Deutschland 2003 · 122 min. · FSK: - Regie: Rudolf Thome Drehbuch: Rudolf Thome Kamera: Michael Wiesweg Darsteller: Hannelore Elsner, Serpil Turhan, Hanns Zischler, Karl Kranzkowski u.a. |
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Tochter und Mutter Bärenklau |
Barbara Bärenklau fährt zu einem Blind Date. Sie kann kaum etwas essen, lässt selbst den Salat im Restaurant stehen, sie ist nervös, verständlicherweise. Denn heute soll sie zum ersten Mal ihrer Tochter begegnen, die sie vor Jahren als kleines Kind beim Vater zurückließ. Heute ist Ilke erwachsen, hat vom gerade verstorben Vater ein Millionenerbe bekommen, und will nun ihr eigenes Leben beginnen. Also mit der Vergangenheit reinen Tisch machen. Die Mutter suchen.
Am Anfang haben wir Ilke im Zug gesehen auf der Fahrt nach Berlin. Dort traf sie einen Mann, der sich hinterher als Barbaras Gatte entpuppt. Konstruiert? Mag sein. Aber bei Alfred Hitchcock, Howard Hawks, Ernst Lubitsch, den ganz Großen also, findet man derartige Konstruktionen in jedem Film. Und die ganz Großen sind es, an denen Rudolf Thome Maß nimmt, was ihn selbst zu einem der ganz wenigen macht, die man wirklich ernst nehmen muss im deutschen Kino – künstlerisch wohlverstanden.
»Kino handelt von der Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen«, hat der Autor und Schauspieler Hanns Zischler einmal gesagt, der in »Rot und Blau«, Thomes neuem Film, eine feine Nebenrolle als Detektiv und Barbaras Ex-Lover übernimmt. Genau das ist es: Wie die meisten Filme von Thome, dem einstigen Mitglied der »Münchner Schule«, der seit über zwei Jahrzehnten in Berlin lebt, spielt auch dieser in einer Welt, die im gleichen Moment ganz präzis gezeichnet und in ihrer Milieuschilderung realitätsgefüllt ist, doch trotzdem märchenhaft. Alles fügt sich hier irgendwie, ist wie es ist: Finanzielle Sorgen gibt es so wenig wie politische Probleme, man befindet sich unter Besserverdienenden – wozu sich bekanntlich 60-70 Prozent der Deutschen rechnen –, hat ein chices Appartement in Charlottenburg, weiß guten Rotwein und italienisches Essen zu schätzen und hat eine Datscha mit Garten in der Mark Brandenburg. Wenn ein 30 Jahre roter Alfa Romeo gebraucht wird, wird er binnen einem Tag gefunden – es genügt zu sagen, dass eine der Figuren gute »Kontakte« hat. Diese lässige Souveränität und Coolness der Inszenierung ist es, die jeden der Filme Thomes, selbst die schwächeren, zu einem Genuss macht. Es sind denkbar unprätentiöse, schwerelose Filme, die dem Betrachter nichts vorschreiben.
Rot und Blau ist einer seiner besseren Filme. Mit ihm beginnt Thome, der gerne seriell denkt, eine Trilogie, die er Zeitreisen getauft hat und in der Hannelore Elsner jeweils die Hauptrolle spielt. Hier, als Barbara, verkörpert sie eine Frau die plötzlich ihr eigenes Leben nicht mehr versteht, die die Requisiten ihrer Vergangenheit vernichtet wie in einem Akt magischer Beschwörung – und dann vom Schicksal naturgemäß bestraft wird: Kaum ist das Autodafé beendet, tritt die verlorene Tochter Ilke (Serpil Turhan) auf den Plan. Die Komödie des Missverstehens und Wiederfindens, die nun beginnt – bezeichnenderweise rutscht Barbara erst einmal aus und bricht sich den Fuß – ist nur ein Teil der größeren Comédie Humaine, die Thomes eigentliches Thema ist. Darin, wie auch in der Beiläufigkeit und Selbstverständlichkeit seiner Erzählweise, und den schematischen Konstruktionen seiner Filme, dem Hang, sie zu Gruppen oder Reihen zu ordnen, ähnelt Thome den französischen Meistern, vor allem Rohmer.
Das ist nicht nur schön anzusehen, es ist auch spannend. Denn selten ist Kino so sehr ein Blick in den Spiegel und ganz Gegenwärtigkeit wie bei Thome.