Speer Goes to Hollywood

Israel 2020 · 103 min. · FSK: ab 12
Regie: Vanessa Lapa
Drehbuch: ,
Musik: Haim Frank Ilfman
Schnitt: Joelle Alexis
Vorhang auf zur Bühne der Selbstdarstellung
(Foto: Salzgeber)

Selbst-Mythos des guten Nazis

Albert Speers »Erinnerungen« waren mal ein Hollywood-Projekt. Vanessa Lapas Dokumentarfilm Speer Goes to Hollywood folgt recht ungefiltert Speers Ausführungen, in denen er sich selbst gut darstellt

1971 besucht der britische Dreh­buch­autor Andrew Birkin Albert Speer in Heidel­berg. Sie bespre­chen den Entwurf des Skripts zu einer Verfil­mung der zwei Jahre zuvor erschie­nenen »Erin­ne­rungen« des Archi­tekten und ehema­ligen NS-Rüstungs­mi­nis­ters, Paramount Pictures wollte die Memoiren verfilmen. Birkin zeichnet die Gespräche auf Tonband auf. Über 40 Stunden. Jetzt präsen­tiert die israe­li­sche Doku­men­tar­fil­merin Vanessa Lapa Ausschnitte aus diesen Unter­hal­tungen: Speer Goes to Hollywood. Da das Tonma­te­rial von sehr schlechter Qualität war, wurden die Stimmen von Synchron­spre­chern nach­ge­spro­chen. Dies lässt leise Zweifel auch an der Authen­ti­zität des Gehörten aufkommen. Zugleich passt dies jedoch zu der Darstel­lung eines Prot­ago­nisten, der stets darum bemüht ist, die Wahrheit so zu inter­pre­tieren, wie es für ihn am güns­tigsten ist.

Speer Goes to Hollywood bewegt sich auf einem schmalen Grat. Die Regis­seurin Vanessa Lapa unterlegt das Gesagte zwar mit zum Teil sehr eindrück­li­chen Bildern aus Archiv­ma­te­rial. Zugleich verzichtet sie jedoch auf jeden Kommentar zu dem in den nach­ge­spro­chenen Tonband­auf­zeich­nungen Gesagten. Gele­gent­lich einge­blen­dete Text­blöcke beinhalten lediglich reine Fakten zu den ange­spro­chenen Themen. Sie kommen­tieren nicht, liefern nur sachliche Infor­ma­tionen. Somit beschränkt sich der Großteil des im Film Geschil­derten auf die Ausfüh­rungen Albert Speers und auf die darauf bezogenen Fragen und gele­gent­li­chen Kommen­tare von Andrew Birkin. Dabei ist der damalige Dreh­buch­autor in spe äußerst zurück­hal­tend. Er ordnet sich Albert Speer stets unter und nur selten blitzt in seinen Fragen ein schwacher Zweifel an dessen Glaub­wür­dig­keit auf. Nur der für den geplanten Film ange­dachte Regisseur Carol Reed äußert sich in seinen Rück­spra­chen mit Birkin offen kritisch. Immer wieder spricht er davon, dass sich Speer mit seiner Darstel­lung der Ereig­nisse rein­zu­wa­schen versuche.

Albert Speer dominiert den Film. Gut aufgelegt und mit großer Eloquenz schildert er in Deutsch, Englisch und Fran­zö­sisch seine Sicht der Ereig­nisse. Dabei wirkt er zunächst keines­wegs unsym­pa­thisch. Frei weg bekennt er sich zu einer gene­rellen Schuld, die ihm als einem ehema­ligen hoch­ran­gigen NS-Vertreter anhafte. Doch sobald es konkreter wird, beginnt Speer, sich auf äußerst geschickte Art um ein wahres Schuld­be­kenntnis herum­zu­winden. Ja, auch er sei gegen die Juden gewesen. Doch ihn habe lediglich das groß­spu­rige Verhalten vieler neurei­cher Juden abge­stoßen. Von wirk­li­chen anti­se­mi­ti­schen Gefühlen könne bei ihm nicht die Rede sein. Ja, auch er war für den Krieg. Doch diese Tatsache sei lediglich ein Ausdruck seiner Aben­teu­er­lust gewesen. Ja, er habe davon gehört, dass die Konzen­tra­ti­ons­lager äußerst unan­ge­nehme Orte waren. Nein, er wusste nichts von der Vernich­tung der Juden und anderer von Hitler als Feinde betrach­teter Menschen. Ja, er hat Hitler mehrfach davon reden hören, dass dieser die Vernich­tung der Juden anstrebte. Nein, er wusste nicht, dass diese Vernich­tung tatsäch­lich bereits voll im Gange war.

