This Rain Will Never Stop

LV/D/Q/UA 2020 · 108 min. · FSK: ab 12
Regie: Alina Gorlova
Drehbuch: ,
Kamera: Vyacheslav Tsvetkov
Schnitt: Alina Gorlowa, Simon Mosgowji, Olha Schurba
Krieg ohne Ende
(Foto: jip film & verleih)

Zyklen des Krieges

Alina Gorlovas This Rain Will Never Stop über die Vorkriegs-Krise im ukrainischen Donbass zeigt über den regionalen Konflikt kontemplativ und erschütternd zugleich die globale und historische Bedeutung dieser Krise

Als ich Alina Gorlovas Film im letzten November auf dem 8. Duhok Inter­na­tional Film­fes­tival im kurdi­schen Nordirak sah, erschien mir Gorlovas Film ein wenig über­am­bi­tio­niert und aufge­setzt insze­niert zu sein. Denn die an der Karpenko-Kary National Univer­sity für Theater, Film und Fernsehen ausge­bil­dete und auf das doku­men­ta­ri­sche Format spezia­li­sierte Regis­seurin hat sich nach der Annek­tie­rung von Teilen des Donbass im Jahr 2014 nicht einfach nur auf eine filmische Analyse der Nachwehen der Annek­tie­rung einge­lassen, sondern geht formal wie inhalt­lich einen sehr anderen Weg.

Denn über ihren Prot­ago­nisten Andriy Suleyman, den in Syrien geborenen und inzwi­schen 20-jährigen Sohn einer ukrai­ni­schen Mutter und eines kurdi­schen Vaters, der mit seiner Familie 2012 wegen des Krieges nach Lyssyt­schansk im Donbass fliehen musste, um dort zwei Jahre später von einem neuen Krieg über­rascht zu werden, deutet Gorlova schon sehr schnell in ihrem Film an, dass Krieg nichts Spontanes und Zufäl­liges, sondern Teil eines mensch­ge­machten Zyklus ist, dem keine Genera­tion entkommen kann.

Dafür folgt sie dem im ukrai­ni­schen Leben völlig assi­mi­lierten Andriy in seinem Alltag mit Freundin, vor allem aber in seiner ehren­amt­li­chen Arbeit als Rot-Kreuz-Mitar­beiter, die sich vor allem in den besetzten Gebieten des Donbass abspielt und den Alltag einer versehrten Region zeigt, die mit Lebens­mit­tel­lie­fe­rungen und Klei­der­spenden versorgt werden muss, um eini­ger­maßen zu funk­tio­nieren. Doch anders als der auf der dies­jäh­rigen Berlinale gezeigte ukrai­ni­sche Spielfilm KLONDIKE von Maryna er Gorbach, der die zuneh­menden Bruch­stellen einer vom Kriegs­alltag geprägten Familie in der zerris­senen Region ergründet, bleibt Gorlova stets bei dem Blick ihres Prot­ago­nisten, lernen wir keine ukrai­ni­schen Familien kennen, sondern bleiben bei Andriys Familie, die ihn in Video-Chats dazu zu überreden versucht, wegen der hoff­nungs­losen Lage die Ostukraine zu verlassen.

Gleich­zeitig werden aber gerade durch diesen Außen­blick die Stadien von Krieg und Frieden deutlich, erfahren wir auf alltä­g­lichster Ebene, was Krieg mit Menschen macht und wie es den betrof­fenen Menschen immer wieder gelingt, die Verluste von Heimat und Zukunft mit fami­liärem Alltag und völlig über­ra­schenden Zukunfts­mo­dellen zu kompen­sieren. Wir sehen Andriy dann irgend­wann auch in Hamburg bei einer Hochzeit und begleiten ihn nach dem über­ra­schenden Tod seines Vater bei der Über­füh­rung dessen Leichnams in den Nordirak, von wo er eigent­lich nach Syrien weiter­reisen will, um an den Ursprung seines eigenen Konfliktes zu gelangen. Doch ein den Titel des Films gebender, nicht enden wollender Regen hat den Grenz­fluss und die über­flu­tete Brücke unpas­sierbar gemacht, ein eindrück­li­ches Bild für die Unüber­wind­bar­keit des mensch­li­chen Dilemmas, keinen dauer­haften Frieden schaffen zu können und damit auch immer wieder unwie­der­bring­lich zu verlieren, was über Genera­tionen aufgebaut wurde.

