USA 1998 · 93 min. · FSK: ab 6 Regie: Wes Anderson Drehbuch: Wes Anderson, Owen Wilson Kamera: Robert D. Yeoman Darsteller: Jason Schwartzman, Bill Murray, Olivia Williams, Seymour Cassel, Brian Cox u.a. |
||
Max Fischer beim Studieren |
Roman Polanski wurde unlängst bei einem Podiumsgespräch auf dem Münchner Filmfest gefragt, was er denn vom Hollywoodfilm der Gegenwart halten würde. Elegant und gewitzt antwortete der Meister nach kurzem Nachdenken mit einem Gleichnis: Hollywood sei für den Film ungefähr das, was McDonalds für die Restaurantkultur bedeute. Als sich das Gelächter und der Applaus im Publikum legte, fügte Polanski hinzu: allerdings nehme ich gerne hin und wieder einen saftigen Hamburger zu mir!
Rushmore ist einer der saftigsten Hamburger, den Sie je genossen haben und McDonalds hat Gott sei Dank überhaupt nichts damit zu tun. Ebensowenig gibt es irgendwelche Gemeinsamkeiten mit der aktuellen Schwemme der Highschool- und College-(Horror)Komödien aus dem Mekka des kommerziellen Films – außer dem Thema: die Geschichte handelt von einem Schüler und seinen Nöten. Max Fischer (Schwartzman) ist sein Name, und der 15jährige ist einer der außergewöhnlichsten seiner Zunft. Nicht nur, daß er der Retter des Fachs Latein an der Rushmore Academy, Herausgeber der Schülerzeitung, Gründer des Fechtclubs, erster Vorsitzender des Schachvereins, Autor und Regisseur der Theatergruppe ist, er kämpft auch noch tapfer, aber leider nicht sehr erfolgreich als Ersatzmann für die Ringermannschaft der Schule. Max Fischer wäre somit ein Musterschüler nach den Maßstäben des amerikanischen Schulsystems, wären seine Zensuren nicht so schlecht, daß seine Versetzung wieder einmal in Gefahr gerät und ihm damit der endgültige Verweis von der Privatschule droht. Als er sich dann auch noch in die Lehrerin Rosemary Cross (Williams) verliebt und feststellen muß, daß sein neuer Freund, der Unternehmer Herman Blume (Murray) ähnliche Gefühle für Miss Cross hegt, gerät sein Leben mächtig in Unordnung. Und dieses Chaos wird sich zu Ende des Films auch in Max' neuem Theaterstück widerspiegeln, welches die Grundlage für ein wunderbares Finale liefert.
Neben den großartigen Schauspielern – allen voran Bill Murray als ständig am Abgrund stehender Familienvater und Multimillionär und Seymour Cassel als Friseur und Vater von Max – überzeugt das glänzende Timing von Regisseur Wes Anderson. Rushmore befindet sich stets zwischen dem völligen Durchknallen des schrägen Humors und einer leisen Melancholie, die die besten Szenen auszeichnet, insbesondere jene zwischen Max und seinen sehr unterschiedlichen Freunden Herman Blume und Dirk Calloway. Blume sagt zu Max in einem dieser Momente: »Du kennst das Geheimnis des Lebens, nicht war?!«, worauf Max ihm etwas unsicher und verwirrt entgegnet, er glaube, man müsse eben herausfinden, was man gerne tut, um dies dann sein Leben lang zu tun. Später wird Max seiner großen Liebe Rosemary Cross gestehen, daß es sein Wunsch wäre, für immer an der Rushmore Academy zu bleiben – um genau das zu tun, was er dort immer tat, also Theaterstücke schreiben, Clubs gründen und hin und wieder im Ringerteam aushelfen. Die Naivität dieses Traums und der Snobismus gegenüber manchem Erwachsenen sowie die Mischung von Humor und Melancholie erinnert wohl nicht von ungefähr an einen der Klassiker der »Schulliteratur« The Catcher in the Rye von J. D. Salinger.
