The Secret Agent

O Agente Secreto

BR/F/NL/D 2025 · 158 min.
Regie: Kleber Mendonça Filho
Drehbuch:
Kamera: Evgenia Alexandrova
Darsteller: Wagner Moura, Maria Fernanda Cândido, Gabriel Leone, Udo Kier, Alice Carvalho u.a.
The Secret Agent
Keine moralische Auflösung...
(Foto: Port-au-Prince / Central Film)

Politik der Stille

Kleber Mendonça Filho transformiert die Diktaturjahre Brasiliens in ein stilles Echo der Gegenwart – ein Film über die Vererbung von Angst, den Preis des Widerstands und die Notwendigkeit, das Vergessen zu verlernen

»Alle Idea­li­sie­rung macht das Leben ärmer. Es zu verschö­nern ist, ihm seinen Charakter der Komple­xität zu nehmen – es ist, es zu zerstören.«
– Joseph Conrad, Der Geheim­agent

Es beginnt mit einem Geräusch. Kein Schuss, kein Aufschrei, kein drama­ti­scher Auftakt – sondern das leise Klicken einer Kassette. Die Studentin eines Geschichts­pro­jekts sitzt in einem Raum voller Bänder, die Stimmen aus dem Jahr 1977 speichern. Auf ihnen: Fragmente, Proto­kolle, heimliche Mitschnitte aus einer Zeit, als Brasilien von der Mili­tär­dik­tatur beherrscht wurde. Diese Rahmen­hand­lung, unscheinbar und zugleich von archäo­lo­gi­scher Spannung durch­drungen, ist der Ausgangs­punkt für Kleber Mendonça Filhos The Secret Agent – einen Film, der weniger erzählt als erinnert, weniger abbildet als rekon­stru­iert, was poli­ti­sche Gewalt im Gedächtnis einer Nation hinter­lässt.

Der Film, in Cannes mit Preisen für Regie, Haupt­dar­steller (Wagner Moura als Marcelo) und als bester Film der Kriti­ker­ver­ei­ni­gung FIPRESCI ausge­zeichnet, ist dabei kein klas­si­scher Polit­thriller, sondern eine stille, formal strenge Medi­ta­tion über Erin­ne­rung, Schuld und die Vererbung von Angst. Mendonça Filho, dessen Retratos fantasmas (2023) bereits das Verhältnis zwischen urbaner Geschichte und persön­li­cher Erin­ne­rung verhan­delte, setzt hier konse­quent fort, was in jenem Doku­men­tar­film nur ange­deutet war: die Idee, dass Geschichte immer in den Räumen weiter­lebt, die sie einst geprägt hat.

So ist Recife nicht nur Schau­platz, sondern Subjekt dieses Films – eine Stadt, die flimmert wie eine Erin­ne­rung an sich selbst. Das Kino von Marcelos Schwie­ger­vater Marcelo, in dem einst Der weiße Hai lief und Marcelos Sohn nach­haltig trau­ma­ti­sierte, ist nun Ort des Schwei­gens, es ist zu einem Verwal­tungs­ge­bäude geworden. Marcelo, von Wagner Moura mit einer tran­szen­den­talen Mischung aus Zurück­hal­tung und latenter Verzweif­lung verkör­pert, erlebt es 1977 wie sein Sohn noch als Kino, das über Spiel­bergs Film mit der poli­ti­schen Gegenwart verknüpft wird, weil in einem gerade am Strand ange­spülten weißen Hai ein abge­ris­senes Menschen­bein gefunden wird, was wiederum darauf verweist, dass das Opfer einer der üblichen »Entsor­gungs­ak­tionen« von poli­ti­schen Opfern des Regimes entstammt, auch wenn das die korrupte Polizei vor Ort abstreitet.