Diese gren­zü­ber­schrei­tende Sicht­weise, die Zusam­men­füh­rung von einem syrisch-irakisch-kurdi­schen Konflikt mit einer vermeint­lich lokalen russisch-ukrai­ni­schen Ausein­an­der­set­zung, die durch die ruhige, tran­szen­den­tale, immer wieder nach poeti­schen Details suchende Kamera von Vyacheslav Tsvetkon noch einmal verstärkt wird, erschien mir wie eingangs erwähnt im letzten November noch zu expe­ri­men­tell, zu aufge­setzt, einfach zu viel des Guten. Doch durch den inzwi­schen zu einem inter­na­tio­nalen Konflikt ausge­wei­teten Krieg erhält der mit zahl­rei­chen Preisen ausge­zeich­nete This Rain Will Never Stop eine fast schon visionäre Gültig­keit, die trotz aller Ruhe und Konzen­tra­tion wohl gerade deshalb so berührt, weil sie Hoff­nungs­lo­sig­keit und Hoffnung in einer selten gesehenen Alltä­g­lich­keit und Inten­sität völlig selbst­ver­ständ­lich neben­ein­ander stellt.

Kein Gelb, kein Blau

Alina Gorlovas rätselhafter Film This Rain Will Never Stop unterläuft alle Erwartungen an Parteinahme

Schwarz-Weiß-Bilder und Farbe lösen einander ab, bevor die Farbe ganz verschwindet. Die Kamera fliegt über fast abstrakte, wüsten­ar­tige, menschen­leere Berg­land­schaften. Eine Mond­land­schaft. Die Musik betont noch das Menschen­feind­liche in ihr. Dies ist eine Indus­trie­brache, rauchende Schorn­steine sind fern im Hinter­grund zu sehen. Dann eine Fabrik­halle. Ein Kran rollt auf Schienen durch den Raum. Später verstehen wir, dass hier Panzer gemacht werden.

Dann Schwarz­bild, das erste Kapitel heißt »Null«.

Die ersten Menschen, die man sieht, sind Soldaten. Auf Patrouil­len­dienst. Dann ein alter Mann, der beim Rauchen mit einer Katze redet. Die Land­schaft ist weiterhin leer, einsam, offen; ist es Herbst oder Winter? Die Ober­fläche des nahe­ge­le­genen Sees ist ganz ruhig. Nur von fern sind Schüsse zu hören – und es ist nicht ganz klar, ob dies Schüsse von Kämpfen sind oder von Jägern. Wahr­schein­lich ersteres, denn der alte Mann mono­lo­gi­siert vor sich hin: »Ich gehe schwimmen. Bisher hat noch niemand auf mich geschossen.«

Zweites Kapitel: »1«. Menschen stehen im Regen, bewacht von Soldaten und Polizei. »Wer einen russi­schen Pass beantragt«, unter­stütze die Eindring­linge, steht auf einer Schrift­tafel. Was ist das hier? Ein Gren­zü­ber­gang? Oder hält die Polizei die Leute davon ab, einen Pass zu bean­tragen oder über die Grenze zu gehen?
Es gibt auch Menschen, die fühlen sich Russland zugehörig, und die sind nicht sofort Natio­na­listen oder Gangster oder zwie­lich­tige junge Männer. Das Rote Kreuz gibt Essen aus. Weil die Menschen hier so lange warten müssen.

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Das Aller­wich­tigste: Die Menschen, die Verhält­nisse, die dieser Film zeigt, sind diffe­ren­ziert. Das Material ist schwarz-weiß, aber der Blick auf die Wirk­lich­keit zeigt ein Grau in Grau

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Ein Soldat kümmert sich um Alte, die Schwie­rig­keiten mit dem langen Fußweg haben. Viel­leicht, weil sie schwer beladen sind. Man sieht auch Menschen, die an diesem Morgen zurück­kommen und denen die, die die Grenze über­queren, entge­gen­kommen.
Der Gren­zü­ber­gang ist eine provi­so­ri­sche Brücke aus Eisen- und Gerüst­teilen. Daneben wird eine neue moderne gebaut.
Zurück in der Fabrik­halle. Hier werden Panzer gebaut. Man weiß nicht genau, ob es ukrai­ni­sche Panzer sind oder russische.
Ein Dirigent probt mit dem Orchester.

