Rote Sterne überm Feld

Deutschland/Österreich 2025 · 133 min. · FSK: ab 12
Regie: Laura Laabs
Drehbuch:
Kamera: Carlos Vasquez
Schnitt: Emma Gräf
Darsteller: Hannah Ehrlichmann, Hermann Beyer, Jule Böwe, Andreas Döhler u.a.
Rote Sterne überm Feld
Ein dichtes Geflecht aus Handlungsebenen
(Foto: Farbfilm)

Kino als Gedankenraum

Der Möglichkeitssinn im Filmischen: Laura Laabs aufregendes Filmdebüt und die Frage, was eigentlich dabei herauskommt, wenn man zurückblickt

»Wenn es aber Wirk­lich­keits­sinn gibt, und niemand wird bezwei­feln, daß er seine Daseins­be­rech­ti­gung hat, dann muß es auch etwas geben, das man Möglich­keits­sinn nennen kann.« – Robert Musil

Es schwebt wieder ein Engel über Berlin, ganz zu Beginn dieses Films. Es muss der Engel der Geschichte sein, denn er spricht, abwech­selnd mit den Stimmen einer Frau und eines kleinen Mädchens, die berühmten Zeilen aus Walter Benjamins geschichts­phi­lo­so­phi­schen Thesen »Über den Begriff der Geschichte«: »...wo eine Kette von Bege­ben­heiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Kata­strophe. ... Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschla­gene zusam­men­fügen.« Dazu sehen wir ein paar zentrale Begriffe aus diesem Text in Neon­schrift zu einem langsamen Rück­wärts­flug über das Berlin von heute.

Dies ist ein spek­ta­kulärer Auftakt, der früh bezaubert, der sofort an Alexander Kluges und Jean Luc Godards Monta­ge­filme denken lässt; der vor allem signa­li­siert, dass man es hier nicht mit gewöhn­li­chem deutschem Kino zu tun hat; der das Niveau anzeigt, das dieser Film im Folgenden nie verlassen wird – und es doch auch zugleich ironisch bricht, Zeichen für Humor und Unter­hal­tung setzt und seinem Publikum von Anfang an das Gefühl gibt, einem Film sich anver­trauen zu können, der es ruhig und sicher bei der Hand nimmt, so wie ein Engel seine Schutz­be­foh­lenen.

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Es war Wolfram Schütte, der irgend­wann einmal in einem Text über Alexander Kluge und seine Filme (vermut­lich in dem entspre­chenden Buch seiner »Blauen Hanser Reihe«), dessen ästhe­ti­sche Verfahren beschrieben hat. Kluge, laut Schütte, bediene sich einer frag­men­ta­ri­schen Ästhetik als »bewusstes Gegen­ver­fahren zum Epischen«. Kluge selbst wiederum verweist gern auf Robert Musil.

Vergleiche, erst recht mit welt­be­kannten Künstlern von diesem Rang, sind gefähr­lich. Aber das auch Laura Laabs sich eines frag­men­ta­ri­schen Vorgehens bedient, wird man fest­stellen dürfen. Auch, dass die Regis­seurin sehr darauf bedacht ist, epische Momente, da wo sie aufkommen könnten, zu brechen. Und dass sie es dem Zuschauer nicht zu behaglich machen möchte, ohne dass ihr Film deswegen sein Publikum umgekehrt durch Didaktik, Besser­wis­serei, quälende Still­stands­mo­mente und sonstige Einfälle protes­tan­ti­scher Rohr­stockäs­thetik das Wohl­fühlen austreiben und Kino als preußi­sche Lehr­an­stalt für die gehobenen Stände etablieren möchte.

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Gleich nach dem Auftakt mit Benjamin kommt der Film auf dem Boden der irdischen Tatsachen an. Tine (Hannah Ehrlich­mann in ihrer ersten Kino­haupt­rolle), eine junge Frau und linke Polit-Kunst-Akti­vistin, hisst in einer gewagten Aktion Rote Fahnen auf dem Reichstag – so wie einst die Rote Armee in einer nach­ge­stellten Propa­ganda-Aktion. Sie wird daraufhin von Polizei und Verfas­sungs­schutz gesucht, und taucht unter im Ort ihrer Kindheit, dem meck­len­bur­gi­schen Bad Kleinen.

