Rush Hour

USA 1998 · 97 min. · FSK: ab 12
Regie: Brett Ratner
Drehbuch: ,
Kamera: Adam Greenberg
Darsteller: Jackie Chan, Chris Tucker, Tom Wilkinson, Elizabeth Pena, Tzi Ma u.a.

China-Wochen bei McDonald's

Jackie Chan kämpft mit zahl­rei­chen Gegnern in einer ameri­ka­ni­schen Ausstel­lung über chine­si­sche Kultur. Er versucht verzwei­felt, die wert­vollen Artefakte zu schützen, fängt immer wieder eine riesige Vase auf, stellt sie zurück aufs Podest, wehrt sich seiner Feinde, bewahrt die kostbare Keramik im letzten Moment vor der Zers­tö­rung, steckt für sie Schläge ein – vergebens: Die Vase zerdep­pert in tausend Scherben.
Es ist verblüf­fend, wie selbst die dümmsten Filme unbewußt Momente höchster Selbst­re­fle­xi­vität einge­schrieben haben, wie sie gut sichtbar selbst offen­legen, was sie unter­schwellig betreiben. Denn Rush Hour ist in gewißer Weise nichts anderes als eine einein­halb­stün­dige Auswal­zung dessen, was in dieser Szene geschieht. Es ist der verzwei­felte Versuch Jackie Chans, in einer Hollywood-Produk­tion etwas von seiner asia­ti­schen (Kino-)Kultur zu bewahren.
Es ist ein geschei­terter Versuch.

Soweit zumindest ähnelt Rush Hour den asia­ti­schen Werken Jackie Chans: Die Handlung ist unwichtig. Es geht um die Entfüh­rung der kleinen Tochter eines chine­si­schen Botschaf­ters in Los Angeles, und darum, wie Jackie mit einem Poli­zisten des LAPD zusam­men­ar­beiten soll, der darauf alles andere als Lust hat – ein Buddy-Movie nach Schema F.
In Jackies Hong Kong-Filmen ist die Handlung aber fast immer deswegen unwichtig, weil sie lediglich ein Gerüst, eine Struktur zu schaffen hat, die die Haupt­sache – die Kampf- und Stunt­num­mern – in einen befrie­di­gend ausbal­lan­cierten Ablauf stellt. Plot und Dialoge haben da meist bewußt kein Eigen­ge­wicht, sie dienen als Atem­pausen und als Phasen des Span­nungs­auf­baus. Deshalb ist es dort nicht nur möglich, sondern sogar nötig, daß man sich altver­trauter Muster bedient und die Handlung holz­schnitt­artig und klischee­haft wird: Genre­kli­schees als kultu­relle Kurz­schrift.
Bei Rush Hour ist auch alles bis ins Detail wohl­be­kannt und vorher­sehbar – aber da tut der Film so, als hätte der Plot eine Bedeutung, als ginge es tatsäch­lich um die Krimi­hand­lung und um die Psycho­logie der Charak­tere. Da sind die Action-Einlagen nur würzende Zutat. Von Energie, Spon­ta­n­eität und Leich­tig­keit keine Spur – und genau das ist es doch, wofür Jackie Chan als einzig legitimer Erbe von Fred Astaire eigent­lich einsteht. Rush Hour ist eben Symptom für etwas, was das ameri­ka­ni­sche Kino schon seit Jahren plagt: Hollywood hat verlernt, wahre Musicals zu machen.

Die Produk­ti­ons­be­din­gungen verhin­dern aber auch von vorn­herein, daß ein ameri­ka­ni­scher Jackie Chan-Film ein authen­ti­scher sein könnte: Von Gewerk­schafts-Tyrannei geplagt und durch Ansprüche an technisch perfekten Großauf­wand unbe­weg­lich geworden, ist bei einer solchen Holly­wood­pro­duk­tion eben kaum Raum für Spon­ta­n­eität und Impro­vi­sa­tion. Und der Einspruch der Versi­che­rung verhin­dert dann auch noch, daß Jackie gefähr­li­chere Stunts selbst ausführt. Da aber wird’s halt völlig absurd und blöd – als würde man Astaire nicht selbst tanzen lassen.
Wenigs­tens entlarvt sich Rush Hour am Ende selbst: 90% der bei Jackie Chan-Filmen obli­ga­to­ri­schen Outtakes am Ende bestehen nicht, wie üblich, aus spek­ta­kulär mißlun­genen Stunts – sondern aus Szenen, wo Jackie seinen engli­schen Dialog beim ersten Mal nicht gleich richtig hinbe­kommt... (Fragen Sie mich jetzt bloß nicht, was die deutsche Synchro daraus machen wird – ich will’s gar nicht wissen!)