Andrej Süleyman ist die Haupt­figur des Films. Er beginnt Frei­wil­li­gen­ar­beit beim Roten Kreuz, er schreibt einen Brief, um sich vorzu­stellen. Die Freundin sagt ihm: »Du klingst wie ein Roboter.«

Man sieht Folklore: Ein Säbeltanz.

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Dann eine Parade. Die ukrai­ni­sche Solda­teska schreit: »Ehre unseren Helden. Ehre Ehre Ehre. Ehre unseren Helden«. Die Musik verfremdet den Auftritt. Die ukrai­ni­sche Armee marschiert im Gleich­schritt in Uniform, aber auch bis an die Zähne bewaffnet. Die ganze Leinwand ist voll von Gesich­tern, die »Ehre« schreien. Dann eine Staffel der Luftwaffe am Himmel.
Die Regis­seurin unter­läuft alle Erwar­tungen an Partei­nahme. Der Film ist eine Kritik an der Mili­ta­ri­sie­rung ihres Heimat­landes.

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Dann ein Schnitt und eine Zugfahrt. Ein normales Abteil.

Andrej und Arbeits­kol­legen reden über den syrischen Krieg: »Wer ist da überhaupt Oppo­si­tion?« – »Das hängt von der Perspek­tive ab.« Der Fahrer sagt: Die Kurden leben in Türkei, Irak, Syrien und Iran und sie stören alle diese Länder. So kann man es sehen.

Sperr­ge­biet: Man muss ganz langsam über den Check­point fahren. Es ist das Gegenteil des Karnevals aus Verrückt­heiten und Gewalt, von dem Sergej Loznitsa erzählte.
Waren­aus­gabe des Roten Kreuzes. Alte Frauen stehen da und sagen: »So viel! Meine Güte.«

Öfen, die man Bullerjan nennt. »Wir raten Ihnen, sie zu Hause einzu­bauen. Wir wissen, dass Sie Ihre Häuser mit Holz­ver­bren­nung heizen. Die Winter sind kalt.« – »Jeder weiß, dass wir immer mit Holz geheizt haben und in Zukunft ebenso.« Der Hund heißt Khan, der alte Mann lebt mit Katzen, Hunden und Schafen zusammen.

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Eine Musik­pa­rade. Ein Wagen, auf dem steht »Feel Good« und »BeYou«, es könnte der Chris­to­pher-Street-Day sein. Aber wo?

Am Ende, das letzte der zehn Kapitel heißt wieder 0, zeigt wieder eine Demons­tra­tion. Und zwar noch mal Chris­to­pher-Street-Day. Junge fröhliche Menschen. Menschen wie wir. Aber darum eben auch eine satu­rierte Wohl­stands­ge­sell­schaft, die so gar nichts gemeinsam hat mit den Menschen, die man dann vorher gesehen hat. Hinein in diese Love­pa­rade schneidet sie dann wieder Soldaten und Folklore und Tänzer. Was will sie sagen? Dass alles eins ist? Alles ein Tanz ist?

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Das ist ein Film der Vignetten. Die Erzählung entsteht nicht durch eine Chro­no­logie von A nach B, sondern durch einzelne Eindrücke, die sich mit der Zeit wie ein Mosaik zusam­men­setzen lassen. Man sieht dann verschie­dene Moment­auf­nahmen. Man sieht z.B., wie das Rote Kreuz den oft alten, sehr oft armen Menschen außer Essen auch andere Dinge austeilt, auch kleine Öfen, mit denen sie im Winter heizen können.

Es sind poetische Bilder. Oft sind die Land­schaften menschen­leer, Mond­land­schaften. Die Musik wirkt manchmal wie aus einem Science-Fiction-Film der 70er, kommen­tiert dadurch die Bilder, verfremdet sie noch zusätz­lich.

Es ist eine hoch­span­nende Welt. Eine Vorkriegs­welt aus unserer Sicht, eine Nach­kriegs­welt für die Menschen, die sie erleben. Man sieht überhaupt keine Kampf­hand­lungen. Man hört einmal Schüsse, es könnte sich dabei aber auch um Schüsse einer Gruppe Jäger handeln.