Auch diese Stadt spielt für einen langen histo­ri­schen Augen­blick eine wichtige Rolle in der rechts­staat­li­chen Geschichte der Bundes­re­pu­blik – 1993 wurden hier auf dem Bahnhof der RAF-Terrorist Volker Grams und ein GSG-9-Mann erschossen. Zeugen wider­spra­chen sich, Mord­ver­dacht stand im Raum, der Bundes­in­nen­mi­nister trat unter Hinweis auf Einsatz­pannen zurück; lange Zeit war in Zeugen­be­richten auch die Rede von einem dritten Toten. Und bis heute sind die Ereig­nisse nicht völlig aufge­klärt. Auch das greift der Film beiläufig, verspielt und doch erstaun­lich präzise auf.

So hat man es hier schon in den ersten Minuten mit gleich zwei schil­lernden deutschen Erin­ne­rungs­orten zu tun. Darum geht es: Den geschicht­li­chen Möglich­keits­sinn. Die leben­digen Wider­sprüche im Vergan­genen. Und um die Macht und Präsenz der Vergan­gen­heit und ihrer Möglich­keiten in der Gegenwart. Es geht um die Frage, was eigent­lich dabei heraus­kommt, wenn man zurück­blickt.

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Weiteres kommt in der Folge hinzu: Eine Moor­leiche wird gefunden und die Suche nach ihrer Identität steht im Zentrum der nun folgenden Ermitt­lungs­ar­beit; der mythische Erlkönig taucht immer wieder mal am Rande auf, eine Verführer-Figur aus der Row Zero des Todes; diverse Szenen spielen außer auf das filmische und kultu­relle Gedächtnis auch auf histo­ri­sche Erin­ne­rungen an.

So ist Rote Sterne überm Feld sehr cool und sehr witzig, man kann in ihm lachen und weinen und auch mal beides gleich­zeitig, er ist ziemlich intel­li­gent, aber nie schwierig. Er ist persön­lich, aber trotz Förder- und Fern­seh­gel­dern das Gegenteil des Main­stream des mittleren Realismus der deutschen Filmtöpfe: Ein Film, der mit einem anar­chis­ti­schen Akt beginnt, und in seiner Haltung anar­chis­tisch bleibt.

Die Regis­seurin Laura Laabs hat in ihrem Spiel­film­debüt, das beim Festival in Saar­brü­cken mit dem Max-Ophüls-Preis der Film­kritik ausge­zeichnet wurde, ein dichtes Geflecht aus Hand­lungs­ebenen und Zeichen-Refe­renzen errichtet. In uner­war­teten Bildern und Bildern des Uner­war­teten begegnet einem ein Crossover aus Genre und Autoren­kino, ein Film, der kalei­do­sko­pisch immer wieder die Perspek­tiven wechselt, der anhand seiner Haupt­figur Tine eine absurde Suche durch die Familien- und die Dorf­ge­schichte entfes­selt, eine wilde surreale Zeitreise voller Verweise auf Gegenwart, Zukunft und Deutsche Mytho­lo­gien, die allerlei zutage fördert.

Zugleich besitzt dieser Film eine sehr grad­li­nige, einfache Erzähl­struktur: Haupt­figur Tine kehrt wie eine Western-Heldin in den Ort zurück, den sie längst verlassen hat, und wird dort mit ihrer eigenen verdrängten Vergan­gen­heit konfron­tiert – der Mutter, die einst verschwand; ihrer Fami­li­en­ge­schichte; sowie unauf­ge­ar­bei­teten DDR-Hinter­las­sen­schaften –, wie zugleich mit den Gespens­tern der deutschen Geschichte. Denn im Zuge ihrer Suche kommen alte – und übrigens authen­ti­sche – Briefe zum Vorschein, Geheim­nisse aus Familie- und Dorf­ge­schichte werden gelüftet, Geschichten erzählt. Hinzu kommen auch noch Tag- und Albträume, Erin­ne­rungen und Zeitreisen.

