The Square

S/D/F/DK 2017 · 151 min. · FSK: ab 12
Regie: Ruben Östlund
Drehbuch:
Kamera: Fredrik Wenzel
Darsteller: Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West, Terry Notary, Christopher Læssø u.a.
Versuchsanordnung zur Kritik an der herrschenden Moral

Dem Leben zusehen, wie es stirbt

»When I came to New York, I began to meet the people who became the most famous artists of our time. I was insecure about my own level of ability, I didn’t know whether I could compete with these people and, at the same time. I was wondering what is this anyway?«
– Henry Flynt

Wie sehr Konzept­kunst; Kunst an sich angreifbar ist und immer war, darüber wusste schon Henry Flynt viel zu erzählen. Und um zu sehen, wie verwoben die moderne Kunst­szene – Künstler wie Rezi­pi­enten – nicht nur mit dem Kapital, sondern auch mit einer kaum zu ertra­genden Doppel­moral ist, dafür reicht schon ein kurzer Besuch beim Presse-Opening der Vene­zianer Art Biennale. Alles so bekannt wie das Stan­dard­plot­ting für einen Krimi, es sei denn es handelt sich um das Genre des skan­di­na­vi­schen Krimis, dem es immer wieder gelingt, auch der abge­dro­schensten Idee mit ein wenig post­mo­derner Garnie­rung noch etwas Über­ra­schendes abzu­ge­winnen.

So ähnlich verhält es sich auch mit Ruben Östlunds Cannes-Gewinner The Square. Östlunds scho­nungs­loser Blick auf die moderne Kunst­szene ist tatsäch­lich nichts Neues. Sei es der von ihm verhan­delte nicht mehr glaub­wür­dige Spagat vor allem moderner (Konzept-) Kunst zwischen Anspruch und Wirk­lich­keit, seien es die Betei­ligten selbst, wie der im Zentrum von Östlunds Beob­ach­tung stehende Kurator Christian (Claes Bang) eines Museums in Stockholm, dessen Umfeld genauso uner­träg­lich ist wie er selbst. Aber das Musik genauso wenig wie die darstel­lende Kunst die Menschen besser macht, eitle Fatzken hier wie dort an der Tages­ord­nung sind, was solls?! Denn die Kunst an sich hat bislang schon alles überlebt, gibt es im Zentrum jeden Schwach­sinns immer auch einen Funken puren Glücks.

Das ist bei Östlunds Konzept nicht anders. Man mag sich kurz an Östlands – der Satire geschul­deten – ober­fläch­li­chem, einsei­tigem und stereo­typen Blick auf die moderne Kunst­szene stören, aber schon einen Moment später ist das verziehen und vergessen.

Denn wie schon in seinem letzten Film, Höhere Gewalt so ist es auch in The Square: mögen Östlunds sozio­lo­gi­sche Versuchs­an­ord­nungen zur Kritik an der herr­schenden Moral noch so platt und offen­sicht­lich wirken, so gelingt es ihm doch stets, sie mit ambi­va­lenten, unein­deu­tigen Geschichten und präzisen Dialogen zu füllen. War es in Höhere Gewalt ein Fami­li­en­vater, der nicht nur die mora­li­sche Hoheit über sich, sondern auch die über seine Familie verliert, so ist es in The Square der Kurator Christian, der auf allen Ebenen die Kontrolle über seinen mora­li­schen Impetus verliert. Nicht nur die Kunst, die er betreut, auch ein One-Night-Stand mit einer Kunst­kri­ti­kerin (Elisabeth Moss) oder der Verlust seines Handys wachsen sich zu »histo­ri­schen« Bumerangs aus und treffen Christian an Stellen, die er nicht erwartet.

