Deutschland 2013 · 95 min. · FSK: ab 12 Regie: Bettina Blümner Drehbuch: Katharina Kress Kamera: Mathias Schöningh Darsteller: Jasna Fitzi Bauer, Ulrich Noethen, Max Hegewald, Vladimir Burlakov, Jana Lissovkaja u.a. |
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Bildsprache ohne alle Klischees |
Man nennt so etwas wohl einen sozialen Brennpunkt: Scherbenpark, das ist die scherbenbedeckte Mitte einer recht deprimierenden, hässlichen Plattenbausiedlung irgendwo am Rande einer großen Stadt. Gedreht wurde der Film erkennbar in Stuttgart, es könnte aber auch woanders sein, Frankfurt, Köln, Berlin...
In diesem Scherbenpark rotten sich die gelangweilten Kids der sozialen Absteiger zusammen: Kleine Schlampen und große Jungs, Kinder, die schon früh alt aussehen und ohne Hoffnung sind. Außer einer: Sascha, eine kesse 16-jährige, die leicht erkennbar zu Besserem taugt, als zu diesem Leben in der Einsamkeit der Hochhausfelder.
Für den Alltag hat sich dieses Little Lost Girl harte Bandagen zugelegt: Eine kesse Lippe, um auf jeden sexistischen Spruch der
dummen Jungs von nebenan eine Antwort zu haben, und eine raue Schale, um die vielen Katastrophen ihres Lebens auszuhalten: Der Stiefvater hat die Mutter totgeschlagen, der kleine Bruder hat zugeguckt. Wenn sie gerade nichts Besseres zu tun hat, gibt sich Sascha halb scherzhaften, halb ernsthaften Rachephantasien hin: »Es gibt tausend Möglichkeiten: Ich könnte ihn vergiften, erwürgen, erstechen vom Balkon schmeißen, oder vom Auto überfahren.«
Weil dies alles bis jetzt vielleicht so geklungen hat, als habe man es bei dieser Verfilmung von Alina Bronskys Debütroman und Bestseller mit einem tristen Sozialdrama zu tun, in dem wir hässliche Menschen in hässlichen Umgebungen schön finden sollen – so ist Scherbenpark doch tatsächlich das Gegenteil. Denn es ist eine Befreiungsgeschichte, ein optimistischer Film, voller Humor, voller praktischer Lebensklugheit, dabei mit dem nötigen Schuss Verrücktheit, mit einer durchweg tollen Darstellerriege.
Allen voran die berückende Jasna Fritzi Bauer als Sascha. Hinter der harten Schale dieser rotzfrechen Göre verbirgt sich selbstverständlich eine verletzliche Seele. Der begegnen wir in dem Moment, in dem Sascha den Journalisten Volker kennenlernt, der ihr Ersatzvater wird, gespielt von Ulrich Noethen, und dessen Sohn Felix, in den sie sich ein bisschen verguckt. Beide zusammen öffnen ihr eine andere Welt voller Bildung und Wohlstand, aber auch mit wiederum ganz eigenen Nöten. In dieser Welt, in der ganz andere Regeln gelten, als im Scherbenpark, ist sie eine Weile zu Gast, ohne ihre Herkunft doch zu verraten. So entspinnt sich eine filmische Konfrontation der Kulturen und eine ungewöhnliche Dreiecksgeschichte.
Die Regisseurin Bettina Blümner ist durch ihren frechen Dokumentarfilm Prinzessinnenbad bekannt geworden – auch diese eine intime, sensible, realistische Studie von Mädchen an der Schwelle zum Erwachsensein.
Blümner findet für Saschas Geschichte einen warmherzigen, unprätentiösen Ton und eine Bildsprache, die ohne alle Klischees auskommt. Ihre Großstadtprinzessin lebt in keinem Märchenland, vielmehr in der Wirklichkeit. Von dieser erzählt sie mit Würde und vor allem mit viel Witz.
Scherbenpark doziert nicht, ist lebensnah und ehrlich – ein zeitgemäßer, filmischer Roman des Erwachsenwerdens, der uns Zuschauer bis zur letzten Minute in Atem hält.
»Manchmal denke ich, ich bin die einzige in unserem Viertel, die noch Träume hat. Ich hab' zwei: Ich will meinen Stiefvater Vadim töten. Und ich will ein Buch schreiben. Über meine Mutter Ich hab auch schon den Titel: ›Die Geschichte einer hirnlosen rothaarigen Frau, die noch leben könnte, wenn sie auf ihre kluge älteste Tochter gehört hätte.‹«
Irgendwann bricht Sascha dann auf. Sie ist noch lange nicht an ihrem Ziel angekommen. Erst muss sie die Scherben ihres Lebens wieder zu einem Gesamtbild zusammenfügen.