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Dies alles visua­li­siert die Regis­seurin, und so spielt Rote Sterne überm Feld auf mindes­tens vier Zeit­ebenen. Sie alle stehen für unauf­ge­ar­bei­tete Momente der deutschen Geschichte: Die NS-Diktatur, der Zweite Weltkrieg und die Nazi-Begeis­te­rung weiter Teile der deutschen Bevöl­ke­rung; die DDR und ihr Stasi-Apparat; ihre Abwick­lung nach der Wende 89/90; die RAF, deren Mitglieder zum Teil in Ostdeutsch­land neue Iden­ti­täten bekamen und der erwähnte Vorfall in Bad Kleinen; plus die Gegenwart, aus der auf all dies zurück­ge­blickt wird. Tine fungiert dabei auch als eine Art Führerin des Publikums, ein Avatar durch diese verschie­denen Zeiten und als deren Klammer. Jedes Mal fragt sie nach Gerech­tig­keit und nach den Möglich­keiten der Poli­ti­sie­rung und Verän­de­rung des Gesche­hens.

Diese Rahmen­hand­lung hält eine Reihe von Erzäh­lungen zusammen, die Schneisen in Dorf- und Gesell­schafts­ge­schichte schlagen, und verbindet verschie­dene Zeit­ebenen zu einem formal ambi­tio­nierten Gene­ra­ti­ons­por­trait, den »Whodunnit« mit einem Kalei­do­skop deutscher Zeit­ge­schichte.

Es werden Windräder in die Luft gesprengt (mit Argu­menten der Linken), Wehr­machts-Soldaten rück­wir­kend (per Zeitreise) zum Deser­tieren gebracht, und es stellt sich heraus, dass eine Mutter bei der RAF war, und mehr als ein Vater bei der Stasi.

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Laabs' Film ist eine Ode auf die Kunst des Erzählens und auf jene Erzäh­lungen, die über Gene­ra­tionen reichen, die Gesell­schaft formen und sich zu jenen Schichten verdichten, aus denen unsere Geschichte gemacht ist.

Die viel­leicht inter­es­san­teste Episode ereignet sich zwischen 1990 und 1993: Zur Erbmasse der DDR gehören auch die LPG’s. Genos­sen­schaften sind zwar erlaubt, aber die land­wirt­schaft­li­chen sind den neuen Herren ein Dorn im Auge. Der Leiter der örtlichen LPG will bei der Abwick­lung aber nicht mitmachen, und formiert den Wider­stand. Warum soll man auch die eigenen Toma­ten­felder still­legen, um dann hollän­di­sche Tomaten im neuen West­su­per­markt zu kaufen?

Trotzdem geht die Sache schief. Diese Genos­sen­schaftler sind naiv und treu­herzig, aber sie sind auch standhaft und haben weit mehr mit den Idealen der Bürger­be­we­gung gemein, als die grauen Herren aus dem Westen die von diesem profi­tieren und sie ausbeuten...

Solche Szenen haben dem Autor dieses Textes, einem West­deut­schen, mehr über den Osten erzählt, als 30 Jahre Andreas-Dresen-Filme.

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Es ist faszi­nie­rend, wie souverän und virtuos die Insze­nie­rung all das stilis­tisch zusam­men­hält und es glückt, dass man nie die Orien­tie­rung verliert. Rote Sterne überm Feld ist ein bezie­hungs­rei­cher, ausdeut­barer Text, der aber mit Bildern operiert. Die Regis­seurin wechselt dabei immer wieder zwischen Momenten brech­tia­ni­scher Verfrem­dungs­ef­fekte wie solchen schwel­ge­ri­scher Verfüh­rung und der Hingabe an den Traum­cha­rakter des Kinos, der in »Rote Sterne überm Feld« nie verdrängt wird, immer präsent bleibt. Die Machart (nicht zuletzt in der Montage von Emma Gräf) erinnert dabei trotzdem mehr an Kluges ironische Brechungen und Distan­zie­rungen. Man könnte analog zu dem anfäng­li­chen Theorie-Gedicht Benjamins von einem äqui­va­lenten Kino als Gedan­ken­raum sprechen: Weil in Bildern erzählt wird und diese ausdeutbar, unein­deutig und wider­sprüch­lich sind, verändert sich dieser Raum kalei­do­sko­pisch.