Wie in Anto­nionis Beruf: Reporter (1975) entfaltet sich auch The Secret Agent als Versuch, Identität und Wider­stand nicht durch Handlung, sondern durch Wahr­neh­mung zu begreifen. Das Poli­ti­sche erscheint hier nicht in Gestalt von Parolen oder Gewalt­ex­zessen, sondern als ein feines Rauschen im Hinter­grund, das alle Figuren durch­dringt. Mouras Figur, ein Mann, der wegen »subver­siver Akti­vi­täten« verfolgt wird, ist weniger Held als Reso­nanz­raum – jemand, in dem sich die kollek­tive Erfahrung von Miss­trauen und Angst sedi­men­tiert hat. Und dann sind da noch all die anderen Figuren, Flücht­linge aus Angola, die alte Haus­be­sit­zerin und die Frau, mit der Marcelo so etwas wie eine Liaison beginnt. Alles ist neben­säch­lich, alles ist bedeutend.

Die Kamera bleibt meist auf Distanz, beob­achtet, verharrt. Mendonça Filho inter­es­siert sich nicht für Spannung im klas­si­schen Sinn, sondern für die allmäh­liche Verdich­tung von Atmo­sphäre. Jede Einstel­lung, jedes Zwischen­geräusch trägt Spuren von Geschichte. Diese filmische Lang­sam­keit, diese gedämpfte Form der Insze­nie­rung lässt The Secret Agent wie ein Werk erscheinen, das die Stille selbst zum poli­ti­schen Statement erhebt. In ihr liegt die ganze Gewalt des Verschwei­gens.

Doch das eigent­lich Vers­tö­rende – und darin liegt die eigent­liche Kraft des Films – ist die Durch­läs­sig­keit zwischen Vergan­gen­heit und Gegenwart. Die Kassetten aus dem Jahr 1977 werden von Studenten unserer Gegenwart gehört und tran­skri­biert. Das Analoge, das vorsint­flut­liche Medium vor der digitalen Über­flu­tung, wird zum Träger einer anderen Zeit­wahr­neh­mung. Der Film spielt mit dieser Über­blen­dung: Die Vergan­gen­heit dringt in die Gegenwart ein wie eine undeut­liche Frequenz, die man nicht abstellen, nicht kontrol­lieren kann.

In der Beziehung zwischen Vater und Sohn verdichtet sich dieser trans­ge­ne­ra­tio­nale Blick: Der Tod des einen, die Nicht-Erin­ne­rung des anderen, beides bleibt untrennbar verwoben. Mendonça Filho erzählt davon aller­dings ausschließ­lich in der Gegenwart – so als wäre die Vergan­gen­heit nur noch als Echo zu fassen, als Nachhall in den Körpern derer, die weiter­leben müssen.

Dass The Secret Agent trotz seiner histo­ri­schen Verortung unüber­sehbar vom heutigen Brasilien erzählt, versteht sich dabei fast von selbst. Nach den Jahren der Bolsonaro-Regierung, in denen auto­ri­täre Rhetorik und poli­ti­sche Repres­sion wieder salon­fähig wurden, liest sich der Film wie ein stiller Kommentar zur Gegenwart. Wie Walter Salles in seinem ebenfalls in den 1970ern ange­sie­delten, Oscar-gekrönten Drama Für immer hier zeichnet auch Mendonça Filho Paral­lelen zwischen Vergan­gen­heit und Gegenwart, zwischen der Diktatur von damals und den demo­kra­ti­schen Erosi­ons­er­schei­nungen von heute. Je länger man in diese 158, nie zu langen Minuten eintaucht, desto deut­li­cher zeigt sich diese unheim­liche Aktua­lität. Die Bedrohung, die schlei­chende Einschrän­kung von Hand­lungs­spiel­räumen, die subtile Angst – sie alle sind wieder da, wenn auch in anderer Gestalt. In diesem Sinn ist The Secret Agent kein nost­al­gi­sches Werk, sondern ein Weckruf, ein Spiegel, der uns die eigene Gegenwart als Déjà-Vu vorhält.

Der Film endet mit einer Frage, nicht mit einer Auflösung: Verdrängen oder nicht verdrängen? Damit schließt sich der Kreis zum Anfang. Die Kassetten laufen weiter, die Stimmen sprechen, aber keiner weiß mehr, wer sie einst aufge­nommen hat. Diese Offenheit verstärkt die an sich angelegte konse­quente Ambi­guität des Films noch einmal. Mendonça Filho bietet keine Katharsis, keine mora­li­sche Auflösung – nur das leise Bewusst­sein, dass jede Diktatur, jede Gewalt irgend­wann vergeht, aber Narben hinter­lässt, die sich über Gene­ra­tionen fort­setzen.

