Deutschland 2018 · 110 min. · FSK: ab 12 Regie: Connie Walther Drehbuch: Nadin Matthews Kamera: Birgit Gudjonsdottir Darsteller: Nadin Matthews, Ibrahim Al-Khalil, Konstantin-Philippe Benedikt, Ali Khalil, Marcel Andrée u.a. |
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Erhellend, streng und experimentell: nur eine Versuchsanordnung? | ||
(Foto: Tom Trambow / Realfiction) |
Die ersten Bilder sind rätselhaft: Eine kahle wüstenähnliche Ebene, ein kegelförmiger Berg im Hintergrund, die Sonne wirft Zwielicht über die Landschaft, die Stimmung hat etwas grundsätzlich Postapokalyptisches. Langsam, fast unmerklich zoomt sich die Kamera vorwärts. Aber was ist es im Vordergrund, auf das sie so sachte zufliegt? Offensichtlich ein Menschenbau, vielleicht eine Burgruine? Dann ein Schnitt: Großaufnahme von einem Fell, das keinem Tier zuzuordnen ist. Aber es atmet, lebt. Dann ein zweiter Schnitt: Wasser ergießt sich aus einem Duschkopf, eine Handvoll junger Männer in einer Massendusche ist zu sehen. Dann erst erscheint der Filmtitel: In poppig pinker Schrift auf schwarzem Grund.
In diesem assoziativen, neugierig machenden Stil geht es weiter: Nun sehen wir große Hunde verschiedener Rassen, die in Käfige gesperrt sind, dann wird ihnen jeweils ein Maulkorb angelegt. Mitunter ist alles durch Zeitlupe verlangsamt, manche Einstellungen sind leicht überbelichtet. Dies sind Bilder, wie man sie in deutschen Filmen so gut wie nie sieht: Uneindeutig, für sich stehend, nicht illustrierend, nicht unmissverständlich zusammenhängend, nicht durch Dialog gestützt. Allein dieser atemberaubende, entfesselte Anfang ist Grund genug, sich diesen Film anzusehen.
Es ist offensichtlich, dass die Regisseurin Connie Walther das Offensichtliche zu meiden versucht, dass sie in Bildern erzählen will, und für die ersten Minuten dieses Anfangs sehr bewusst ganz ruhige Einstellungen gewählt hat, die im Zuschauer einen Raum öffnen für Phantasien, die meditativ sind und komplett ohne Worte auskommen. Nichts ist erklärend, so wenig, dass man eine Weile rätselt, ob man es mit einem Dokumentarfilm oder einer Fiktion zu tun hat.
Erst nach knapp sieben Minuten wird alles etwas klarer: Zwei Frauen und ein Mann blicken von einer Art Kommandozentrale in einen Raum, der einem römischen Kolosseum nachempfunden ist: Rohe dunkle Steine, zwei, drei Luken, durch die Menschen oder wilde Tiere eingelassen werden können. Es fehlen aber die Zuschauerreihen. Die drei sprechen darüber, wie gut es sei »dass die jungen Männer mal was Sinnvolles tun«, wie »schwierige Hunde zu trainieren.« Einer der Frauen, offenbar Leiterin des Programms namens Lu, werden bebilderte Aktenmappen über vier junge Männer vorgelegt, die sie nicht sehr zu interessieren scheinen. Und auch über die Hunde weiß sie wenig. »Gefällt mir, so ein prozessorientierter Ansatz« entgegnet offenbar etwas hilflos ihr Gesprächspartner, »wir sind ja für Sie da«. Sie aber strahlt mit jeder Körperfaser aus: »Ich brauche Euch nicht.«
Im Folgenden werden sie alle, die Hunde und die Menschen, zusammengebracht. Schnell ist klar, dass der Titel sich auch auf die jungen Männer bezieht, sämtlich zu langen Haftstrafen verurteilte Gewaltkriminelle mit hohem Aggressionspotential. Die Hunde werden zum Spiegel der Menschen, aber auch umgekehrt. Lu will Hunde und Menschen in Dialog bringen, offenbar zur gegenseitigen Therapie: »Ihr könnt sie alles fragen« sagt sie und ist offensichtlich die souveräne Herrin im Ring – dass sie auch »ihr Päckchen zu tragen« hat, wird erst im weiteren Verlauf deutlich.
Der dritte Spielfilm von Connie Walther ist schwierig einzuordnen: Denn einerseits ist dies der seltene Fall eines deutschen Science-Fiction, angesiedelt in der unklar dystopischen Wirklichkeit eines zukünftigen, durch Überwachung und Strafe zusammengehaltenen Disziplinarregimes. Zugleich ist dies aber auch der Versuch, mit semi-dokumentarischen Mitteln das Therapieprogramm der Hundetrainerin Nadin Matthews, die in der Rolle der Lu quasi sich selbst spielt, zu illustrieren. Matthews gibt diverse Seminare, unter anderem in Justizvollzugsanstalten. Sowohl die im Film gezeigten Hunde als auch die Straftäter sind echt. Ihre Figuren allerdings nicht.
Hinzu kommen stark theatrale Elemente, ein harter technoider Score und eine strenge Ordnung: Sechs Tage. All dies zusammengenommen, läuft »Die Rüden« mitunter Gefahr, seinen vielen, nicht immer kongruenten Formeinfällen zu erliegen und manieriert zu wirken.
Das in dieser Form aufgehobene übergreifende Thema ist der Widerstreit von Aggression und Erziehung und die zur Zeit vielbeschworene »Toxische Männlichkeit«. Aber dieser Begriff ist eben vor allem simplifizierend
und latent vorurteilsbehaftet – so ähnlich, wie die auch keineswegs voraussetzungslose, zumindest implizite Gleichsetzung junger Männer mit zu erziehenden, misshandelten Tieren, von Gewalttätern mit bissigen Hunden wirft moralisch wie sachlich mehr Fragen auf, als dieser Film zu beantworten versucht.
So ist diese düstere dunkle Allegorie auf männlich-menschliche Verhältnisse im Ergebnis kein einfacher, aber ein unbedingt sehenswerter Film, der in seinem Formwillen aus dem sozialrealistischen Einerlei des deutschen Kinos ebenso heraussticht wie in seinem Mut zur kalten Schönheit und zum Verzicht auf Antworten, darauf, es dem Publikum allzu bequem zu machen.