Doch anders als in Höhere Gewalt verliert Östlund in seinem Bestreben möglichst viele Eckpfeiler gesell­schaft­li­cher Relevanz in The Square abzu­de­cken, dann und wann den erzäh­le­ri­schen Faden, kippt die Satire zu schnell und abrupt ins Tragische, gibt es erzäh­le­ri­sche Schleifen, die zu lang sind und den Film fast ins Stolpern bringen. Aber nur fast. Denn da Östlund auch in jeden Seitenweg, den er geht, ein paar Über­ra­schungen und verzet­telte Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­suche drapiert, und letztlich immer wieder Anschluss an sein Grund­thema findet, bleibt seine bitter­böse Abrech­nung mit unser aller Doppel­moral eine über­zeu­gende Abrech­nung.

Wem Östlunds Kritik an der herr­schenden Moral gefällt, der aber Östlands Sicht­weise auf die Kunst­szene bei ähnlicher Kritik mal ganz anders variiert sehen will, dem seien Noah Baumbachs ebenfalls in Cannnes gezeigte, aller­dings nur auf Netflix und nicht im Kino anlau­fenden Meye­ro­witz Stories ans Herz gelegt, die in ihrer fast selbst­ver­s­tänd­li­chen Leich­tig­keit einen kaum zu über­bie­tenden Kontrast zu Östlands Square darstellen. Denn da, wo bei Östland alles kühle gesell­schaft­liche Analyse, bittere Satire und Gedan­ken­spiel ist, wo Sprache und Verstehen selten zusam­men­kommen und Fami­li­en­struk­turen unwei­ger­lich erodieren, ist es bei Baumbach in seinen Meye­ro­witz Stories genau umgekehrt, wird das Kaputte zwar ebenfalls konsta­tiert, doch über arbeits­reiche Dialoge wieder zu einem Ganzen geformt, also dem Leben zugesehen, wie es sich selbst heilt statt dem Leben beim Sterben zuzusehen.

Komödie der politischen Correctness

Christian (Claes Bang) ist ein Kunst­ku­rator in Stockholm. Von Anfang an und gerade in der ersten Hälfte des Films wird er der Lächer­lich­keit preis­ge­geben. Wir sollen ihn, zumindest am Anfang nicht mögen. Er ist ein sozialer Hoch­stapler, ein absolut unau­then­ti­scher Mensch, der noch seine Spon­ta­n­eität insze­niert, etwa, in dem er in eine Rede einen »char­manten« Fehler einbaut. Erst mit der Zeit kommt er uns näher, schon weil wir viel­leicht doch in Christian auch uns selbst erkennen.
Der Film arbeitet mit lang ausge­spielten Szenen, die sich dann zu einem Portrait fügen. Man begleitet Christian durch ein paar Arbeits­tage. In präzisen, spre­chenden Momenten und Erleb­nissen folgt man ihm, seine Doppel­moral wird erkennbar und zugleich deren Erschüt­te­rung. So entsteht das Portrait eines lächer­li­chen Mannes.

The Square nutzt das Leben dieser Haupt­figur zu einer Abrech­nung mit unserer Gegenwart, einer schwarzen, manchmal auch süffi­santen Gesell­schafts­komödie, die die Illu­sionen von Demo­kratie, von Gerech­tig­keit, und das schlechte Gewissen des Mittel­stands, die poli­ti­sche Korrekt­heit und die Mora­li­sie­rung gesell­schaft­li­cher Verhält­nisse aufs Korn nimmt – und damit nicht nur Schweden meint, sondern unser aller Leben in den Wohl­stand­s­oasen des Westens.