So wie das Ende voller ambi­va­lenter Fragen steht, öffnet auch der Titel ungeahnte Asso­zia­ti­ons­räume, ist er viel­leicht alles andere als eine deskrip­tive Leer­stelle, erinnert er doch an Joseph Conrads gleich­na­migen Roman aus dem Jahr 1907 – jenen düsteren, fast klini­schen Blick auf das Verhältnis zwischen Ideologie, Gewalt und indi­vi­du­eller Ohnmacht. Doch während Conrads London in seinem The Secret Agent ein Labyrinth aus Doppel­moral und poli­ti­scher Heuchelei ist, verlegt Mendonça Filho diesen mora­li­schen Nebel in die gleißende Hitze Brasi­liens. Beide Werke teilen die Skepsis gegenüber jeder Form von Heroi­sie­rung. »Alle Idea­li­sie­rung macht das Leben ärmer. Es zu verschö­nern ist, ihm seinen Charakter der Komple­xität zu nehmen – es ist, es zu zerstören«, schreibt Conrad. Genau das scheint der Film filmisch einzu­lösen: Indem er auf Glori­fi­zie­rung verzichtet, bewahrt er die Mehr­deu­tig­keit seiner Figuren und Situa­tionen. Nichts wird verein­facht, nichts moralisch geglättet. Mendonça Filho zeigt Wider­stand nicht als Akt der Reinheit, sondern als ambi­va­lente, oft schmerz­hafte Bewegung – ein Überleben inmitten wider­sprüch­li­cher Motive. So wird O Agente Secreto auch zu einem Kommentar über das Kino selbst: dass es, will es wahr bleiben, der Versu­chung wider­stehen muss, das Leben zu verschö­nern.

The Secret Agent ist damit auch kein Film über Helden oder Märtyrer, sondern über das fragile Gedächtnis eines Landes, das Gedächtnis eines jeden von uns. Über Menschen, die gelernt haben, in der »Zwischen­zeit« zu leben – zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen Schweigen und Erin­ne­rung. Es ist ein Film, der den Blick schärft, indem er ihn verlang­samt. Ein Film, der von Vergan­gen­heit spricht, um die Gegenwart zu retten. Und viel­leicht ist genau das, in Zeiten globaler Rückfälle in auto­ri­täre Muster, das Poli­tischste, was das Kino heute tun kann.

Kadaver, Killer, Karneval

Haie in der Hitze: Kleber Mendonça Filhos fiebriger Thriller »The Secret Agent«

»Gegen die Iden­ti­täts­po­litik von rechts setzt ›The Secret Agent‹ auf eine Hete­ro­ge­nität, die im Karneval ihren höchsten Ausdruck findet.«
– Bert Rebhandl, FAS

In der ersten Szene von The Secret Agent liegt ein toter Mann, bedeckt nur mit Zeitungs­bün­deln, an einer einsamen Tank­stelle mitten auf dem Land, irgendwo im brasi­lia­ni­schen Nordosten von Pernam­buco. Es ist gerade Karneval, das Jahr ist 1977. Brasilien ist eine brutale Mili­tär­dik­tatur, die sich unter der Führung von General Ernesto Geisel ein ziviles Antlitz gibt, und die Polizei ist zu sehr damit beschäf­tigt, sich bestechen zu lassen, als dass sie bisher Zeit gehabt hätte, die Leiche zu bergen.

Ein Mann namens Marcelo, Anfang 40, der sich als der stille Held dieser Geschichte entpuppen wird, will mit seinem kleinen knall­gelben VW Käfer tanken: die Polizei kommt dazu und kassiert Schutz­geld. Alle agieren sehr lakonisch, die Spannung kommt aus den Blicken, und ein stilles, ange­spanntes Unbehagen dominiert. Diese Eröff­nungs­szene, und die Art, wie sie gefilmt ist – ruhig, oft aus Unter­sicht, über die Leiche hinweg, die alle betont igno­rieren, außer die Krähen oder die Hunde fangen an, daran zu knabbern – erinnert an einen Italo-Western von Sergio Leone. Die Bedrohung steht in der Luft wie die Hitze und dort wird sie bleiben. Die schwer greifbare, latent bedroh­liche Stimmung der Anfangs­mi­nuten wird bis zum Ende über dem Film liegen.

