Tel Aviv on Fire

L/B/IL/F 2018 · 101 min. · FSK: ab 6
Regie: Sameh Zoabi
Drehbuch: ,
Kamera: Laurent Brunet
Darsteller: Kais Nashif, Lubna Azabal, Yaniv Biton, Maisa Abd Elhadi, Nadim Sawalha u.a.
Gelungene Verwandlung einer tragischen Geschichte in eine doppelbödige, leichte Komödie

Wo gibt's den perfekten Hummus

Der Nahost­kon­flikt zwischen Israelis und Arabern gehört zu den komple­xesten Konflikten, die es gibt. Pi mal Daumen geht’s um das Exis­tenz­recht Israels, sichere Grenzen, das Rück­kehr­recht für vertrie­bene Paläs­ti­nenser, jüdische Sied­lungen auf paläs­ti­nen­si­schen Gebieten, Trink­wasser und wem Jerusalem gehört. Die Stadt wollen beide für sich, und zwar ganz und als Haupt­stadt. Ach so, wer vor über 2000 Jahren genau, wann und wo zuerst in der Gegend unterwegs war, spielt auch noch eine Rolle. Also kultu­relle Iden­ti­täten und zwei Reli­gionen, das Judentum und der Islam. Nach acht Kriegen, hunderten Terror­an­schlägen und Vergel­tungs­ak­tionen ist weder ein Gewinner in Sicht und Frieden noch viel weniger.

Ansehen jedoch kann man sich jetzt eine subtile, leichte, spritzige Komödie, sie heißt Tel Aviv on Fire. Der erste Impuls ist, sich zu wundern. Ein Film mit Israelis und Paläs­ti­nen­sern, der einen Funken mit Realität zu tun und der „leicht“ sein soll und „spritzig“? Außerdem amüsant, ja sogar zum Lachen?
Nun, jedem Autor oder Regisseur sollte man diese Aufgabe nicht anver­trauen. Wer sie jedoch mit Bravour meistert, als sei es das natür­lichste von der Welt, wie Zähne putzen oder Radfahren, sind der US-Ameri­ka­ni­sche Dreh­buch­autor Dan Kleinman und der paläs­ti­nen­si­sche Regisseur Sameh Zoabi.

Bei ihnen kommen die ganzen Reiz­themen nur am Rande vor. Als grotesker Hinter­grund, vor dem der Konflikt des paläs­ti­nen­si­schen Prak­ti­kanten Salam (großartig melan­cho­lisch und flapsig gespielt von Kais Nashif) und des israe­li­schen Grenz­of­fi­ziers Tala (arrogant und dreist – Lubna Azabal) erzählt wird.

Wichtiger als Religion und Politik ist, dass der Prak­ti­kant pünktlich zur Arbeit erscheint. Nicht weil er eine Schlaf­mütze wäre oder wegen Stau­ge­fahr. Salam wohnt in Jerusalem und muss jeden Morgen einen israe­li­schen Check­point passieren. An der Grenze zum West­jor­dan­land, wo das Filmset steht für eine paläs­ti­nen­si­sche Seifen­oper.

Die ist nicht nur bei Arabern überaus beliebt, sondern auch bei Israelis und damit auch bei der Gattin des Offiziers. Beide Völker liegen zwar bei allem krass über Kreuz, was man sich vorstellen kann. Und auch, was man sich kaum vorstellen kann. Nämlich, wer vor über 2000 Jahren wann genau wo zuerst in dieser Gegend unterwegs war.
Wenn jedoch die Seifen­oper Tel Aviv on Fire läuft, sitzen alle gebannt vor der Glotze. Das ist genial, weil der Film und die „Soap-im-Film“ im Jahr 1967 spielen. Unmit­telbar vor dem Ausbruch des Sechs-Tage-Krieges. Auf den haben Israelis und Araber natürlich eine grund­sätz­lich andere Sicht. Die Araber wollten die Israelis ins Meer jagen und vernichten. Die Israelis wollten weder vernichtet werden noch baden gehen.

Doch unsere Helden plagen sowieso andere Sorgen. Salam will mit seiner Arbeit bei dem schnul­zigen Straßen­feger eine junge Frau, Mariam (MAÏSA ABD ELHADI), beein­dru­cken. Obwohl er nur ein Prak­ti­kant ist, der kaum etwas zu sagen hat.
Tala dagegen hat als Grenz­of­fi­zier durchaus etwas zu sagen. Und neben dem Militär­dienst fühlt er sich dem Wohl­er­gehen seiner Frau verpflichtet. Zu ihren Vergnügen gehört täglich eine Episode der Soap Tel Aviv on Fire. Da liegt es für ihn nahe, den Prak­ti­kanten zu drang­sa­lieren, damit er Dreh­bücher umschreibt, wie es dem Offizier gefällt und dessen Frau.

Zwei Männer, die „von Haus aus“ Todfeinde sind, schreiben gemeinsam eine Seifen­oper, um Frauen zu beein­dru­cken. Wobei die Frauen nicht so leicht zu beein­dru­cken sind.
Dieser einfache Kunst­griff verwan­delt die tragische Geschichte in eine doppel­bö­dige, leichte Komödie, bei der es durchaus ein Happy End geben könnte. Nicht nur im Film, sondern auch in der Realität. Denn zwischen den Zeilen blinkt subtil die Botschaft, dass es wich­ti­gere Dinge gibt als Religion und Politik.
Zum Beispiel, wie kommt man mit einer Frau zusammen? Wie hält man eine Beziehung am Laufen, wenn der Rausch der Verliebt­heit verflogen ist?
Und schließ­lich,... wo gibt’s den perfekten Hummus? Der israe­li­sche Offizier glaubt, bei den Paläs­ti­nen­sern. Egal, welche obskure Pampe aus Kicher­erbsen Salam ihm vorsetzt, der Israeli schaufelt sie selig schmat­zend in sich hinein.

Die alltäg­li­chen mensch­li­chen Nöte, Eitel­keiten und Tricks, mit denen jeder Mensch versucht, sich einen Vorteil zu ergattern, egal wie klein er ist, zeigen frappant, wie ähnlich Menschen ticken. Selbst, wenn ihre Regie­rungen erklären, dass sie Todfeinde sind. En passant wird so auch klar, wie künstlich geschürt der Konflikt ist, der schon so viele Opfer gefordert hat und weiter fordert.