Deutschland 2000 · 99 min. · FSK: ab 12 Regie: Marco Petry Drehbuch: Marco Petry, Stefan Wood Kamera: Axel Block Darsteller: Daniel Brühl, Jasmin Schwiers, Niels Bruno Schmidt, Mina Tander u.a. |
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Jeder ging zur Schule. Und jeder kennt die Melancholien der Erinnerung, für die das Kino geschaffen ist, wie kein zweites Medium. Irgendwo zwischen Feuerzangenbowle und American Graffiti landet man da am Ende immer, wenn es gut gelaufen ist jedenfalls. Ansonsten lauert die Gefahr jener unsäglichen »Paukerfilme«, mit denen man sich vor dreißig und mehr Jahren amüsierte.
Schule, der von Bernd Eichinger produzierte Spielfilm-Erstling des Münchners Marco Petry hat von allem etwas – am wenigsten glücklicherweise von den Paukerklamotten – passt aber so recht in kein Schema. Vielleicht liegt das daran, das Petry zu jung ist, um jener Dialektik der Verklärung aufzuzusitzen, der ältere Regisseure im Rückblick auf eigene Jugenderlebnisse gern verfallen.
Die bekannten Klischees kommen in dieser Komödie nur in Kurzform vor, Lehrer interessieren fast gar nicht. Anstatt Schulgeschichten zu erzählen, aus missglückter Abiprüfung, garstigen Eltern, oder dem »Verliebt in den Lehrer«-Motiv kleine Melodramen zu stricken, benutzt Petry das Gymnasium, tatsächlich nur als Hintergrund, der anzitiert wird, um dann anderes zu zeigen.
Der Beginn ist am schwächsten. Zähe zehn Minuten braucht Petry, um überhaupt hineinzukommen in seinen Film, um den Geschmack einer TV-Daily Soap ein wenig abzuschütteln. Dann aber ist das knappe Dutzend Figuren vorgestellt, und es kann losgehen: Ein Tag im Leben einer Gruppe von Abiturienten, zwei Wochen vor ihrem letzten Schultag. Markus (Daniel Brühl) hat Streit mit seiner Freundin Sandra (Jasmin Schwiers). Er trifft sich ohne sie mit seiner Clique, sie verbringt die Zeit mit dem notorischen Verführer Stone (Niels-Bruno Schmidt). Am nächsten Morgen werden sie sich wieder versöhnen. Bis dahin streift man durch die Kulissen einer Jugend in der Provinz: Klassenräume und Pausenhof, Supermarkt und See, Jugendzimmer und Partykeller. Eine Geschichte wird im Grunde gar nicht erzählt, stattdessen eine Atmosphäre erzeugt: Nicht auf die Story kommt es an, sondern auf die Stimmung. Insofern hat Petry die Gesetze des Kinos weit besser erkannt, als viele ältere Kollegen. Tatsächlich ist es vielleicht das Bemerkenswerteste an diesem Film, was er alles nicht macht: Kein in schrecklichen Spät-Pubertätskrisen verhafteter Jüngling muss hier endlich sein »erstes Mal« erleben, kein zartes Pflänzlein ist verliebt in den Lehrer, kein Schwuler darf als fleischgewordener Ausdruck der gesammelten Korrektheit des Regisseurs herhalten.
Dafür kennt der Regisseur, wovon er erzählt, und das ist im deutschen Film schon eine Menge. So zeigt Schule ein Bild zeitgenössischer Jugendlicher, dass bei allen Stereotypen und dramaturgischen Klischees weitaus realistischer ist, als die Gleichaltrigen aus Harte Jungs aber auch aus Vergiss Amerika – auch gerade da, wo die Kids dumm, vulgär und verdorben sind. Wie in Crazy tummeln sich Jungs und Mädchen am liebsten am See, doch statt philosophischer Gespräche frönt man hier lieber konkreten Genüssen: diese Abiturienten saufen, kiffen, »poppen« wie in Wirklichkeit, und dürfen das auch. Nicht ein einziges Mal werden sie für ihre Sünden moralisch abgestraft. Auch der Ton der Dialoge »stimmt« meistens. So erlebt man die ganz stinknormale, hedonistische Bundesrepublik, ohne Leitkultur, ohne Neonazis und ohne BSE-Debatte, unpolitisch und beliebig. Das mag meistens ein Mangel sein, wird aber zur Tugend, wenn der einheimische Film allzu oft nur zwischen zwei Extremen zu schwanken scheint: anbiedernder Nachahmung schon schlechter amerikanischer Vorbilder, oder aufgesetztem Bemühen um Originalität oder moralisch-politisches Positionsbeziehen.
Schule erscheint da angenehm unaufdringlich und gelassen. Nostalgie zelebriert Petry, nur am Ende, wenn es gilt den notwendigen Abschied von der Jugend zu predigen. Da läuft dann plötzlich auch Supertramps 20 Jahre alter elegischer Song School, und man fragt sich für einen Augenblick, ob sich etwa seit 20 Jahren gar nichts geändert habe. Hat es aber doch.