Schlaf

Deutschland 2020 · 101 min. · FSK: ab 16
Regie: Michael Venus
Drehbuch: ,
Kamera: Marius von Felbert, Julia Lohmann
Darsteller: Gro Swantje Kohlhof, Sandra Hüller, August Schmölzer, Marion Kracht, Max Hubacher u.a.
Bedrohliche Albträume
(Foto: Salzgeber)

Schlaf ist ein sehr interessantes filmisches Experiment, wie man es im ohnehin stark vernachlässigten deutschen Genrefilm nur selten zu sehen bekommt

In der ersten Szene von Schlaf bauen Marlene (Sandra Hüller) und ihre fast erwach­sene Tochter Mona (Gro Swantje Kohlhof) aus läng­li­chen eckigen Holz­klötz­chen einen Turm, der an ein abstra­hiertes Hochhaus erinnert. Plötzlich ist zu sehen, dass in der Mitte des Turms eine Lücke klafft – der obere Teil schwebt frei in der Luft. Mona zieht das unterhalb der Lücke befind­liche Klötzchen aus dem Turm heraus und legt es ganz oben auf dem Turm. Die Lücke ist jetzt doppelt so hoch und noch immer bleibt der Turm stehen. Marlene scheint in einen tiefen Schlaf zu versinken und landet auf ihrem Bett. Es folgt die Vision eines nächt­li­chen Hotels mit rot erhelltem Foyer und rot leuch­tendem „Hotel“-Schild. Marlene schreit. Mona rennt in ihr Schlaf­zimmer, schaltet das Licht an und macht mit der Mutter Atemü­bungen. Marlene hatte einen Albtraum.

Marlene plagen immer wieder Albträume, in denen dieses geheim­nis­volle Hotel erscheint. Eines Tages sieht sie in einer Zeit­schrift eine Anzeige von einem Hotel, das dem aus ihren Träumen verblüf­fend gleicht. Sie fährt in die Provinz zu dem betref­fenden Hotel „Sonnen­hügel“, um dem Geheimnis ihrer Albträume auf die Spur zu kommen. Marlene nimmt sich ein Zimmer in dem Hotel. Dort hat sie die Vision eines aggres­siven Wild­schweins. Sie erleidet einen Zusam­men­bruch und verfällt in einen Stupor. Mona reist ihr nach und besucht ihre Mutter im Kran­ken­haus des in der Nähe des Hotels befind­li­chen Dorfes Stainbach. Anschließend quartiert auch sie sich im Hotel „Sonnen­hügel“ ein, um das Rätsel um den Zustand ihrer Mutter zu lösen. Doch nun wird auch sie zunehmend von immer bedroh­li­cheren Albträumen verfolgt.

Das Hotel „Sonnen­hügel“ in Michael Venus’ Debütfilm SCHLAF ist ein ziemlich steriler Back­steinbau aus den 1970er-Jahren. In seinem Inneren sorgen lange Gänge und leere Hallen für eine bedrü­ckende Atmo­s­phäre. Ähnlich wie in Stanley Kubricks Stephen King-Verfil­mung The Shining (1980) ist zudem auch dieses Hotel von den Geistern der Vergan­gen­heit beherrscht. Mona hat ziemlich schnell den Eindruck, dass hier etwas nicht stimmt. So hört sie immer wieder ein dröh­nendes Rumpeln. Darüber hinaus hat sie Visionen von Männern, die sich auf dem Dachboden erhängen oder im Wasch­keller erschießen. Auch eine Hotel­an­ge­stellte (Martina Schöne-Radunski), die in der Küche kifft und laut wie ein Keiler quiekend schreit, macht nicht gerade einen vertrau­ens­er­we­ckenden Eindruck. Der Zuschauer sieht außerdem, wie der Hotel­be­sitzer Otto (August Schmölzer) von seiner Frau Lore (Marion Kracht) nachts an Armen und Beinen an das Bett fixiert wird. Dieses Hotel ist wirklich mysteriös.

Doch Michael Venus, der zusammen mit Thomas Friedrich auch das Drehbuch für Schlaf geschrieben hat, geht es in diesem Mystery-Horror­film nicht darum, eine klare Auflösung für die in dem Hotel „Sonnen­hügel“ schlum­mernden Geheim­nisse zu liefern. Statt­dessen vermi­schen sich insbe­son­dere in der zweiten Film­hälfte die Alltags­rea­lität und die Traum­ebene so sehr, dass sie teilweise kaum noch ausein­an­der­zu­halten sind. Friedrich nennt als eine filmische Referenz David Lynchs Mystery-Thriller Lost Highway (1997). Doch im Gegensatz zu dem großen ameri­ka­ni­schen Vorbild gelingt es Venus und Friedrich in Schlaf nicht, einen konse­quent eigenen filmi­schen Kosmos zu erschaffen. Zu unent­schieden schwankt Schlaf dazwi­schen einer­seits eine rätsel­hafte Welt aufzu­bauen und auf der anderen Seite doch wieder möglichst plausible Antworten auf die Fragen des Zuschauers liefern zu wollen.

Viele Versuche hat es im deutsch­spra­chigen Raum bisher nicht gegeben, ein lyncheskes filmi­sches Universum zu kreieren. Konse­quenter als Schlaf in Bezug auf den Aufbau einer rätsel­haften filmi­schen Welt war jedoch Jessica Hausners Mystery-Horror­film Hotel (2004), der wie der Titel schon besagt, ebenso wie Schlaf in einem Hotel spielt. Und was das Erschaffen einer von skurrilen Charak­teren bevöl­kerten lynchesken Schein­idylle betrifft, so ist Andreas Kleinerts schwarz­hu­mo­riger Thriller Frei­schwimmer (2007) ebenfalls Schlaf eindeutig überlegen. Trotzdem ist Schlaf ein sehr inter­es­santes filmi­sches Expe­ri­ment, wie man es im ohnehin stark vernach­läs­sigten deutschen Genrefilm nur selten zu sehen bekommt. Immer wieder gelingt es Michael Venus einpräg­same Bilder zu erschaffen. Zu diesen gehören unter anderem eine Gruppe von Männern in Anzügen mit grotesken Schwei­ne­masken. Nur leider ist der Gesamt­ein­druck nicht ganz rund.