Sep Ruf – Architekt der Moderne

Deutschland 2024 · 100 min. · FSK: ab 6
Regie: Johann Betz
Drehbuch:
Kamera: Mathias Pilmes, Bene Zirnbauer
Schnitt: Igor Patalas
Sep Ruf
Eine visuelle Entdeckungsreise...
(Foto: Alpenrepublik)

Der versöhnliche Modernist

Johannes Betz' Dokumentarfilm Sep Ruf – Architekt der Moderne

Easy Listening-Musik erklingt, und das passt gut, ja. Es ist eine Leich­tig­keit, eine Hellig­keit, ein Schwung in diesen Bildern. Es sind die Bilder aus einer verlo­renen Zeit. Einer Zeit, in der die Deutschen Durch­sicht wollten, Hellig­keit, Trans­pa­renz, Demo­kratie. Die Archi­tektur dazu bestand aus viel Glas, aus klaren Formen, schwung­vollen, kaum sicht­baren Über­gängen von Innen und Außen.
Sie stammt nicht zuletzt von Sep Ruf, der eigent­lich Franz Joseph Ruf hieß, 1908 geboren wurde und 1982 gestorben ist. Ruf war ein moderner Architekt, der mit Licht, Glas und klaren Formen die frühe Bundes­re­pu­blik prägte.
Der Doku­men­tar­film Sep Ruf – Architekt der Moderne erzählt vom stillen Baumeister der jungen Bundes­re­pu­blik. Eine visuelle Reise durch Nach­kriegs­ar­chi­tektur, Demo­kratie-Ideale – und durch das elegante Erbe eines fast Verges­senen.

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Eine Münchner Geschichte. Denn Ruf stammte aus der baye­ri­schen Haupt­stadt, und er hat vor allem diese geprägt in jenen Jahren, als das Wünschen noch geholfen hat und München »die heimliche Haupt­stadt« der Bundes­re­pu­blik genannt wurde.

Die richtige Haupt­stadt, genau­ge­nommen nur die provi­so­ri­sche Bundes­haupt­stadt, hieß Bonn. Dort baute Ruf zum Beispiel irgend­wann Anfang der 60er Jahre den neuen Kanz­ler­bun­galow. Ein Auftrag von Ludwig Erhard, dem Nach­folger Adenauers, der, als die Planung begann, noch Bundes­wirt­schafts­mi­nister war. Dieser Bungalow war Erhards Vision einer neuen und demo­kra­ti­schen, modernen Archi­tektur, die die junge Bundes­re­pu­blik reprä­sen­tieren sollte.

Konrad Adenauer, der Altkanzler, hatte für diese Vision nur billigen Spott übrig: »Ich würde mich weigern, da rein­zu­ziehen. Ich fürchte, der brennt nicht mal. Da kann kein Mensch drin wohnen. Ich weiß nicht, welcher Architekt den Bungalow gebaut hat, aber er verdient 10 Jahre.«

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»Die Nach­kriegs­zeit hat sich auch schwer­getan mit der Moderne. Adenauer ist ein typisches Beispiel für diese Meinung, dass moderne Archi­tektur irgendwie etwas Uner­freu­li­ches ist, etwas Kaltes hat – was bei Sep Ruf ja einfach nicht stimmt. Dieser Hass auf moderne Archi­tektur ist bekannt, der hat die Moderne immer begleitet, wird aber Sep Ruf nicht gerecht, denn er hat ja sozusagen das Gegenteil gemacht...«

So Gerhard Matzig, der Archi­tek­tur­kri­tiker der Süddeut­schen Zeitung. Matzig ist ein Herz dieses Films in seinen sehr ange­nehmen, klaren und zugleich warmen Erklärungen: »Für mich war Sep Ruf ein Modernist, der ein versöhn­li­cher Modernist war.«
Begriffe wie Gemüt­lich­keit und Schönheit seien in seinem Denken überhaupt nicht verpönt gewesen: »Er hat Räume von großer Aufent­halts­qua­lität geschaffen.«

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Ruf hat die Nach­kriegs­ar­chi­tektur in Deutsch­land maßgeb­lich geprägt. Dieser Pionier der Moderne entwarf mit klaren, licht­durch­flu­teten Flach­dach­häu­sern auch ein neues modernes Wohn­ver­s­tändnis.
Den Neubau der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg prägte er mit einem modernen Campus­kon­zept, mit Pavillons und Glas­fas­saden; bei der Welt­aus­stel­lung 1958 in Brüssel war er gemeinsam mit Egon Eiermann Co-Architekt des Deutschen Pavillons. 1963 dann der erwähnte Kanz­ler­bun­galow in Bonn, der mit seiner trans­pa­renten, eleganten Bauweise ein Symbol für Offenheit und Demo­kratie wurde.