Zum Beispiel wird eine öffent­liche Diskus­sion Chris­tians aus dem Publikum immer wieder gestört: »Shit!« »Cunt!!« »Garbadge!!!« »Show your boobs!« Dann meldet sich eine Dame: »Sorry! Mein Mann hat Tourette«. Es geht so weiter. Die Frage, warum man den Mann nicht einfach rauswirft, steht im Raum, aber sie wird nie gestellt. Statt­dessen pein­li­ches Schweigen. Alle sind gestört, aber alle blicken nur betreten zu Boden, lachen verlegen. Die Frau: »Die Atmo­s­phäre stressi ihn.« Dann steht einer auf: »Bitte zeigt mehr Toleranz!« Regisseur Ruben Östlund (Höhere Gewalt), der mit diesem Film im Mai die Golden Palme gewann, ironi­siert hier eine voll­kommen über­trie­bene Toleranz, einen sozialen Selbst­mord aus Angst vor dem Tode.
Bei einem Abend­essen für die reichen Förderer des Museums unter dem Motto »Welcome to the jungle.« tritt ein Perfor­mance-Künstler als Affe auf und wird den Gästen gegenüber gewalt­tätig. Die nehmen fast alles hin, bevor die Szene umschlägt. Östlund zeigt hier noch einmal eine Toleranz für »das Andere« aus Scham und Selbst­kritik, die in die Selbst­de­mü­ti­gung einer Gesell­schaft mündet, der direkt die Gleich­gül­tig­keit und Nivel­lie­rung aller Geltungs- und Vernunft­an­sprüche folgt.

Der Film heißt so, weil Christian gerade eine neue Ausstel­lung eröffnet, die »The Square« heißt. Darin geht es um einen freien Raum, in dem alles möglich und nichts gewiss ist – ein Sinnbild auch für die mögliche Sinnleere moderner Kunst. Ein weiterer Erzähl­faden ist also der der Kunst überhaupt und der modernen Kunst. Was ist Kunst? Ist etwas dadurch, dass es im Museum steht, Kunst? Eine alte klas­si­sche Frage. Die aber dadurch aktua­li­siert wird, dass wir hier immer wieder, wie als »running gag«, Publikum im Wahr­nehmen von Kunst­werken erleben, dass wir sehen, dass moderne Kunst nicht zum Betrachter spricht, und dass wir vom Film nahe­ge­legt bekommen über solche Beob­ach­tungen zu lachen. Hier wird manches etwas billig: Wenn der Museums-Koch bei einer Vernis­sage sein Buffet vorstellt und darüber redet, wie ein Künstler – ihm aber keiner zuhört. Oder wenn ein Reini­gungs­wagen die zum Kunstwerk aufgehäuften Kiesel­steine eines nachts wegsaugt, und dies zum Versi­che­rungs­fall wird.

Tief­sin­niger aber ist die Geschichte eines Clips für die sozialen Netzwerke, der zuerst das Ziel hatte, durch Provo­ka­tion Aufmerk­sam­keit zu gene­rieren – »at least we got people talking« – dann aber einem Kunst-Betrieb zum Opfer fällt, der sich längst an die Macht des Geldes verkauft hat. Christian ist verant­wort­lich und muss gehen, weil die Geldgeber das wollen – die offi­zi­elle Begrün­dung ist aber eine mora­li­sie­rende: Sein Clip habe die Gefühle der Öffent­lich­keit verletzt.
Das geht einher mit dem, was sich tagtäg­lich erleben lässt: Dem Ende der Kunst wie wir sie kennen. Kunst verliert ihren kritisch, irri­tie­rende Funktion und wird wieder zum stabi­li­sie­renden Innen­de­sign der herr­schenden Verhält­nisse. Gesell­schaft­lich erleben wir, auch das spricht Östlund im Schicksal seines Kurators an, das Ende der Meinungs­frei­heit.

Das Kino reflek­tiert immer die Lage der Gegenwart. Wie immer in schweren Zeiten, steigt derzeit die Konjunktur des Humors. Dieser Humor ist eher bissig, als gelassen, eher schwarz, als heiter. So wird man in diesem ungemein reich­hal­tigen, von Einfällen nur so strot­zenden Film Zeuge einer präzisen Infor­ma­tion über den Stand der Dinge. Über Unsi­cher­heit und Erschöp­fung unserer Welt, über die Notwen­dig­keit, uns neu zu erfinden.