USA 2001 · 90 min. · FSK: ab 0 Regie: Andrew Adamson, Vicky Jenson Drehbuchvorlage: William Steig Drehbuch: Ted Elliott, Terry Rossio, Joe Stillman Musik: John Powell, Harry Gregson-Williams |
Hier ein Werbe-Vorschlag für Burger King: »McDonald’s ist böse! McDonald’s ist ein fieser Großkonzern, nur hinter Ihrem Geld her! Alles Einheitsgeschmack! Alles Rezepte von gestern! Nieder mit McDonald’s! Es lebe die Revolution – das Neue, Andere, Gewagte! Probieren Sie JETZT unseren Whopper mit Käse!«
Wenn der finanzielle Erfolg von Shrek in Amerika ein Indikator ist, dann dürfte Burger King auf die Tour bald den großen
Konkurrenten überflügelt haben. Jedenfalls ist das so ziemlich genau die Strategie, nach der Shrek funktioniert.
Dass der Dreamworks-Boss Jeffrey Katzenberg, einstiger Top-Manager bei Disney, mit diesem Film privaten Rachegelüsten fröhnt, ist mehr als deutlich und mittlerweile vielfach erörtert worden. Das alleine aber wäre nicht sonderlich interessant – steckte hinter der penetranten, fast schon zwanghaften Art, in der sich Shrek in seiner ersten halben Stunde in eindeutiger Opposition zu Disney positioniert nicht noch viel mehr, nämlich eine knallharte
Verkaufsstrategie.
Von der ersten Minute an ist Shrek voller Zitate und Anspielungen auf Disney-Animationsfilme, auf Disneyland – manchmal scharf am Rande eines Copyright-Prozesses vorbei. Vor allem der Klassiker Snow White and the Seven Dwarfs muss gleich mehrfach herhalten, von der Märchenbuch-Einleitung angefangen über den sprechenden Spiegel bis
zu einem Auftritt von Schneewittchen im Glassarg. Cinderella geht’s nicht anders, wobei das Cinderella-Schloss, das auch zum Wahrzeichen von Disneyland und zum Logo des Konzern wurde, in Shrek zur faschistoiden Festung mutiert. Es gibt (sehr gelungene) Witze über die Parkplätze in Disneyland (»You're parked in Lance-Lot«) und die Warteschlangen dortselbst; Pinocchio gibt ein Gastspiel, und selbst
auf weniger bekannte Kurzfilme aus den 1930ern wie Three Little Pigs wird angespielt.
Vor allem aber spart man nicht mit Seitenhieben auf vertraute Schemata der Disney-Filme – was gipfelt in einem Gesangsverbot: Als der Ogre Shrek (Mike Myers gibt ihn im Original mit dem selben herrlich künstlichen schottischen Akzent, den er schon in Austin Powers 2 erprobt hat) zusammen mit einem sprechenden Esel loszieht, um widerwillig zur Rettung einer Prinzessin zu schreiten und der Esel anhebt, den an dieser Stelle eigentlich unvermeidlichen ersten Song anzustimmen, gibt’s eins auf die Schnauze – Shrek darf kein Musical werden, denn Musicals sind out. (Was besonders schade ist, da die Disney-Filme bis vor kurzem noch der letzte Hort war, in dem die große Tradition amerikanischer Film-Musicals am Leben erhalten wurde.)
Stets geht es darum, Disney lächerlich zu machen, als verstaubt, zynisch, totalitär darzustellen. Und dabei zu zeigen, dass man selbst ach so viel gewagter, frischer, subversiver ist. Da wird sich mit dem Märchenbuch der Arsch abgewischt, heißt der Bösewicht Lord Faarquad, was ganz ähnlich klingt wie »fuckwad« – auf Amerikansich weder ein nettes noch jugendfreies Wort – und zu allem dudelt immer mal wieder Musik, die sich für Alternativ-Pop hält.
Und dennoch:
Nach anderthalb Stunden ist man dann trotzdem wieder bei »I thought I would be beautiful« – »But you ARE beautiful!« und die wahre Liebe – schmacht! – siegt.