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Diese Eröff­nungs­szene bündelt zentrale Züge der brasi­lia­ni­schen Realität: Korrup­tion, die gren­zen­lose Poli­zei­willkür und die Bana­li­sie­rung von Gewalt.

Dann fährt Marcelo (schön, einneh­mend-konzen­triert und gelassen-zurück­ge­nommen gespielt von Wagner Moura) weiter in die Hafen­me­tro­pole Recife; in den alten Programm­kinos der Stadt – die Regisseur Kleber Mendonça Filho bereits in seinem vorhe­rigen (Doku­mentar-)Film Retratos fantasmas (2023) beschwor – läuft gerade Jaws, und die Zeitungs­schlag­zeilen erzählen von einem Riesenhai, in dessen Magen ein mensch­li­ches Bein gefunden wurde. Das Lustige und das Schreck­liche, Groteske und Ernst liegen hier immer sehr nahe beiein­ander.

Die Siebziger Jahre erstehen in Form stimmiger Elemente wie des Leinwand-Scope-Formats und der Farb­ge­bung wieder auf, die Mili­tär­dik­tatur in Form allge­meiner, ständig präsenter Korrup­tion, Käuf­lich­keit und Gewalt. Mehrfach nähert sich die Kamera des Regis­seurs auch dem Porträt des deutschs­täm­migen Diktators Geisel, das in den Amts­zim­mern der offi­zi­ellen Behörden hängt.

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Wir erfahren, dass Marcelo (der eigent­lich Armando heißt), unter­ge­taucht ist und von Auftrags­mör­dern verfolgt wird, und sich darum auch in Recife mithilfe stiller Helfer versteckt. Er wartet auf einen neuen Pass, um das Land zu verlassen. Aber er will nicht ohne seinen kleinen Sohn gehen, der hier bei den Großel­tern lebt und von der Gefahr nichts ahnt...

Im Laufe des Films werden die Umstände dieses Unter­tau­chens von Marcelo klarer: Er ist Wissen­schaftler und Univer­si­täts­be­amter und wollte sich den Vorgaben eines korrupten Unter­nehmer-Poli­ti­kers nicht fügen. Der Konzern will die Patent­rechte der öffent­lich finan­zierten wissen­schaft­li­chen Forschung über­nehmen. Der Name dieses Unter­neh­mens erinnert wohl nicht zufällig an den Groß­kon­zern Petrobras, dessen Präsident wiederum einst Geisel selbst gewesen ist.

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Der brasi­lia­ni­sche Regisseur Kleber Mendonça Filho zeigt uns seine Heimat­stadt Recife – alle Filme Mendonças spielen hier – als eine Stadt im Ausnah­me­zu­stand des Karnevals, dem es nur mäßig gelingt, den tatsäch­li­chen Schrecken zu bannen. Denn im Inneren der Gesell­schaft wirkt die eiserne Hand der Diktatur: Iden­ti­täten werden umge­schrieben, Korrup­tion herrscht in den Macht­struk­turen, und eine denk­wür­dige alte Spanien-Kämpferin, die von sich sagt, sie sei »zuerst Kommu­nistin und dann Anar­chistin gewesen – oder umgekehrt«, weil sie sich nicht mehr genau erinnern könne, hat ihr Zuhause in eine Zuflucht für Verfolgte verwan­delt. Die Geister der Vergan­gen­heit nisten sich dort ein.
Im Hinter­grund dieser Geschichte stehen die zwei Seiten der brasi­lia­ni­schen, wie vieler latein­ame­ri­ka­ni­scher Gesell­schaften: Das alte feste Macht­ge­füge aus Kapital, Kirche und Konser­va­ti­vismus, als dessen will­fäh­rige Diener Militär und Polizei fungieren und dessen Herren nach ökono­mi­schem Profit um jeden Preis streben, während ihre Killer sich von ihnen zu Dumping­preisen anheuern lassen. Und auf der anderen Seite die Oppo­si­tion, in deren selbst­ver­s­tänd­li­cher konspi­ra­tiver Kompli­zen­schaft Diver­sität und Dissidenz Hand in Hand gehen.