Man sieht viele Soldaten. Auch bei Paraden. Es sind manchmal russische und manchmal ukrai­ni­sche Soldaten, wobei die beiden Paraden durchweg Ukrainer sind. Die Russen kontrol­lieren und patrouil­lieren. Der Krieg ist in dem Sinn präsent, dass dieses Land und die Menschen von den Folgen gezeichnet sind, von all dem, was 2014 passierte.

Aber auch noch in einer anderen Weise: Denn im Zentrum steht eine syrische Familie, insbe­son­dere ein junger Mann, einer von zwei Söhnen dieser Familie, der Bruder ist im syrischen Krieg verwundet worden und hat nach wie vor ein beschä­digtes Bein, und der Haupt­prot­ago­nist arbeitet frei­willig beim Roten Kreuz.
Die Familie ist schon ein paar Jahre im Donbass, weil die Familie der Mutter ursprüng­lich aus der Ukraine kommt, der Vater ist Kurde. Natürlich nimmt dieser Junge die Erfah­rungen des Krieges mit.

Es geht um seine Traumata, aber auch um Traumata der Familie, ansonsten ist das ein Beob­ach­tungs­film, kein Film, der besonders explizit die psycho­lo­gi­sche Verfas­sung der Menschen ausbreitet.

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Dann wieder sieht man Mili­tär­pa­raden. Der Film erklärt nichts. Es gibt keinen Off-Kommentar. Darum muss man ehrlich sagen: ich weiß nicht, in welcher Stadt sich die Mili­tär­pa­rade genau ereignet, die wir hier sehen.
Was aller­dings klar ist: dass es sich um ukrai­ni­sches Militär handelt – und das ist inter­es­sant. Dieser Film ist keines­wegs einer, der sich ganz klar auf eine Seite der poli­ti­schen Ausein­an­der­set­zung schlägt.

Er beob­achtet. Es sind Grautöne. Dies ist kein Film, der den Mili­ta­rismus, den es auch in der Ukraine gibt, irgendwie verschweigen würde oder unter den Teppich kehren.

Das Schwarz­weiß der Bilder führt zu einer Konzen­tra­tion. Es ist eine bewusste Reduktion, um den Zuschauer zu einer anderen Konzen­tra­tion zu führen. Das ist ein Film, der uns vor allem ein Gefühl dafür gibt, was es heißen könnte, im Donbass zu leben.

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Es gibt, glaube ich, verschie­dene Formen, wie man einen Film über das Wesen des Krieges machen kann, und da ich persön­lich keinen Krieg kenne, kann ich nur Vermu­tungen anstellen.

Der Krieg, den man hier sieht, ist ein ganz anderer Krieg als der, den wir aus den Nach­richten kennen.
Weil keine Kampf­hand­lungen zu sehen sind und man nicht den Eindruck hat, dass die Menschen hier sich permanent bedroht fühlen.

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Dies ist auch ein Film über das ganz normale Leben, wenn man so möchte: Es gibt eine Hochzeit, es gibt eine Beziehung, die in die Brüche geht, es gibt eine Beer­di­gung. Es gibt drei Genera­tionen, die mitein­ander auskommen müssen, es gibt Menschen, die mit Tieren zusam­men­leben und zu ihnen auch ein ziemlich inniges Verhältnis haben.
Daneben denkt man natürlich heute auch an andere Film, die uns vom Donbass erzählen. Mir fällt jetzt nur der gleich­na­mige Film von Sergej Loznitsa ein. Der zeigt den Wahnsinn des Krieges. Sehr grell, sehr karne­valesk. Dieser Film hier zeigt das Gegenteil. Er zeigt auf eine gedämpfte Weise die Norma­lität und die Alltä­g­lich­keit.

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Das Wissen um die Gegenwart schärft unsere Neugier für diesen Film. Das lässt uns auch die Bilder anders lesen. Ich habe ihn jetzt gesehen, ich kann nicht sagen, wie ich ihn vor einigen Wochen oder Monaten gesehen hätte.
Mich hat über­rascht, wie sehr der Film versucht, nicht Partei zu ergreifen. Er ergreift Partei für den jungen Mann, der im Zentrum steht. Und es ist eben ein Film, der auf den Mili­ta­rismus aufmerksam macht.
»Ehre unseren Helden!« Dies wird mehrfach gerufen. Das sieht man natürlich heute ganz anders, als man es noch vor ein paar Wochen gesehen hätte – viel­leicht ein bisschen weniger kritisch. Und ob das wirklich gut ist, darüber ließe sich disku­tieren.