Die Gewagtheit von Shrek ist eine durch und durch nur vorgetäuschte, ist Maske, hinter der sich ganz genau das selbe verbirgt, was der vorgeblich Feind Disney seit Jahr und Tag verkauft. Selbst Eddie Murphy gibt als sprechender Esel nichts anderes als ein Aufguss seiner Rolle aus Disneys Mulan (und wie dort wird man das Gefühl nicht ganz los, dass es eigentlich
auch nur ein Aufguss von Steppin Fetchit & Co. ist – das alte, rassistische Klischee vom Schwarzen als trotteligem Sidekick). Wo Shrek vorgibt, erwachsener zu sein, weniger auf Kinder zugeschnitten, ist er lediglich pubertärer als Disney – von der sophistication, die den großartigen ersten Dreamworks Computeranimationsfilm Antz ausgezeichnet hat, ist wenig zu spüren.
Wie denn auch anders – schließlich hat man es ja hier nicht mit ein paar Hackern zu tun, die gegen Microsoft zu Felde ziehen, sondern mit einem Konzern, der lediglich noch nicht genug Zeit und Resourcen hatte, die Welt so global-medial zu dominieren wie Disney das tut, der aber auf dem besten Weg dorthin ist.
Dabei bleibt Shrek besonders optisch weit hinter dem Ziel seines Spotts zurück. Technisch hat der Film zwar viel Eindrucksvolles zu bieten – um so mehr, je mehr man sich mit Computergrafik auskennt. Für sich betrachtet aber fehlt es dennoch weit, bis es vor allem die menschlichen Figuren zur echten Alternative gebracht haben zu entweder traditionellen Animationsverfahren oder realen Darstellern. Solange man sich bei Antz mit Insekten als Grundlage begnügt hatte, war der Grad an Menschlichkeit verblüffend, der ihnen eingehaucht wurde. Die menschlichen Figuren in Shrek aber sehen vor allem nach Plastik aus. Wie überhaupt das gesamte Design des Films mir ein eher unbefriedigender Kompromiss scheint aus »Naturalismus« und Animation – Shrek hat verdammt wenig Mut zur offensichtlichen Stilisierung und beraubt sich damit genau dem Mittel, das den Animationsfilm so expressiv machen kann. Von der künstlerischen Qualität, der Imagination und Meisterschaft sind es da Welten zu besonders den frühen Disney-Klassikern, auf die Shrek so gnadenlos einhackt: Pinocchio, Snow White, Bambi, Fantasia.
Als vielleicht größter Triumph der Computergrafiker bleibt da (nicht unähnlich Disneys wunderbarer Toy Story), dass die Figuren auf der Leinwand nunmehr fast genau so aussehen wie später die Merchandising-Figuren im Spielwarenladen.
Es geht nicht darum Shrek abzusprechen, dass er unterhaltsam ist, nicht darum zu behaupten, seine Gags wären nicht gut. Er ist es und sie sind es großteils. Wer nichts anderes im Kino sucht als gekonnt inszenierte Zerstreuung, wird sie hier allemal finden. Das Ärgerliche ist, wie unverfroren kalkuliert der Film seiner altbackenen, verlogenen Botschaft den Überzug scheinbarer Gewagtheit gibt, um sie besser an eine Generation verfüttern zu können, die Produkt ist einer durchironisierten Gesellschaft, der jeder Mut zur großen Geste, alles Wahrhaftige, alles (im guten Sinne) Pathetische suspekt ist. Beides ist nicht echt: Die Message, dass das Äußere nicht zählt, ist frecher Hohn in unserer Welt der Supermodels und globalisierten Norm-Ästhetik. Und das Freche, Subversive, Alternative, das Shrek vortäuscht, ist so authentisch wie einst die Ghetto-Erlebnisse von Vanilla Ice. Shrek ist letzlich nicht mehr als das konsequente, kalkulierte Resultat der Erkenntnis, dass die Kinder von heute wesentlich zynischer geworden sind.
Wer Subversion im Reich der Mainstream-Animation sucht, sollte da doch lieber wieder zu Disney greifen: Ich empfehle The Three Caballeros von 1945, denn der wirkt wirklich, als hätte man an den Disney-Zeichnern einen verfrühten Feldversuch von LSD durchgeführt.