Aller­dings ist Hong Kong-Kino nicht das einzige, bei dem sich Rush Hour bedient: Die zweite Quelle, aus der der Film versucht, Mehrwert zu schöpfen, ist das Blax­ploi­ta­tion-Kino der 70er. (Zu der tradi­tio­nell engen Verbin­dung von Eastern und Blax­ploi­ta­tion übrigens viel­leicht einmal an anderer Stelle mehr.) Das wird gleich zu Beginn ohren­fällig, denn die Musik ist von Lalo (Shaft) Shiffrin, zeigt sich aber selbst­ver­s­tänd­lich am deut­lichsten an der Präsenz Chris Tuckers. Der soll erstmal in Amerika das schwarze Publikum (das schon immer ein größeres Interesse auch an Hong Kong-Filmen hatte) in die Kinos locken. Darf aber dabei freilich keines­falls auch nur einen weißen Zuschauer vergraulen – weshalb man dafür gesorgt hat, daß von vorn­herein alles gegen den WASP-Main­stream gerich­tete Potential gründlich entschärft ist. Chris Tuckers Charakter ist Polizist beim LAPD (und da kann sich der Film selbst eines ironi­schen Kommen­tars nicht enthalten: Die Mutter erzählt den Verwandten lieber, er sei Drogen­dealer) und hat nie Sex. Making the world safe for whitey – diese bastar­di­sierte Form von Blax­ploi­ta­tion kennen wir ja schon seit Beverly Hills Cop zu Genüge.

Es bleibt bei alldem dennoch nicht aus, daß auch einige schöne Momente einge­schmug­gelt werden können. Man kann Chris Tucker nicht dermaßen viel reden lassen, ohne daß ihm dabei nicht auch ein, zwei gute Witze gelingen. Und da man Jackie Chan schlecht NUR reden lassen kann, blitzen in manchen Fight-Nummern halt unver­meid­lich auch kurz jene Qualitäten auf, die ihn zu Asiens Superstar No.1 machen.
Und einmal sieht’s tatsäch­lich fast so aus, als hätte da einer der Verant­wort­li­chen doch was kapiert: Es gibt so einen kurzen, wunder­baren Moment der Freiheit, wo Jackie und Chris Tucker auf der Straße einfach zusammen das Tanzen anfangen – mit Abstand die schönste Szene des Films. Aber leider ein Einzel­fall.

Rush Hour ist letzlich genau wie China-Wochen bei McDonald’s. Es ist der Versuch eines müde gewor­denen, klischee­be­la­denen, ideen­losen Kinos, sich gerade genug street credi­bi­lity einzu­kaufen, um einem Main­stream-Publikum als frisch unter die Augen treten zu können, ohne es in irgend einer Weise ästhe­tisch zu fordern.
Oder wie die Dschun­gel­tour in Disney­land: Man sitzt in einem Kahn, der auf fest­ze­men­tierten Schienen voran­düm­pelt und gafft die exoti­schen und wilden Tiere an, im beru­hi­genden Bewußt­sein, daß die alle Plas­ti­k­ro­boter sind.

Wie McDonald’s und Disney ist dadurch Rush Hour freilich auch kommer­ziell ungleich erfolg­rei­cher als das Original: Die Leute wollen betrogen sein. Der wunder­bare Who am I? lief jüngst in München wenige Wochen mit einer einzigen Kopie, in einem der häßlichsten Kinos der Stadt – ohne Werbe­auf­wand, ohne Medi­en­re­so­nanz. Von Rush Hour hingegen hat jeder schon gehört, Rush Hour läuft überall, Rush Hour will jeder sehen.
Wer klug ist, erspart sich’s und wartet wenigs­tens die kurze Zeit ab, bis hier­zu­lande der stark verspä­tete Mr. Nice Guy startet. Gewiß nicht Jackies bester, bei weitem nicht – aber immerhin authen­ti­scher Jackie (wenn man mal davon absieht, daß in hiesigen Kinos wieder nur die für den ameri­ka­ni­schen Markt bear­bei­tete Fassung läuft).
Und die Sache mit der Kreissäge in Mr. Nice Guy allein ist schon zehn Rush Hours wert.