gunst des Prinzen zu gewinnen, muss sie die Schönste sein.
Für Elvira (und vor allem ihr Umfeld, die Mutter) eine schier unmögliche Aufgabe, zu gerne isst sie Leckereien, zu undiszipliniert treibt sie durch den Alltag. Das soll in der Folge »repariert« werden, schmerzvolle Nasen-OPs und Bandwurm-Amuse-Gueules inklusive.
Hier findet der Body-Horror-Part des Films statt, die brutalen Szenen sind sparsam eingesetzt, dafür intensiv und durch die Nahbarkeit tatsächlich schmerzhaft. Die Metaphern sind klar: Erzwungene Schönheit um jeden Preis führt in die Selbstzerstörung, ein Leugnen des eigenen Ichs durch Auslagerung auf fremdgefertigte Ideale muss scheitern.
Diese Themen – und sie stimmen alle – bleiben aber in diesem oberflächlichen Stadium verhaftet, wirken wie in den Film hineingeschrieben. Er existiert um sie zu untermauern, ist Message-Kino mit Genre-Kniff. Selten findet eine Fusion aus Form und Inhalt statt, noch seltener streiten sich die beiden. Es gibt durchaus schöne Szenen, etwa, wenn Elvira nach wochenlangem Training ihren Schau-Tanz vor dem Prinzen aufführt, die Künstlichkeit und Affektiertheit in ihren Augen und (zu) einstudierten Gesten hervortritt, die wirkliche Erotik zugunsten einem vorgefertigten Skript der Erotik verschwindet, nach dem sich dann alle verhalten, die Frauen wie die Männer. (Gut, erstere tanzen immerhin noch, letztere sabbern lediglich…)
In den meisten Momenten aber bleibt The Ugly Stepsister zu oberflächlich, gerade im Umgang mit dem Genre: Wir wollen ja all die brutalen Szenen sehen, darum lösen wir das Ticket. Hier entsteht ein interessanter Bruch, ein Film mit Thema Schönheit, der sich in der Auslegung aber dem Gegenteil verschrieben hat: Dem Hässlichen, dem Abstoßenden, dem Horror. Leider ergibt sich aus diesem Gegensatz kaum etwas, kein Schönes im Grausamen, keine über die Metapher, über das Verstehen hinausgehende Eleganz oder Transzendenz.
So verweilt Blichfeldt in einer milden Didaktik, alles ist hier vorgegeben, keiner Figur, keinem Bild wird ein Eigenleben zugetraut. Bezeichnend der zynische Titel: Der Stiefschwester (selbst natürlich Opfer ihrer Umstände) wird schon vor ihrem Auftreten keine Eigenständigkeit zugestanden, sie ist die Hässliche, und als solche muss sie die Torturen nun erleiden.
Das Ende dann nimmt diesen (zumindest präsenten) Zynismus auf, stellt die mittlerweile recht ordentlich derangierte Elvira der Diskussion frei. Als Anschauungsobjekt, als Produkt der vergangenen 100 Minuten, als Symbol, das nicht mehr menschlich sein darf, dem alles genommen wurde, von Gesellschaft und natürlich Film.
Hier ist es nun ein tatsächlicher Appell an den Zuseher: Was ist hier schief gelaufen, wie konnte es soweit kommen? Schlussendlich schlägt die Didaktik in
Selbstreflexion um.
»Kannst du dir eine Zukunft vorstellen, in der wir nicht mehr darüber diskutieren, welchen Druck Schönheitsideale auf uns ausüben?«, fragte vor ein paar Monaten Arabella Wintermayr im Film-Podcast »Cuts«. Die Antwort zusammengefasst: Selbstverständlich, aber so weit sind wir noch lange nicht! Schon The Substance (2024) hat den Druck der weiblichen Körpernormen im letzten Jahr als brachialen Körperhorror inszeniert und dabei einen Nerv getroffen. Der Norwegische Panorama-Beitrag der Berlinale The Ugly Stepsister (2024) der norwegischen Autorin und Regisseurin Emilie Blichfeldt schlägt manchmal ähnliche Töne an wie Coralie Fergeats Riesenerfolg, doch die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Genrefilmen zeigen vor allem, wie sich die Bebilderung weiblicher Körpererfahrungen als regelrechte Horrorvision anbietet. Blichfeldt adaptiert in ihrem Debüt das Grimm’sche Märchen von Aschenputtel und führt dabei eine zeitgemäße narrative Verschiebung durch: Sie erzählt die Geschichte aus der Perspektive einer Nebenfigur, nämlich der hässlichen Stiefschwester. Mit Parasiten, Fleischerbeilen und erigierten Pimmeln schlägt sie dabei mühelos noch tiefer unter die Gürtellinie – und ist dabei dem originalen Märchen näher als der Disney-Klassiker.
Die Story ist vertraut: Die vernachlässigte Aschenputtel (Thea Sofie Loch Næss) wird von ihrer grausamen Stiefmutter (Ane Dahl Torp) herumgescheucht, als der Prinz des Landes zu einem Ball einlädt, um die passende Braut zu finden. Nun handelt es sich hier natürlich um eine Reinterpretation; diese gelingt aber nicht durch eine schlichte Umkehrung der Geschichte – um ein leichtes könnte man Aschenputtel, die hier den Namen Agnes trägt, als Bösewicht darstellen und die Stiefschwester, genannt Elvira (Lea Myren), als das Opfer der Geschichte. The Ugly Stepsister wählt aber einen nuancierteren Ansatz: Hier sind alle Figuren ziemliche Arschlöcher. Und alle sind irgendwie Opfer ihrer Umstände.