Das verbin­dende Element ist dabei eine »atmende« Kamera (Carlos Vasquez), die empa­thisch ist, aber nie verkitscht. Und der hellwache Sinn für Ambi­va­lenzen und Ambi­gui­täten: Das klas­si­sche psycho­lo­gi­sche Erzählen und Figu­ren­bauen des herkömm­li­chen Kinos ist demge­genüber zu eindeutig und daher schal.

Getragen wird der Film auch von mehr als einem Dutzend sehr guter deutscher Schau­spieler – heraus ragen Hannah Ehrlich­mann, Andreas Döhler und Hermann Beyer –, die mit einem Dutzend Laien zusammen zu sehen sind. Man glaubt zu merken, dass auch sie den größeren Möglich­keits­raum zu schätzen wissen. Manche der Profis spielen mehrere, Jule Böwe sogar drei oder vier Rollen. Viele – alle? – kommen übrigens von hier, aus Meck-Pomm.

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Ach ja, und Till Lindemann spielt auch mit. Die zusammen knapp zwei Film­mi­nuten, in denen der Rammstein-Sänger als »Erlkönig« und (Selbst-)Zitat aus dem Song »Dalai Lama« auftritt, gaben allen, die von diesem Film ablenken möchten, gute Gele­gen­heit, sich zu empören und nicht über das eigent­liche Thema zu schreiben: über den Film, über seinen Humor, seine Ästhetik, über die Ost-West-Debatte, die ihm einge­schrieben ist, über die vielen Dinge, die er über Deutsch­land und vor allem über den Osten Deutsch­lands erzählt.

Dies ist kein Film über den Osten. Aber es ist ein Film, der einem den Osten gut erklären kann. Und mehr als erklären: Laura Laabs bringt ihrem Publikum den Osten nahe, verankert ihn im kollek­tiven allge­meinen Gefühl. Und im Kollektiv. Dies ist ein offener Film, der das Publikum für sich öffnet.

Wir West­deut­schen schauen immer noch auf den Osten wie auf etwas von außerhalb. Das irgendwie dazu­gehört, aber nicht so richtig. Viel­leicht ist dieser Blick gar nicht mal komplett falsch, aber er ist gedan­kenlos und oft genug menschen­ver­ach­tend.

Laabs antwortet ihm mit einer unge­wöhn­li­chen Mischung aus Ironie und Herzens­wärme. Und Konse­quenz. Denn Laabs meint es ernst, sie will es wissen in diesem Film. Darum erzählt sie über Erschüt­te­rungen und himmel­schrei­ende Unge­rech­tig­keiten nach der Verei­ni­gung und über die große Verun­si­che­rung, die bei manchen bis heute weiter­wirkt.
Man wird in diesem Film und seiner Wahr­neh­mung in manchen Medien auch leicht Bezüge auf die neue Debatte über das Verhältnis zwischen Ost- und West­deutsch­land finden, die gerade mit den Namen von Dirk Oschmann verknüpft ist. Auch Laabs zeichnet das Portrait einer Gesell­schaft am Kipppunkt. Zugleich bleibt ihr Filmtext ein Werk der Ambi­va­lenzen und der Öffnungen.

Darum kommt Laabs ihren Figuren nahe, sie verrät weder den Dorfnazi noch den Ex-Stasi-Bürger­meister, noch den links-spießigen Akti­visten und noch nicht mal den Herrn vom Verfas­sungs­schutz.

Manche, vor allem west­deut­sche Medien, lassen solche Eindrücke nicht an sich heran, oder verdrängen sie. Und die Lindemann-Debatte, die jenen aus der links-iden­ti­tären Berliner-Subkultur, die nichts Besseres zu tun haben und den auf sie abge­rich­teten Medien nun wieder auszu­lösen versuchen, ist das Mittel solcher Verdrän­gung.

Es ist inter­es­sant, wie gern manche (West-)Medien hier ihre Über­for­de­rung zum Argument gegen den Film ummünzen: Der »Spiegel« ist »erschöpft«, der »Tages­spiegel« (in den Kinotips unter Nummer 5) stöhnt »Uff«. Wir leben in anti­in­tel­lek­tu­ellen Zeiten, aber hat man seiner­zeit auch auf Alexander Kluge so reagiert?

Vor allem muss man dann wenn man so ermüdet ist, oder sich schön empören darf, nicht über die roten Fahnen auf dem Reichstag schreiben.