In den 50er und 60er Jahren war alles neu, hell, klar und es ging schnell. Die Errich­tung der großen neuen Botschaft der USA in Bonn dauerte nur ein gutes Jahr – und doch wurde der Verwal­tungsbau sogar zum Gegen­stand von Literatur. Der Bau erschien Wolfgang Koeppen in seinem Bonn-Roman »Das Treibhaus« als »der Palast eines mächtigen Zauberers ... ein Pfahlbau im Wald, eine nüchterne Konstruk­tion aus Beton, Stahl und Glas«

Mit alldem hat Ruf die Wahr­neh­mung Deutsch­lands in der Nach­kriegs­ar­chi­tektur entschei­dend geprägt.

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Vor allem aber hat er München verändert: Er gab München ein leich­teres, lässi­geres Gesicht, schenkte ihm futu­ris­ti­sche Vorstel­lungen von einem anderen, schöneren Leben. Jeder Münchner kennt die Maxburg mit dem neuen Justiz­zen­trum mitten in der Stadt, mit seiner Dach­ter­rasse. Es lohnt, sie noch einmal genauer, neugierig anzu­schauen, so als hätte man sie noch nie gesehen.
Oder das wunder­bare Wohnhaus in der Türken­straße/ Ecke There­si­en­straße.
Oder das US-Konsulat am Engli­schen Garten, die Kirche St. Johann von Capistran in Bogen­hausen oder das Gebäude für das Max-Planck-Institut. Den Auftrag erhielt er dank der Vermitt­lung durch den damaligen Leiter Werner Heisen­berg, der Ruf als einzigen Archi­tekten für die Aufgabe akzep­tierte.

Schließ­lich das Bogen­hau­sener »Haus Schwend«, der aller­erste Flach­dachbau in München und der einzige vor dem Zweiten Weltkrieg – das Gebäude wurde leider 1998 abge­rissen und existiert nur noch als Modell und Photo­gra­phie.

Der Doku­men­tar­film Sep Ruf – Architekt der Moderne von Johannes Betz nimmt uns mit auf eine visuelle Reise durch das Werk eines der bedeu­tendsten deutschen Archi­tekten des 20. Jahr­hun­derts. Betz, der an der Hoch­schule München auch Archi­tek­tur­film lehrt, vereint oft histo­ri­sche Schwarz­weiß­fotos und -Film­auf­nahmen mit farbigen Bildern aus der Gegenwart zu eleganten Split Screen-Kombi­na­tionen, deren Kacheln sich gele­gent­lich auch lebendig verschieben.
Dies ist ein atmo­sphäri­scher, viel­schich­tiger Film mit vielen Inter­views mit Zeit­zeugen und Schülern des Archi­tekten.

Sep Ruf gehört zu den heute verges­senen Groß­meis­tern der Moderne – auch weil er bescheiden war und wenig Inter­views gab. Nur die Spre­cherin des Films überzeugt nicht. Sie klingt eher wie eine lispelnde KI.

Ansonsten gelingt es diesem Film, die Zuschauer auf eine visuelle Entde­ckungs­reise durch Rufs Archi­tektur mitzu­nehmen – ein cine­philes Erlebnis für alle, die sich für Archi­tektur, Zeit­ge­schichte und visuell eindrucks­volles Kino begeis­tern.

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Dieser Film ist insofern zwar, wie gesagt, eine Münchner Geschichte. Er ist aber auch viel mehr: Er ist die Erin­ne­rung an eine Zeit, als Deutsch­land für eine gar nicht so kurze Weile ein anderes, besseres Land war. An eine Zeit, als die Bundes­haupt­stadt Bonn hieß und nicht Berlin und viel­leicht die Dinge wirklich in eine etwas bessere Richtung gingen als gegen­wärtig.