Salingers Hauptfigur, Holden Caulfield, versucht sich ähnlich elegant wie Max vor gewissen Aspekten des Erwachsenwerdens zu drücken und auch er erzählt von seinem Traum – doch diesmal lauscht die kleine Schwester und nicht die Angebetete:
»Aber jedenfalls stelle ich mir immer kleine Kinder vor, die in einem Roggenfeld ein Spiel machen. Tausende von kleinen Kindern, und keiner wäre in der Nähe – kein Erwachsener, meine ich – außer mir. Und ich würde am Rand einer
verrückten Klippe stehen. Ich müßte alle festhalten, die über die Klippe hinauslaufen wollen – ich meine wenn sie nicht achtgeben, wohin sie rennen, müßte ich vorspringen und sie fangen. Das wäre einfach der Fänger im Roggen. Ich weiß schon, daß das verrückt ist, aber das ist das einzige, was ich wirklich gern wäre. Ich weiß natürlich, daß das verrückt ist.«
Zwei Jahre mußte Rushmore auf seinen Deutschland-Start warten. Vielleicht ist es nun zu spät, denn seither sind allerhand Selbstfindungs-Filme erschienen – Amerika dachte in The Straight Story, Fight Club, American Beauty und Magnolia knirschend über seine Befindlichkeit nach. Im Entstehungsjahr war Rushmore jedoch eine Ausnahmeerscheinung, schwer zu schubladisieren, sorglos im Umgang mit den Stilmitteln, unverdrossen im dramaturgischen Aufbau und somit ein angenehmer Kontrast zum üblichen Rummsbumms-Kintopp.
»Jeder sucht sich im Leben etwas, was er am besten kann und tut das dann sein Leben lang« Und Max (Jason Schwartzmann) hat sein Spezialgebiet schon gefunden, nämlich Rushmore, seine Schule. Zwischen Schülerzeitung, Theatergruppe, Bienenzüchter AG und Kalligraphie-Club frönt er unzähligen Aktivitäten. Doch als schlechtestem Schüler droht ihm der Rauswurf. Vorher allerdings beginnt der komplexbeladene Klugscheißer noch zwei Freundschaften, einerseits zu Rosemary (Olivia Williams), einer jungen Lehrerin, die er liebt, und die ihn belächelt. Andrerseits zu Herman (Bill Murray), einem Mäzen der Schule, der frustriert ist von der Eintönigkeit seiner Existenz und genervt von seinen debilen Zwillingssöhnen.
Das ist ein schön seltsames Duo, der Zahnspangenträger, der Erwachsene belehrt und zum Kaffee einlädt, und der lethargische Millionär, der die Schule nur sponsort, um bei Festen Reden gegen die Reichen zu schwingen.
Doch beider Buhlen um Rosemary wird zum Kampf von Pubertät gegen Midlife-Crisis und Rushmore bald zum Intrigendrama mit verkorkster Typenwahl. Ein dämonischer Zwölfjähriger spuckt Herman auf’s Auto, ein heimtückischer Halbstarker
aus Schottland zieht im Hintergrund die Fäden, dazu die Racheakte der beiden Rivalen. Verleumdung, Lüge, kaputte Fahrräder. Zuletzt nach einem hinreissend pyromanischen Schulspiel schwenkt alles, vielleicht zu stark, auf ironische Lieblichkeit um. Das schale Dasein füllt sich und das pubertäre Drängen nach Bedeutung scheint vorüber.
Schon der Soundtrack mit Sandalen-Pop von Cat Stevens und Donovan verweist auf verwandtes Coming-of-Age-Filmgut aus den Siebzigern, auf Die Reifeprüfung und Harold &Maude. Vom einen hat Rushmore die Melancholie, vom anderen das Groteske, von beiden das Selbstverliebte und die überraschenden Wendungen. Max ist ein altkluger Purzel, dessen Komplexen man gerne zuschaut, zumal wirklich nicht zu erahnen ist, was als nächstes passiert. Zudem nutzt Regisseur Anderson die Technik der Pointenverzögerung nach Art von Jerry Lewis bzw. Laurel/Hardy. Wer nichts mit all dem anfangen kann, der wird auch den huldvollen Bill Murray verschmähen. Obwohl seine Arschbombe vom Drei-Meter-Brett – unbewegten Gesichtes, die Zigarette im Mundwinkel – zum Wonnigsten, ja Herzallerlieblichsten im Kino des ausgehenden 20. Jahrhunderts gehört.