Sollte man aber. Denn Rote Sterne überm Feld ist jenseits von allem anderen auch ein gutes Beispiel für Antonio Gramscis Idee der »Meta­po­litik«, die poli­ti­sche Diskurs­bil­dung mittels Kultur. Hier wird anders und neu und womöglich wirkungs­voller über den Osten erzählt, als bisher im Kino. Hier ist der Osten bunt und wild und über­ra­schend, nicht grau und lahm und nost­al­gisch.

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Einige von Laabs' Refe­renzen liegen offen zutage, anderes ist versteckter: Der Film wirft erstaun­lich sinnvoll Einfälle aus Philo­so­phie und Politik, Geschichte und Gegenwart, Utopie und Zeitgeist zusammen, zitiert Sixties-Agitprop und UdSSR-Kino, DDR-Musik und Heimat­schnulzen. Das Ergebnis sieht manchmal aus wie Twin Peaks, mal wie Midsommar, mal wie Das weiße Band oder ein deutsches Inception – alle diese Vergleiche treffen zu, und führen doch in die Irre, denn sie über­frachten die Erwartung. Dies ist nämlich alles andere als ein kalku­lierter, kühl arran­gierter Pop-Zitate-Strom. Es ist ein grad­li­niger und persön­li­cher Film, bei dem man spürt, dass er der Regis­seurin am Herzen liegt, und so geworden ist, wie er ist, weil er so werden musste.

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Film sei »das Medium, um Tote zum Leben zu erwecken.« hat Jean Luc Godard einmal geschrieben. So darf man sich hier die Frage stellen, was es denn heißen könnte, linkes Kino zu machen, wider­spens­tiges Kino, Kino, das dem System gegenüber wider­s­tändig ist. Man wird auf die Frage geworfen, wie sich die Tradi­tionen poli­ti­schen Kinos in Deutsch­land, die mit dem Namen Alexander Kluge und Rainer Werner Fass­binder verbunden sind, zeitgemäß aktua­li­sieren lassen – also ein Kino das gleich­zeitig reflek­tie­rend und intel­lek­tuell und doch sinnlich ist.

Im Film kommt die Idee einer »ästhe­ti­schen Linken« vor. Darüber wurde lange nicht mehr gespro­chen – viel­leicht aber wäre es an der Zeit, wieder darüber nach­zu­denken. Darüber, inwieweit dieser Film selbst Ausdruck oder Statement einer solchen ästhe­ti­schen Linken ist. Über wider­s­tän­diges Kino, das in dieser Wider­s­tän­dig­keit den Charakter des Mediums als Zeitreise, als Traum­fa­brik, als Geis­ter­be­schwörung, der hier so über­zeu­gend entfaltet wird, nicht verrät.

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Der Film mündet in ein Ende, über das man einen eigenen Text schreiben müsste, und dessen paradoxes Unter­fangen, dem Frag­men­ta­ri­schen und Essay­is­ti­schen als Methode des reflek­tie­renden Welt­ver­ste­hens dann doch noch eine Art ganz­heit­liche Form zu geben, nicht nur an Robert Musil erinnert, sondern auch die Wider­sprüche der Kino­ge­schichte mit denen des deutschen Links­he­ge­lia­nismus zusam­men­bringt – aber das, wie gesagt, wäre eine eigene Geschichte.

Auch hier gilt die unbedingt als Lob gemeinte Fest­stel­lung: Laura Laabs traut sich was!

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Rote Sterne überm Feld ist keines­wegs perfekt, und nimmt doch sehr für sich ein, weil er expe­ri­men­tell ist und Dinge auspro­biert, sehr viele neue Einfälle hat, deren meiste gut funk­tio­nieren – und weil er anspruchs­voll ist. Dies ist endlich einmal ein deutscher Film, dem an neuen Ausdrucks­formen, Empfin­dungen und einem besserem Kino gelegen ist – und darin ähnelt er der anderen aufre­genden Entde­ckung dieses Kino­jahres, Mascha Schi­lin­skis »In die Sonne schauen«. Wenn auch »Rote Sterne...« ungleich ironi­scher, reflek­tierter und damit erwach­sener ist.
Das Ergebnis ist ein wilder, bezau­bernder Film – und einer schönsten des deutschen Kino­jahres.