Albert Speer brüstet sich sogar damit, dass ihm in der Hochphase seiner Zeit als NS-Rüstungs­mi­nister zwölf Millionen Zwangs­ar­beiter unter­stellt waren. Aber nicht nur das: Er prangert auch noch die unmensch­li­chen Bedin­gungen an, unter denen viele Menschen als Zwangs­ar­beiter abtrans­por­tiert wurden und teils bereits während der Fahrt im Zug starben. Doch das habe keines­wegs in seiner Verant­wor­tung gelegen, sondern in der des damaligen Gene­ral­be­voll­mäch­tigten für Arbeits­ein­sätze, Fritz Sauckel. Dieser sei ihm zwar als Rüstungs­mi­nister unter­stellt gewesen, doch Sauckel habe stets auf eigene Initia­tive hin gehandelt. Dem setzt Speer sogar noch einen oben drauf, indem er verschmitzt fest­stellt, sein Anwalt bei den Nürn­berger Prozessen habe ihm angeraten, dass er cleverer als Sauckel vorgehen müsse. Anschei­nend ist dem eloquenten Speer dies auch geglückt. Denn obwohl Sauckel seiner­seits betonte, nur im Auftrag Speers gehandelt zu haben, wurde er am Schluss zur Todes­strafe verur­teilt, während Speer mit einer zwan­zig­jäh­rigen Haft­strafe davonkam.

Die Rolle seines Lebens

Abendbrot und Völkermord: Vanessa Lapas abgründig-faszinierender Dokumentarfilm Speer Goes to Hollywood zeigt, wie der »Gentleman-Nazi« es fast noch zu einer Hollywood-Karriere gebracht hätte

»You would like to have a Sherry? It’s getting cold from this window...« – um sechs Uhr dreißig gibt es Sherry. Ab und zu ruft Frau Speer zum Essen. Dazwi­schen geht es um die Vergel­tungs­waffe V2, um Buchen­wald, den Krieg und die Deutschen. Und natürlich um Hitler...

Albert Speer erzählt. Und er erzählt gern; auf Englisch mit klarem deutschen Akzent, im weichen Kurpfälzer-Dialekt, immer auskunfts­freudig und sehr, sehr medi­en­be­wusst.
Eine Malerei solle der Film sein, keine Foto­grafie, sagt er. Möglichst weit entfernt von einem Doku­men­tar­film. Wenn den Machern ein Van-Gogh-Portrait gelänge, komme man der Wahrheit näher als mit einer Foto­grafie. Van Gogh – darunter ging es nicht für Albert Speer...

Er sei »eine zwei­fel­hafte Persön­lich­keit«, »a doubtful perso­na­lity«, sagt Speer einmal selbst recht früh in diesem Film. Er wusste besser als die meisten Zuhörer um die Abgründe und die Infamie, aber auch um das Faszi­nosum dessen, was er hier tat. Und tatsäch­lich kann man sich auch dieser Speer-Show schwer entziehen: Was man hier sieht und hört, ist so erstaun­lich wie faszi­nie­rend.

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Das Bild Albert Speers (1905-1981) in der Geschichte ist für jeden, der sich mit der schil­lernden Figur von »Hitlers Archi­tekten« und seit 1942 Reichs­rüs­tungs­mi­nister im Zweiten Weltkrieg beschäf­tigt, ein ambi­va­lentes. Nach seiner Entlas­sung aus dem alli­ierten Gefängnis in Berlin-Spandau im Jahr 1966 nach zwanzig Jahren Haft als in Nürnberg verur­teilter Haupt-Kriegs­ver­bre­cher wurde Albert Speer schnell zu einer Art Star-Nazi.

In zahl­rei­chen Inter­views bot er den West­deut­schen ein bisschen Zerknir­schung und viele Ausreden, ein wenig Dinge-beim-Namen-Nennen und viel Drum­her­um­reden, keine Lügen, aber eine Menge Halb­wahr­heit; das alles so wohl­do­siert und schlau, dass es keines­wegs alles falsch und gelogen und schwer angreifbar war.
Und auch dem Rest der Welt, vor allem der west­li­chen Welt des Kalten Kriegs bot Speer, was sie wollten, was opportun war: die zivi­li­sierte Seite des Nazismus. Speer machte das gut. Zwanzig Jahre lang hatte Speer Zeit, sich auf diese Rolle, die Rolle seines Lebens, vorzu­be­reiten.