Der Kern des Märchens bleibt dabei weitestgehend intakt; stattdessen füllt Blichfeldt den Anfang, das Ende und die kleinen Lücken zwischen den Zeilen mit Informationen. Wir erfahren, dass Elviras Mutter gerade erst einen Baron (Ralph Carlsson) geheiratet hat, der mit seiner Tochter Agnes alleine in einem Anwesen wohnt. Als der aber plötzlich einen Herzinfarkt erleidet, muss Elvira erkennen, dass Otto pleite war und sich nur für den Wohlstand in ihre Familie eingeheiratet hat. Mit einem Mal wird ihre Mutter enteignet. Niedergeschlagen verliert die Matriarchin, manisch gespielt von Torp, ihren Verstand. Aschenputtel ist hier hingegen ein oberflächliches Mean Girl, das sich plötzlich in den Fängen der dysfunktionalen Familie wiederfindet, während ihr geliebter Vater im Nebenzimmer verwest. Ihre tiefe Abneigung gegen Elvira ist nachvollziehbar.
Die pummelige Zahnspangenträgerin Elvira ist auf einmal die letzte Hoffnung der Familie, aus der finanziellen Bredouille herauszufinden: Dafür muss sie nur dem Prinzen gefallen. Mit Akribie stellt der Film Elviras Qualen dar, um von der patriarchalen Gesellschaft als schön betrachtet zu werden: Mit einem Meißel kloppt ein Quacksalber ihre Nase in die gewünschte Form. Um abzunehmen, schluckt Elvira einen Bandwurm, der in ihr zur Größe einer Python heranwächst. Die Brutalität ist so explizit und over-the-top, dass sie zum Lachen einlädt. Lea Myren gibt dabei eine beeindruckende Performance als Elvira, die sich allmählich vom erniedrigten Mäuschen zur eifersüchtigen Furie wandelt – von einem chirurgischen Eingriff zum anderen. Die Modi widersprechen sich dabei nicht, sondern greifen authentisch ineinander über.
Als Genre hat der Horror vieles mit dem Musical gemeinsam – vor allem in der Art, wie er zu affizieren sucht. Die Regel im Musical lautet ja: Sind die Emotionen zu stark, um sie auszusprechen, wird gesungen. Sind sie zu stark für Gesang, beginnt man zu tanzen. Im Horror funktioniert das oft ähnlich. Übersteigt eine Emotion das Sagbare, kommt das Monster aus den Schatten, oder es fließen Blut und Eiter. Blichfeldt versteht diese Mechanik sehr gut. In den Schock- und Ekeleffekten verfolgt sie zwar eine konsequente Eskalationsspirale. Jedoch dient selbst der sadistischste Moment dazu, das Innere der Hauptfigur nach außen zu kehren – metaphorisch und wortwörtlich. Elviras Selbsthass wird zum Beispiel durch den gigantischen Bandwurm katalysiert, den sie zum Abnehmen schluckt. Je mehr ihr Selbsthass sich nährt, desto größer wird der Parasit in ihrem Inneren. Um sich zu heilen, muss sie das Monstrum früher oder später aus sich heraus reißen.
Natürlich, diese Metaphern sind plakativ, der Film macht aber aus seiner Polemik keinen Hehl. Die Männer, inklusive dem Prinzen (Isac Calmroth), sind testosterontriefende Proleten, die ihre steifen Penisse wie Schwerter vor sich hertragen, allgemein pendeln die Figuren zwischen genderspezifischen Stereotypen. Gerade bei Elviras Mutter gerät der Film ein wenig in Schieflage. Zwar gibt das Script einen Grund für ihre Manie, jedoch wird sie zum Ende hin stark auf ihre Sex-Besessenheit reduziert, was sie im Vergleich zu den anderen Figuren ein wenig aushöhlt. Schließlich muss man auf dieses Spiel mit Überzeichnungen eingehen. Durch entblößte Vulven und Anusse gibt der Film weiter den Ton an, der zunehmend die Grenze des guten Geschmacks herausfordert.
The Ugly Stepsister spielt gekonnt mit historischen Anachronismen. Das historische Setting des Films bricht Blichfeldt mit träumerischen Synth-Sounds, die an die 70er Jahre erinnern. Diese Vermischungen sind spätestens seit Sofia Coppolas Marie Antoinette (2006) gang und gäbe, andere Beispiele sind Marie Kreutzers Corsage (2022) oder Frauke Finsterwalders Sisi & ich (2023), der vor zwei Jahren auf der Berlinale gezeigt wurde; Blichfeld verleiht ihrem Film durch pastellfarbene Traumsequenzen und eine überspitzte Schauspielführung aber einen distinkten, jugendlichen Pferdemädchen-Charme – wie ein »Bibi und Tina«-Film, realisiert von David Cronenberg.
Letztlich unterscheidet sich Blichfeldts Film von anderen Body-Horror-Vertretern noch durch die leise, doch klar erkennbare Anwesenheit von Solidarität. Zwar schickt sie ihre Figuren durch die Hölle, doch eröffnet ihnen auch die Aussicht auf Erlösung.