Deutschland 2019 · 120 min. Regie: Stephan Geene Drehbuch: Stephan Geene Kamera: Volker Sattel Schnitt: Stephan Geene |
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Improvisation und Metafilm |
Manchmal sähe es so aus, als wäre er in den Film SIEBZEHN JAHR, BLONDES HAAR reingerubbelt worden, sagt die Gastgeberin zum Star des Abends. In einer Szene würde er beispielsweise als Mitfahrer auf der Ladefläche eines Traktors Gitarre spielen und asynchron ein Lied singen, aber sichtlich ein ganz anderes als die italienischen Bäuerinnen um ihn herum. Es sei doch damals ganz normal gewesen, dass die Filme nachsynchronisiert wurden, erwidert Shayne.
Mit SIEBZEHN JAHR, BLONDES HAAR von 1966 ist Ricky Shayne, der bis dahin nur in Italien ein Star war, auch bei uns bekannt geworden. Im italienischen Original heißt der Film viel treffender »La battaglia dei Mods« (Die Schlacht der Mods) und er erzählt die Geschichte eines Mods, der über eine Reise von Liverpool über Paris nach Italien seinen Vater und die Liebe findet. Zum Titel SIEBZEHN JAHR, BLONDES HAAR ist der Film womöglich über den deutschen Co-Produzenten Luggi Waldleitner gelangt, der vom gerade aufblühenden Udo-Jürgens-Starruhm etwas abschöpfen wollte und deshalb zwei Udo-Jürgens-Gesangsauftritte einbauen ließ, die mit dem Plot nichts zu tun hatten (hier wäre der Ausdruck »reingerubbelt« eigentlich passender).
Während Udo Jürgens’ Karriere fortan durch die Decke ging, blieb Ricky Shaynes Musiker-Laufbahn eher bruchstückhaft oder besser: unvollendet. Eine Zeitlang ist er von der Bravo kräftig gefeatured worden, mit Starschnitt und Exklusivinterviews, einmal sogar mit dem Bravo-Otto, um dann Mitte der 70er Jahre in der Versenkung zu verschwinden. »Shayne war anders«, schreibt Silvia Szymanski auf critic.de. »Mehr Dimensionen. Mehr Rebellion. Und mehr Dunkelheit. Man sah, er kam von ganz woanders her… Ich meine Soul, Rock’n’Roll und Beat; Haschisch, Feuer, Glut und Liebe.« Und dem Filmemacher Stephan Geene hat Ricky Shayne als Zehnjähriger etwas gegeben, was der Abenteuerspielplatz nicht zu bieten hatte. Von seinem größten Hit »Mamy Blue« war er »wie durchbohrt«.
Geene sammelte damals Artikel von Shayne, bastelte ein Fanbuch, vergaß ihn aber auch nach seinem Verschwinden schnell, nur als Computer-Passwort kehrte »Shayne« unbewusst wieder an die Oberfläche, oder soll man sagen: ins Überbewusstsein zurück. Vor ein paar Jahren suchte er den Kontakt zu Shayne, wollte seine Biographie aufarbeiten und einen Film mit ihm machen, der erstmal nicht zu finanzieren war. Als Hilfsprojekt entstand ein Theaterstück, eine »ironisch gebrochene Ricky-Shayne-Gala«, die dann auch Teil des Filmprojekts Shayne wurde, das er schließlich ohne Fördergelder verwirklicht hat.
Doch Shayne verweigert sich einer Aufarbeitung, er will nichts erzählen über seine Herkunft und seine Kindheit im Libanon, über sein Leben nach dem Karriereende. So ist dann aus dem Projekt eine Improvisation geworden, eine Art Metafilm, der sich an Ricky Shaynes Persona nur herantasten kann. Der Ort dieser Annähungsversuche sind die Foyerfluchten und Bühnenräume der ehemaligen Berliner Kongresshalle (»Haus der Kulturen der Welt«), und als Format wählt Geene einen »Mehrteiler«, bestehend aus sechs Episoden, die sich auf zwei Stunden addieren. Er unternimmt also gleichsam sechs Anläufe, sich seiner Figur zu nähern. Sechsmal sehen wir den gleichen Vorspann und sechsmal bekommt er seinen Protagonisten nicht zu fassen. Obgleich er etliche Film- und TV-Ausschnitte hernimmt und Shaynes Söhne Tarek und Imran als Mitwirkende gewinnen konnte. Die beiden sehen ihrem Vater unglaublich ähnlich und machen ganz lässig alles mit, was der Regisseur mit ihnen vorhat: Sie blättern in alten Bravo-Heften, zitieren Interview-Passagen und schlüpfen sogar in die Rolle des Vaters, konfrontieren ihn gleichsam mit sich selbst. Ricky Shayne (der kaum wiederzuerkennen ist mit seiner manierierten Barttracht, einer seltsamen Schwimmbrille und dem großen Cape) reagiert nervös, weiß nicht, welche Figur er überhaupt darstellen soll, und rutscht, wenn er doch etwas über seine Vergangenheit erzählt, in einen Rechtfertigungsmodus. »Ein müder Zauberer« (Szymanski), der sich in seiner Maske doch nicht so ganz wohlfühlt. Entspannter wird er, als sich im vierten Teil die Performerin Claudia Basrawi dazugesellt, die ebenfalls aus dem Libanon kommt und ihm wenigstens ein paar Geschichten entlocken kann. Und von ihr stammt auch (in einer Probeszene mit Sohn Tarek) die ganz oben zitierte vielsagende Beobachtung.
Shayne läuft am Sonntag um 20:30 Uhr im Werkstattkino im Rahmen des Underdox-Festivals. Stephan Geene und seine Mitarbeiterin Caroline Kirberg haben ihr Kommen zugesagt.