Und bereits die Gene­ral­probe war ja ausge­zeichnet geglückt: 1945/46 bei den Nürn­berger Prozessen war Speer die rang­höchste unter den ange­klagten Nazi-Größen, die nicht zum Tod verur­teilt wurden. Das lag an Speers Prozess­taktik und noch mehr an klugem Kalkül: Er erkannte, dass die Alli­ierten, gerade, um harte Urteile fällen zu können, und gerade, um sich dem von inter­es­sierten Kreisen erhobenen Vorwurf der pauschalen »Sieger­justiz« zu entziehen, zumindest einen Fall brauchten, in dem sie Gnade zeigen konnten, in dem sie über­ra­schend diffe­ren­ziert und uner­wartet mild urteilen konnten. Albert Speer bot sich ihnen dar als derjenige, der dafür geeignet war, als ein reuiger und in Maßen gestän­diger Nazi-Täter.

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Speers drei Jahre nach der Haft­ent­las­sung 1969 veröf­fent­lichte »Erin­ne­rungen«, der erste von insgesamt drei Memoi­ren­bänden, wurden wie die späteren auch ein inter­na­tio­naler Best­seller – hier schien ein geläu­terter Nazi zu sprechen, ehrlich und schuld­be­wusst eigenes Versagen anzu­spre­chen, mit sich zu hadern, ein schlechtes Gewissen zu haben.

Zugleich war Albert Speer für die Öffent­lich­keit immer der »Gentleman-Nazi«: Kein brutaler Schlächter mit blutigen Wurst­fin­gern, sondern ein Schön­geist, ein Verführter, allen­falls ein Schreib­tisch­täter und Oppor­tu­nist, aber doch kein Bösewicht. Natürlich half dem Sohn aus groß­bür­ger­li­cher Mann­heimer Familie und studierten Archi­tekten, dass er über Niveau und Manieren verfügte, dass er fließend Englisch und Fran­zö­sisch sprach, dass er gut angezogen war und gut aussah.

Mit keinem Gerin­geren als mit Marlon Brando vergleicht ihn einmal Andrew Birkin in diesem Film. Birkin, selbst Spross einer schil­lernden Familie, Bruder des briti­schen Models Jane Birkin, war um 1970 der vorge­se­hene Dreh­buch­autor in jenem sagen­haften Projekt, von dem dieser Film erzählt: Keine Gerin­geren als Carol Reed, der großar­tige Regisseur von Der dritte Mann, und Autoren­film-Gigant Stanley Kubrick hatten sich zusam­men­getan, um Speers Memoiren für einen Hollywood-Spielfilm pass­ge­recht zuzu­be­reiten. Birkin verbrachte ein halbes Jahr als Gast in Speers Heidel­berger Villa und führte stun­den­lange Gespräche mit dem willigen Erzähler.

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Die Tonbände dieser Gespräche bilden die Grundlage zu diesem fesselnden Doku­men­tar­film der belgisch-israe­li­schen Filme­ma­cherin Vanessa Lapa, bekannt durch den Doku­men­tar­film Der Anstän­dige über eine zweite Nazi-Größe, den »Reichs­führer SS« Heinrich Himmler. Er fesselt nicht nur, weil hier Alltag und Abgrund, Abendbrot und Völker­mord ähnlich vermischt neben­ein­an­der­stehen wie bereits im Dritten Reich selbst, und nicht nur, weil Speer in diesen Gesprächen mitunter über­ra­schend offen ist, auch über Ängste und über Taktiken redet – aus welchen Gründen auch immer. Sondern weil er auch da, wo er nicht reden will, viel sagt. Weil seine Ausreden und Ausflüchte etwas verraten.

Lapas Montage spiegelt Speers Aussagen der Gespräche oft mit Ausschnitten aus dem Nürn­berger Prozess. Negativ steht allen­falls zu Buche, dass die Stimmen, die auf dem Origi­nal­band zu hören sind, für den Film von Schau­spie­lern nach­ge­spro­chen wurden. Das hatte Quali­täts­gründe, war technisch unver­meid­lich, bringt aber ein Element des Unau­then­ti­schen in einen Film, der durch sein Sujet mit Authen­ti­zität und dem Wahr­heits­an­spruch des Doku­men­tar­films ganz besonders sorg­fältig umgehen muss. Zugleich ist die Arbeit dieser Sprecher/Schau­spieler viel­leicht die aller­größte Leistung in diesem Film. Denn selbst für Tonex­perten sind Original und Nach­ah­mung auch dann so gut wie nicht zu unter­scheiden, wenn sie um den Unter­schied wissen. (Das habe ich selbst im Radio­studio über­prüfen können.)

Auf der visuellen Ebene liegt ein beson­derer Reiz dieses Real-Dramas über Geschichte, Schuld und Sühne, und beider ästhe­ti­scher Verwer­tung in ausge­zeich­neten, zum Teil selten zu sehenden Bildern.