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Der Film­ver­weise gibt es viele in diesem Film, deutliche wie zarte: In einem Kino der Stadt werden Double Features mit Werken von John Carpenter und Brian De Palma, aus Das Omen und Jaws gezeigt. Peter Bradshaw, der Kritiker des Guardian, fühlte sich bei der Premiere bei den Film­fest­spielen in Cannes, wo The Secret Agent im Mai eine Silberne Palme gewann, außer an Sergio Leone auch an Anto­nionis Beruf: Reporter, Quentin Tarantino, Fernando Meirelles und Alfonso Cuaróns Roma erinnert.

Mit wenigen Elementen entfaltet Mendonça einen eigen­wil­ligen poli­ti­schen Thriller, der die Vergan­gen­heit seines Landes durch verschie­dene Schichten neu beleuchtet, aus einer Haltung heraus, in der zahl­reiche Elemente der Populär­kultur, vor allem der B-Movies, eine zentrale Rolle spielen. Secret Agent ist – wie zuvor Aquarius (2016) oder Bacurau (2019) – eine Parabel über die Wunden Brasi­liens.

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Marcelo ist ein Mensch, der seine unmit­tel­bare Vergan­gen­heit hinter sich lassen will, vor ihr flieht und zugleich versucht, eine noch weiter zurück­lie­gende Vergan­gen­heit, das Schicksal seiner Mutter, zu erfor­schen. Während seiner Flucht und Suche begegnet er einer Reihe anderer Personen, die aus verschie­densten Gründen vor poli­ti­scher und ökono­mi­scher Verfol­gung unter­ge­taucht sind. Dazu kommt eine kleine Rahmen­hand­lung, in der eine Univer­si­täts­for­scherin in unserer Gegenwart mit Hilfe von Doku­menten und Zeitungen das Geschehen von damals rekon­stru­iert.

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Gleich­zeitig liefert dieser Film ein leben­diges und facet­ten­rei­ches Porträt Brasi­liens jener Zeit – mit seinen Dissi­denten, Bettlern und Mordbuben, Zeitungen und Kinos, chao­ti­schen Behörden, Cafés und Tele­fon­zellen, Auto­fried­höfen und öffent­li­chen Cruising-Parks.
Eine schöne Neben­rolle hat auch der Deutsche Udo Kier, Stamm­schau­spieler Mendonças, der hier einen schil­lernden deutschen Emigranten, den Schneider Hans spielt, der in einer beson­deren Szene aus eigener histo­ri­scher Erfahrung die Dummheit des Bösen bloss­stellt. Denn diese rechten Schergen halten ihn in ihrer Borniert­heit für einen alten Ostfront­krieger der Wehrmacht – und ahnen nicht, dass es sich in Wahrheit um einen jüdischen Über­le­benden handelt.

Die Vergan­gen­heit hat sich nicht nur hier in einen Pulp-Albtraum verwan­delt, eine verschwom­mene, kitschige Erin­ne­rung. Auch das alte Kino existiert nicht mehr – es wurde durch eine Blutbank ersetzt.

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Mendonça ruft die Verlet­zungen der Vergan­gen­heit ins Gedächtnis, um die darun­ter­lie­genden Wunden unserer Gegenwart zu verstehen. Sein Kino ist frag­men­ta­risch, sprung­haft, »unrein«, rauh, dem »guten schlechten Geschmack« unbedingt verpflichtet – auch um eine klare Gegen­po­si­tion zur akade­mi­schen Haltung von Für immer hier von Walter Salles einzu­nehmen. Beide Filme zeigen die Vielfalt und Stärke des brasi­lia­ni­schen Gegen­warts­kinos – aber es ist auch voller tiefen Gefühls, sinnlich, erfüllt von Liebe, sogar der perversen Liebe zu den Killern, die das Morden zur hedo­nis­ti­schen Kunst gemacht haben.

The Secret Agent ist eine span­nungs­ge­la­dene Erzählung, in der am Ende – trotz sozialer Todes­triebe und schmerz­haften Grau­sam­keiten der poli­ti­schen Geschichte – immer Humor, Lebens­lust und Liebe siegen.