Japan/USA 2017 · 101 min. Regie: Stephen Nomura Schible Drehbuch: Stephen Nomura Schible Kamera: Tom Richmond, Neo Sora Darsteller: Yûji Ohshige, Hisayo Kushida u.a. |
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Momente voller Intimität und ernster Reflexionen |
Nur ein paar Takte muss man hören – dann weiß man: Das kann nur einer sein – Ryuichi Sakamoto. Der Japaner ist einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Und auch für das Kino ist er außerordentlich wichtig.
Legendär wurde seine Musik für Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence, jenen einmaligen Film von Nagisa Oshima über die komplizierte Beziehung zwischen einem australischen Kriegsgefangenen und seinen japanischen Wärtern, in dem 1983 Sakamoto auch selbst die Hauptrolle spielte, an der Seite mit einem anderen weltberühmten Musiker, mit David Bowie.
Schon seit den Siebzigern schrieb Sakamoto auch viele andere unvergessene Film-Soundtracks: Wie Der letzte Kaiser von Bernardo Bertolucci, oder, ebenfalls von Bertolucci: Himmel über der Wüste.
Es ist solche Musik, an der man sich nicht satt hören kann, und die – nicht nur nostalgische – Erinnerung an die entsprechenden Filmbilder, die sie wachruft, die diesen Film zu einem großen Erlebnis machen, einem Hör- und Seh-Erlebnis gleichermaßen.
Sakamoto ist ein visueller Musiker, der sich immer auf das Kino bezogen hat – »think cinematically!«, »Denkt kinoartig!« fordert er einmal im Film.
Ryuichi Sakamoto: Coda von dem in Japan aufgewachsenen Dokumentarfilmer Stephen Nomura Schible, ist eine wunderschöne Hommage; fast ein autobiographisches Selbstporträt des berühmten Komponisten. Man erfährt viel. Zum Beispiel über die Anfänge des 1952 geborenen Sakamoto als japanischer Popstar in der legendären Elektropop-Band »Yellow Magic Orchestra« – dem »Kraftwerk« Asiens. Man könnte solchen Szenen stundenlang zuhören.
Zugleich ist dieser Langzeitdokumentarfilm in vielem unerwartet. Es beginnt bereits so: Mit dem Tsunami des März 2011 und dem anschließenden Atomunglück in Fukushima – Sakamoto hat in Fukushima bewegende Benefiz-Konzerte gegeben, eindrucksvoll zeigt der Film, wie er dafür dann recherchiert. Es gibt viele Augenblicks-Perlen wie eine Reflexion über Technik, die Feststellung, dass nicht nur ein Atomkraftwerk, auch ein Klavier ein Ding mit äußert viel Technik und
technischem Aufwand sei.
Sakamoto spielt dann auch nicht auf irgendeinem Instrument, sondern auf einem Klavier, das den Tsunami überlebt hat und noch funktioniert.
Eine weitere, in diesem Fall sehr unangenehme Überraschung ist die Nachricht von Sakamotos schwerer Krebserkrankung, die den Komponisten während der Dreharbeiten erreichte. Anstatt den Dreh abzubrechen, nahm der Komponist die Herausforderung an, und so erleben wir auch die Monate der Chemotherapie – so gelingen dem Film Momente voller Intimität und ernster Reflexionen über Leben, Tod und Sinn.
»Künstler spüren Gefahren früher, als andere« sagt Sakamoto einmal im Film: »Wie Kanarienvögel in einer Kohlemine«. Ryuichi Sakamoto: Coda ist einer der sensibelsten und unerwartetsten Künstler-Dokumentarfilme seit langem. Ein kluger bewegender Film, nicht nur interessant für alle, die sich für Sakamoto oder das Kino interessieren.