| USA/F 2025 · 104 min. · FSK: ab 12 Regie: Eva Victor Drehbuch: Eva Victor Kamera: Mia Cioffi Henry Darsteller: Eva Victor, Naomi Ackie, Louis Cancelmi, Kelly McCormack, Lucas Hedges u.a. |
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| (Foto: DCM Film Distribution) | ||
Was verbergen diese Häuser? Wiederholt – das sind die eindringlichsten Bilder von Sorry, Baby – setzt Eva Victor Fassaden in Szene. So, als seien die Häuser Bollwerke in der Landschaft, deren Geschichten ausschnitthaft, nach und nach enthüllt werden. Immer wieder lädt der Film dazu ein, die Gemäuer zu betreten, etwas Zeit im Innern zu verbringen. An einem zentralen Wendepunkt bleibt man jedoch ausgesperrt. Etwas Schreckliches scheint dort drinnen zu passieren, aber für das Publikum wird nur das Vergehen der Zeit ins Bild gerückt. Das Haus hütet zunächst sein Geheimnis, ehe man in aller Schmerzhaftigkeit erzählt bekommt, was in der visuellen Lücke des Films geschehen ist.
Dabei beginnt alles so unscheinbar! Eva Victors Spielfilmdebüt, das auf dem Sundance Film Festival für sein Drehbuch ausgezeichnet wurde, lässt zwei Freundinnen wieder aufeinandertreffen. Lydie (Naomi Ackie) kommt aus New York, um die Literaturwissenschaftlerin Agnes (Eva Victor), ihre frühere Mitbewohnerin, in Neuengland zu besuchen. Beide begegnen sich in einer Phase des Übergangs. Lydie will mit ihrer Partnerin eine Familie gründen. Sie ist schwanger. Ein neuer Lebensabschnitt steht bevor. Agnes steckt derweil in einem beruflichen Dazwischen des akademischen Betriebs fest, und dann ist da noch dieses frühere Trauma, das sie immer noch beschäftigt und mit dem sie kaum abschließen kann.
Sorry, Baby wiegt das Publikum also zunächst in falscher Sicherheit. Wenn Lydie und Agnes einander aus ihrem Leben erzählen, über die Männerwelt und deren Stilblüten scherzen oder wenn Agnes’ Affäre mit ihrem Nachbarn (Lucas Hedges) plötzlich auffliegt, dann sind das amüsante Szenen eines Hangout-Films. Man verbringt gern Zeit mit den beiden Protagonistinnen, aber nach kurzer Zeit kippt das Ganze in seiner erzählerischen Ausrichtung. Nämlich dann, wenn man erfährt, was Agnes eigentlich widerfahren ist, und plötzlich setzt der Film zur Zeitreise an.
In fünf Kapitel ist der Film unterteilt und verschachtelt. Die Bezeichnungen dafür klingen zunächst ganz banal. Sie lauten etwa »The Year With The Baby«, »The Year With The Good Sandwich« oder »The Year With The Bad Thing«. The bad thing, was soll sich schon dahinter verbergen? Die Antwort folgt schnell. Sorry, Baby ist ein Film über sexuelle Gewalt und Übergriffigkeit, aber zuvorderst auch ein Film über das Sprechen genau darüber. Welche Worte wählt man wofür? Welche Worte wählen Betroffene, um über das Erlebte zu sprechen? Welche Auslassungen und Umschreibungen nehmen sie dafür vor? Aber auch: Wie sprechen andere, Unbeteiligte darüber?
Zwei der markantesten Sequenzen spielen sich unmittelbar nach der Tat ab. In der einen trägt Eva Victor, die ursprünglich aus der Comedy-Szene kommt, über Minuten hinweg den Hergang der Ereignisse in einer erschütternden Großaufnahme vor. Ihre Worte bringen das im Kopf zum Erscheinen, was der Film hinter verschlossener Tür im Unsichtbaren ließ. Überhaupt ist die Tür als Motiv und Metapher sehr präsent in diesem Film. In der anderen Sequenz wird Victors Figur von ihrer Freundin zum Arzt begleitet, um einen Test auf sexuell übertragbare Krankheiten vornehmen zu lassen. Und nach und nach beginnen die Freundinnen, sich über die Empathielosigkeit und die nüchterne Sachlichkeit der Worte des Arztes zu erheben und ihn damit zu konfrontieren.
In solchen Momenten zeigt sich der ganze melancholische Humor von Sorry, Baby, der das Tragikomische als Form in all seinen ambivalenten Gefühlslagen bestens beherrscht. Viele Filme haben sich schon daran versucht, von Opfern zu erzählen, die sich ihrer Rolle und ihrem inneren Schmerz verweigern, ihn überspielen wollen. Aber die Beschwerlichkeit des eigenen Heilungsprozesses und dessen Facetten so nach außen zu kehren und mit einer solchen Reife aufzufächern – da sticht Eva Victors Werk doch heraus.
Sorry, Baby ist ein Film, der weitgehend überraschungsarm und ästhetisch beliebig bleibt. Es ist nicht so, als würde das Drehbuch im Verlauf plötzlich noch einmal zu einer ganz neuen Dimension durchdringen. Das muss es aber vielleicht auch gar nicht. Victors Tragikomödie bleibt eng bei ihrer Protagonistin. Der Film zeigt eine Abfolge kleiner Momentaufnahmen und Zustandsbeschreibungen, die Agnes auf ihrem Weg durch unterschiedliche Institutionen und Herausforderungen prägen. Wie macht man nach einer so traumatischen Erfahrung im Berufs- und Privatleben weiter? Wie gestaltet sich der Alltag? Welches Zeit- und Lebensgefühl hängt damit zusammen? Was geschieht mit dem eigenen erotischen Begehren?
Das mäandert von Episode zu Episode, um schließlich sein ganzes emotionales Gewicht und seine ganze eigene Form von betrübter Hoffnung in einen herausragenden Monolog zu legen und der wird von diesem Film vermutlich übrig bleiben. Ein Monolog, der von einem Baby, noch unfähig zu sprechen, unerwidert bleibt. Aber manchmal genügt die reine Präsenz als Projektionsfläche, die eine ganz neue Form von Offenheit und Resonanz ermöglicht.